Velos und Autos – Stadtrat-Brief #28
Sitzung vom 25. April 2024 – die Themen: Velostation Länggasse; Cargobikes; weniger Autos; keine Autos; schulzahnärztlicher Dienst; mobiler Gesundheitsdienst; Ratsmitglied der Woche: Nora Joos (JA!).
Bern bleibt Velostadt. Und gleichzeitig Autostadt. Das zeigte sich in den gestrigen Stadtrat-Diskussionen, bei denen es vor allem um Verkehr ging. Sichtbar wurde, wo bei diesen Themen die Konfliktlinien zwischen den Parteien verlaufen. Und dass es Unterschiede gibt zwischen den RGM-Parteien SP, Grünes Bündnis und Grüne Freie Liste.
Das gewichtigste Traktandum, auch finanziell, war der Bau einer Velostation beim künftigen Bahnhofzugang Länggasse (Schanzenstrasse). Sie wird Ende Jahrzehnt gebaut. Auf zwei Untergeschossen sollen insgesamt 1200 Veloparkplätze entstehen. Auf dem ersten Untergeschoss finanzieren die SBB 500 Plätze, weil durch den Umbau des Bahnhofs Aussenparkplätze in diesem Umfang wegfallen. Es bleiben der Stadt Realisierungskosten von 4,3 Millionen Franken.
Für das zweite Untergeschoss ist vorerst die Stadt zuständig. Und da ging es gestern insbesondere darum, ob es überhaupt gebaut werden soll. Die Realisierungskosten für das zweite Geschoss werden auf elf Millionen Franken geschätzt, wobei die Stadt nicht alles selber bezahlen müsste. Man rechne mit «namhaften Beträgen» von Bund und Kanton, sagte die zuständige Gemeinderätin Marieke Kruit (SP).
Bis auf die SVP stimmten alle Parteien der Vorlage zu und bewilligten den Ausführungskredit von 4,3 Millionen Franken für das erste Untergeschoss und erhöhten den Projektierungskredit für das zweite Untergeschoss auf 1,45 Millionen Franken.
Doch während Tanja Miljanović von der GFL das Projekt als «sanfte Revolution von unten» bezeichnete, kritisierte Katharina Gallizzi (GB) die städtische Strategie, Veloparkplätze in den Untergrund zu verlegen. «Es braucht auch genügend oberirdische Parkplätze, nur so ist die Attraktivität des Veloverkehrs gewährleistet», sagte sie im Namen ihrer Partei. Denn jeder Umweg vermindere die Attraktivität. FDP-Sprecher Thomas Hofstetter betonte, dass die Kosten «extrem, ja unverhältnismässig hoch» seien. «Aber es ist eine einmalige Möglichkeit, diesen Raum zu nutzen.»
Gemeinderätin Marieke Kruit geht davon aus, dass die Stadt unter dem Strich 1,9 Millionen Franken für das erste und 5,3 Millionen Franken für das zweite Untergeschoss wird zahlen müssen. Die Finanzierungsanträge beim Kanton würden erst nach Genehmigung des Ausführungskredits eingereicht.
Offen bleibt die Frage, ob die Parkplätze in den Velostationen künftig kostenpflichtig sind oder nicht. Momentan zahlen Benutzer*innen in den Stationen Bollwerk, Milchgässli und Schanzenbrücke, nicht aber in den Stationen Welle 7 und Post Parc (gratis bis zu 24 Stunden). «Die bisherigen Erfahrungen mit kostenlosem Parkieren sind positiv», sagte Marieke Kruit. Man werde dem Stadtrat noch berichten, was für Schlüsse daraus gezogen würden.
Nora Joos sitzt seit Januar 2021 für die JA! im Stadtrat. Sie hat Umweltingenieurwissenschaften in Lausanne studiert und arbeitet als Ingenieurin im Bereich Wasser. Eine Leidenschaft der 27-Jährigen sind die Berge.
Warum sind Sie im Stadtrat? Weil ich mich für viele gesellschaftliche Themen einsetzen möchte. Zum Beispiel für ein Mitspracherecht für alle, damit jeder und jede das Zusammenleben in der Stadt Bern mitgestalten kann – unabhängig von Bildungsstand, Alter, Herkunft oder Geschlecht. Oder die Frage der Klimagerechtigkeit: Wie können wir das System, in dem wir leben, so verändern, damit alle, egal wo sie wohnen und wie reich sie sind, auch noch in 30 Jahren ein würdiges Leben führen können?
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei? Hmm, vielleicht fürs Fragen stellen in der Fraktion, in der Kommission Planung Verkehr und Stadtgrün (PVS) oder beim gemeinsamen gemütlichen Abendessen.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat? Bei vielen Geschäften hätte ich gerne, dass die Stadt Bern mehr Neues wagt, mehr ausprobiert. Sei es zum Beispiel durch eine rasche Einführung der CityCard oder die Umsetzung von Klimaschutz und Klimaschutzanpassungsmassnahmen. Ich würde mich über mehr Mut bei der Armutsbekämpfung, der Erhaltung der Biodiversität oder beim Verhindern der schleichenden Gentrifizierung der Stadt Bern freuen.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit? Ich wäre stolz, wenn wir beispielsweise mehr günstigen Wohnraum in der Stadt hätten, mehr Gebäude energetisch saniert wären, weniger Menschen von Armut betroffen wären. Kurzum: Wenn die Stadt Bern eine solidarische Stadt für alle wäre. Bis dahin freue ich mich über die kleinen Schritte in diese Richtung und über alle Menschen, die auf der Strasse, bei der Arbeit, im Alltag oder im Parlament etwas dazu beitragen.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum? Ich mag das Fischermätteli, den Gäbelbach und die Aare.
Über folgende Verkehrsfragen wurde sonst noch diskutiert:
- Abstellplätze für Cargobikes: In der Stadt gibt es immer mehr Cargobikes, mit denen auch grössere Transporte gemacht werden. Dem soll die Stadt Rechnung tragen und unter anderem eine «angemessene Anzahl an kostenfreien Cargobike-Parkplätzen» zur Verfügung stellen. Die entsprechende interfraktionelle Motion (SP, GB, GLP, GFL/EVP) wurde mit grossem Mehr (49 zu 9) als Richtlinie für erheblich erklärt. Der Gemeinderat steht dem Anliegen positiv gegenüber, so ist etwa geplant, in neuen Velostationen zukünftig 20 Prozent der Parkflächen für Cargobikes und Spezialvelos zu reservieren.
- Autoverkehr reduzieren: Eine Motion von GB/JA! fordert, den vom motorisierten Individualverkehr (MIV) beanspruchten Raum in der Stadt Bern bis 2035 zu halbieren. Das liess Oliver Berger von der FDP schon den «sowjetischen Gestus riechen». Auch der Gemeinderat fand das nicht umsetzbar. Er sei aber bereit, das Anliegen im Rahmen einer allfälligen Umsetzung der «Stadtklima-Initiative» zu prüfen. Der Vorstoss wurde abgeschwächt als Postulat ganz knapp mit 32 zu 29 Stimmen überwiesen. So hatte sich die GFL dagegen ausgesprochen. «Das geht für die Stadt Bern zu weit, auch als Postulat», sagte Tanja Miljanović. Eine noch weitergehende Motion der AL, Bern bis 2025 «autofrei» zu machen, wurde hingegen mit 41 zu 18 Stimmen abgelehnt, da neben der GFL auch die SP dagegen stimmte.
- Kornhausbrücke autofrei: Eine Motion der Fraktion GB/JA! und von Michael Ruefer (heute GFL) fordert, die Kornhausbrücke vom MIV zu befreien. Während Ursula Stöckli (FDP) schon fürchtete, «ihr wollt uns in der Altstadt den Schnauf abstellen», entgegnete Michael Sutter (SP), es sei nicht ein Vorstoss gegen den MIV, sondern «für Sicherheit, für Lebensqualität». Auch der Gemeinderat hatte Verständnis für das Anliegen. Man könne aber nicht nur eine einzelne Massnahme treffen, «es muss in einem grossen Ganzen stimmen», sagte Marieke Kruit. Sie plädierte für eine Umwandlung der Motion in ein schwächeres Postulat. Dabei stiess sie aber auch in der eigenen Partei auf kein Gehör. Der Rat nahm die Motion als Richtlinie mit 37 zu 22 Stimmen an. RGM stimmte geschlossen dafür.
- Zeughausgasse aufwerten: Eine Motion der SP von 2016 fordert, die Zeughausgasse aufzuwerten und ein Durchfahrtsverbot für den MIV zu erlassen. 2018 wurde sie vom Rat als Richtlinie überwiesen. Seither ist die Frist zur Umsetzung zweimal verlängert worden. Gestern sollte sie ein weiteres Mal bis 2028 verlängert werden. «Das geht zu lange», fand Michael Sutter (SP), der die Motion eingereicht hat. Immer noch würden Privatfahrzeuge in der Zeughausgasse abgestellt, gerade vorhin habe er acht Autos im Parkverbot gezählt. Der Rat stimmte schliesslich dem Vorschlag aus der zuständigen Kommission zu, die Frist nur bis Ende 2026 zu verlängern.
Und schliesslich noch dies:
- Zahnmedizin: Viel zu reden gab ein Nachkredit für den Schulzahnmedizinischen Dienst (SZMD). Es ging um 771’400 Franken, womit der SZMD-Globalkredit für 2023 knapp zwei Millionen Franken beträgt. Er wurde schliesslich gutgeheissen mit 58 Ja zu 8 Nein-Stimmen. Nachkredite beim SZMD werden seit Jahren regelmässig gestellt. Auch Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) gab zu, dass der Fehlbetrag unschön sei und dringender Handlungsbedarf bestehe. Da sei man aber dran. In diesem Jahr habe man im SZMD Sofortmassnahmen getroffen, und im ersten Quartal sehe es sehr gut aus. Ausserdem sei in den letzten Jahren die Zahl der selbstzahlenden Patient*innen zurückgegangen. Das habe zwar zu einem Defizit geführt, zeige aber auch, dass der Dienst vermehrt von Menschen in Anspruch genommen werde, die es wirklich nötig hätten.
- Mobiles Gesundheitszentrum: Eine Motion von Seraina Patzen (JA!) verlangt, in Bern ein mobiles Gesundheitszentrum zu schaffen, damit auch benachteiligte Menschen, zum Beispiel solche ohne Krankenversicherung, Zugang zu medizinischer Versorgung hätten. Sie wurde vom Rat mit grossem Mehr als schwächeres Postulat überwiesen. Der Gemeinderat will nun analysieren, wo es Lücken im Gesundheitssystem gibt und wie diese gefüllt werden könnten. «Wir werden kein Angebot schaffen, wo es schon etwas gibt», sagte die zuständige Gemeinderätin Franziska Teuscher.
PS: Im Rat wurde gestern mit Cüpli angestossen. Milena Daphinoff (Mitte) feierte mit Parteikollegin Sibyl Eigenmann eine ihrer letzten Sitzungen. Fraktionschefin Daphinoff wird auf Juni zurücktreten, wie ihre Partei gestern bekannt gab. Für sie rutscht Béatrice Wertli nach, ihres Zeichens Alt-Stadträtin und Gemeinderatskandidatin auf der Mitte-Rechts-Liste. Bei der Wahl 2020 landete sie auf dem ersten Ersatzplatz. Wenn das kein cleverer Schachzug ist.