Voltigieren – «Hauptstadt»-Brief #344
Donnerstag, 18. Juli – die Themen: Voltigier-WM; Sommer-Serie; IT-System; Tram-Unfall; China; Pressefotografie; Gurtenfestival.
Akrobatik erfordert Mut. Auch auf dem Boden. Trotzdem praktizieren manche Menschen sie auf einem galoppierenden Pferd. Voltigieren heisst die Sportart, und aktuell sind in Bern die Besten der Welt zu Gast. Noch bis Sonntag finden in der Postfinance-Arena im Wankdorf die Voltigier-Weltmeisterschaften statt.
Der Boden des Eishockey-Stadions wurde dafür mit 750 Tonnen Sand bedeckt. Über 200 Athlet*innen aus 23 Ländern treten an, alleine, zu zweit oder im Sechser-Team, wobei maximal drei Personen gleichzeitig auf dem Pferd turnen.
Ich war gestern Nachmittag vor Ort. Es lief der Einzel-Pflicht-Wettkampf der Juniorinnen. Die Athletinnen zeigen dabei eine vorgegebene Abfolge von Übungen. Sie turnen zu Musik, das Pferd galoppiert an einer langen Leine, genannt Longe, geleitet von einer Longenführer*in, die im Zentrum des runden Wettkampfplatzes steht. Von allen Seiten beobachten Jurymitglieder die Darbietungen.
In den moderat besetzten Zuschauerreihen sassen wohl ähnlich viele Athlet*innen wie Zuschauer*innen. Gut für mich, so konnte ich mich einfach an meine Sitznachbarinnen wenden, um mir die Regeln erklären zu lassen. Denn ich war ratlos, als zwei spanische Athletinnen des Platzes verwiesen wurden, bevor sie überhaupt auf das Pferd springen konnten. Enttäuscht liessen sich die beiden von ihrer Trainerin umarmen.
«Mit dem Pferd war etwas nicht in Ordnung», erklärten mir die tschechische Athletin Katerina Kocurova und ihre Begleiterin, die hinter mir sassen. Die Jury habe befunden, es laufe nicht richtig. Ich lernte, dass bei den Wettkämpfen nicht nur die Leistung der Athletinnen bewertet wird, sondern auch die der Pferde.
Meine Sitznachbarinnen rieten mir, ich solle am Wochenende wiederkommen. «Dann ist es spektakulärer.» Am Samstag und Sonntag stehen Kür-Wettkämpfe an, bei denen die Athlet*innen ein eigens zusammengestelltes Programm zeigen.
Die Schweiz ist mit einer starken Delegation am Start, etwa mit der Bernerin Ilona Hannich, die letztes Jahr Bronze an den Europameisterschaften gewann. Oder mit dem Berner Lukas Heppler, der nebst seiner Rolle als Athlet den Anlass auch mitorganisiert.
Wenn du dieses Wochenende weder in den Ferien noch auf dem Gurten bist und dich die Welt von Nischensportarten ebenso interessiert wie mich, empfehle ich dir einen Besuch wärmstens.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- Sommer-Serie: Die «Hauptstadt» macht Sommerpause. Wir publizieren während drei Wochen abgesehen von einem wöchentlichen Brief keine neuen Artikel. Trotzdem liefern wir dir Lesestoff. Denn vielleicht geht es dir wie uns: In der Hektik des Alltags fehlt oft die Zeit, alles zu lesen, was sich lohnen würde. Deshalb empfehlen dir Redaktionsmitglieder ihre persönlichen Lieblingstexte aus dem vergangenen «Hauptstadt»-Jahr. Heute erzählt Nicolai Morawitz, warum ihm ein Artikel über Brot besonders gut bekommen ist.
- IT-System: Bei den Sozialdiensten des Kantons Bern soll ein neues, einheitliches Fallführungssystem (genannt NFFS) eingeführt werden. Der Kanton testet es nun als Pilotprojekt zusammen mit zehn kommunalen Sozialdiensten. Das hat er am Dienstag mitgeteilt. Ab 2026 soll das System laut Kanton schrittweise bei weiteren Sozialdiensten eingeführt werden. Die Stadt Bern hat letztes Jahr ebenfalls ein eigenes, neues Fallführungssystem namens «Citysoftnet» eingeführt. Sie hatte dabei mit grossen Problemen zu kämpfen. Es ist denkbar, dass das kantonale System das städtische ablösen könnte. Der Berner Gemeinderat will «Citysoftnet» jedoch dereinst an das kantonale System koppeln.
- Tram-Unfall: Im Februar entgleiste in der Berner Innenstadt ein Tram und rollte auf den Kornhausplatz. Nun ist die Untersuchung des Unfallhergangs abgeschlossen, wie die Nachrichtenagentur SDA gestern berichtete. Aus dem Bericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) geht hervor, dass der Fahrer ein medizinisches Problem hatte. Er habe während der Fahrt das Bewusstsein verloren. Weil er sich deswegen vorüberneigte, könnte es zu einer Beschleunigung des Trams gekommen sein.
- China: Die chinesische Botschaft will im Zentrum Freudenberg im Berner Ostring nächstes Jahr ein chinesisches Kulturzentrum eröffnen. Das hat die Botschaft gegenüber Bund/BZ (Abo) bestätigt. Geplant sind ein Saal für rund 200 Personen, ein Ausstellungsraum, ein Unterrichtsraum sowie ein Lesesaal. Das Zentrum solle der Schweizer Bevölkerung helfen, die chinesische Kultur besser zu verstehen. Es sollen kleine Konzerte, Ausstellungen und Vorlesungen über die chinesische Sprache und Literatur stattfinden.
- Pressefotografie: Donald Trump, wie er mit Blutstriemen im Gesicht die Faust reckt – die Bilder vom angeschossenen US-Präsidentschaftskandidaten prägten sich augenblicklich ins Gedächtnis der Welt ein. Wie Pressefotografie wirken kann, ist seit gestern auch in der Nationalbibliothek in Bern zu erleben. In der Ausstellung «Swiss Press Photo 24» präsentiert die Fondation Reinhardt von Graffenried die besten Schweizer Pressebilder des vergangenen Jahres. Die Ausstellung läuft bis am 11. Oktober. Zu sehen sind auch Porträtfotos des Berner Fotografen Stefan Wermuth, die er in der «Hauptstadt» als Bilderserie gezeigt hat.
- Gurtenfestival: Diese Woche findet von Mittwoch bis Samstag das jährliche Musikfestival auf dem Gurten statt. Ein neues Gurtenbähnli transportiert die Besucher*innen auf den Hausberg. Und sogar das Wetter ist gut. Auf Instagram findest du das Güsche-Spezial des «Hauptstadt»-Formats Bärner Nachtläbe. Solltest du nicht zu den Gurten-Fans gehören, hat dir das Bärner Nachtläbe alternative Ausgeh-Tipps für diese Tage zusammengestellt. So oder so: Es wird gut. Viel Spass!
PS: Für das mobile Open-Air-Musikfestival Cycloton radeln Musiker*innen mit dem Velo durch die Schweiz – das ganze Equipment im Gepäck. Und an den Konzerten wird sogar der Strom für das Soundsystem mit Pedalen erzeugt. Nächsten Mittwoch, den 24. Juli ist das Festival im Lorrainebad zu Gast. Ab 17:30 Uhr, Eintritt frei.