Was bei Kulturschaffenden wirklich brennt

Starre Hierarchien prägen die Theaterwelt. Dabei hätten Bühnenschaffende durchaus Ideen, das zu ändern. Warum passiert trotzdem so wenig? Ein Besuch am «Markt der Möglichkeiten» in der Berner Dampfzentrale.

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Der «Markt der Möglichkeiten» zeigt auf, dass der Veränderungswillen von unten stark ist. (Bild: Danielle Liniger)

An diesem Markt gibt es nichts zu kaufen. Stattdessen stehen am «Markt der Möglichkeiten» Kulturschaffende und beraten andere Kulturschaffende. Sie vernetzen sich, diskutieren, ja, reden sich in Rage. Zum Beispiel Johanna-Maria Raimund. Die freischaffende Dramaturgin und Produktionsleiterin aus Zürich engagiert sich bei Kunst und Care. Das schweizweite Netzwerk will sich dafür einsetzen, dass beides zusammen möglich ist: Betreuen und Kunst machen. «Der Theateralltag ist einfach nicht auf Mütter ausgerichtet», sagt sie. «Da braucht es immer extra Verhandlungen, damit Proben beispielsweise nur bis 18 Uhr stattfinden, so dass man nachher noch das Kind aus der Kita holen kann.»

Die Themen an den Ständen in der Dampfzentrale sind vielfältig und doch immer wieder dieselben: Vereinbarkeit von Familien- und Bühnenleben; Arbeitsbedingungen der freien Theaterszene; Inklusion; eine Vertrauensstelle für Kulturschaffende. Es gibt viel Veränderungswillen – und trotzdem passiert so wenig.

Voneinander lernen

Symptomatisch dafür ist, dass in Bern die grösste Kulturinstitution und insbesondere deren Leitung wieder unter Beschuss sind. Es liegen Vorwürfe von Mobbing im Raum, es wird an Kompetenz und Transparenz des Bühnen-Bern-Intendanten Florian Scholz gezweifelt. Gleichzeitig treffen sich in Bern engagierte Kulturschaffende aus der ganzen Schweiz und dem deutschsprachigen Raum an der dreitägigen Konferenz «M2act und Burning Issues», um im Schlachthaus Theater, im Stadttheater und in der Dampfzentrale darüber zu reden, was im Theaterbereich ändern müsste – und wie diese Änderungen angegangen werden könnten. Spürbar ist das Bewusstsein: Die Veränderung muss von unten kommen.

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Die Initiative «Kunst und Kind» entstand in Berlin. (Bild: Danielle Liniger)

Neben Forumsveranstaltungen und Aufführungen zeigt der «Markt der Möglichkeiten» auf, dass es bereits zahlreiche Initiativen gibt. So etwa die «Initiative Bühnenmütter» und «Kunst und Kind», zwei deutsche Entsprechungen zum Schweizer Netzwerk Kunst und Care. In der Dampfzentrale vernetzen sich die Projekte – und beschliessen, im Oktober in Berlin ein weiteres Treffen zu veranstalten. «Wir können voneinander lernen», sagt Teresa Monfared von «Bühnenmütter», «wir Deutschen können euch zeigen, wie man Kinderbetreuung billiger gestalten kann – und ihr könnt uns zeigen, wie man mehr gesellschaftliches Engagement für die Vereinbarkeit hinkriegt.»

In diesem Bereich geht die Konferenz schon einmal mit gutem Beispiel voran: Es gibt tagsüber eine Kinderbetreuung. Etwa 15 Kinder zwischen 1 und 10 Jahren werden in einem geschützten Bereich neben der Dampfzentrale von professionellen Betreuer*innen umsorgt.

Auf dem Weg zur Vertrauensstelle

Einen Stand hat auch «Fairspec». Das ist eine Gruppe von Schweizer Kulturschaffenden, die sich für bessere Bedingungen in der freien Theaterszene einsetzt. Die Gruppe hat in einem partizipativen Prozess einen Kodex verfasst, den Theater nun anwenden können. Da stehen Schlagworte wie «Transparenz», «Augenhöhe», «Verbindlichkeit». Was sollen Theater damit anfangen? «Wichtig ist, dass der Kodex nicht nur ein Papier bleibt», sagt Dramaturgin Gabi Mojzes. Für Theater sei es freiwillig, den Kodex anzuwenden, es gehe auch nicht darum, alles abzuhaken, «es geht darum, umzudenken». Mojzes findet, dass die ganze Theaterszene in einem grossen Umbruch stecke. «Aber das kostet wahnsinnig viel Zeit und Ressourcen».

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Cyril Tissot informiert über die Idee einer Vertrauensstelle für Bühnenschaffende der Deutschschweiz. (Bild: Danielle Liniger)

Das weiss auch Cyril Tissot. Er arbeitet auf der Geschäftsstelle von Dance Suisse und setzt sich gemeinsam mit anderen Verbänden dafür ein, dass es in der Deutschschweiz bald eine Vertrauensstelle für Bühnenschaffende gibt. Die Arbeiten laufen seit einem Jahr, Auslöser war der Fall des mutmasslich übergriffigen Probenleiters von Bühnen Bern. Bedürfnis und Bewusstsein dafür seien schon länger da, sagt Tissot. «Leider braucht es oft Skandale, um solche Dinge zu beschleunigen.» Er habe sehr viel Austausch mit der Romandie, wo es eine solche Stelle schon gebe.

Und warum dauert es trotzdem so lange? «Wir wollen nicht einzelne Theaterlösungen, sondern eine Gesamtlösung», sagt Tissot. Im Laufe des Jahres seien weitere Verbände wie der Bühnenverband und Theaterschaffen Schweiz dazugekommen. Aber auch er selbst habe gedacht, dass es schneller gehen würde.

Geduld. Es ist ein Wort, das man am «Markt der Möglichkeiten» immer wieder hört. Die Theaterwelt ändere sich, aber das gehe nicht so schnell. Immerhin: an diesem Wochenende konnten sich die engagierten Theaterleute Inspiration und Kraft für den weiteren Kampf holen.

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