Weniger arbeiten, zufriedener leben
Wissenschaftler*innen der Uni Bern haben Arbeitsmodelle erforscht, die viele Probleme mildern könnten: Fachkräftemangel, Burnout, Klimaemissionen.
Weniger arbeiten und damit dem eigenen Wohlbefinden und der Natur etwas zugutetun. Was die Forscher*innen des Zentrums für Nachhaltige Entwicklung und Umwelt der Universität Bern herausgefunden haben, klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Mehr als 800 Personen, die vorwiegend in Verwaltungen und dem Dienstleistungssektor tätig sind, haben die Forscher*innen während zehn Monaten begleitet. 100 von ihnen reduzierten ihre Arbeitszeit, im Schnitt um 20 Prozent, und verdienten entsprechend weniger. Die anderen 700 dienten als Vergleichsgruppe, arbeiteten also weiter wie bisher.
Wer die Arbeitszeit reduzierte, steigerte sein emotionales Wohlbefinden und senkte Burnout-Symptome. Neun Monate nach der Reduktion pendelte sich das Wohlbefinden auf dem Ausgangsniveau ein, die Burnout-Symptome aber sind nicht mehr zurückgekehrt.
Ausserdem verhielten sich die Personen, die weniger arbeiteten, umweltfreundlicher. Auch gaben sie weniger Geld für Kleider aus und pendelten seltener mit dem Auto zur Arbeit. «Das liegt einerseits daran, dass sie weniger Geld zur Verfügung hatten», sagt Stephanie Moser, Umweltpsychologin und Mitautorin der Studie. «Erstaunlich ist, dass die Leute trotz des Einkommensverlusts nicht weniger zufrieden waren als mit mehr Geld.»
Die Gründe für das klimafreundlichere Verhalten und das gesteigerte Wohlbefinden hat die Studie nicht gemessen. Stephanie Moser erklärt sich die Effekte – neben dem tieferen Einkommen – so: «Wer einen entspannteren Alltag hat, verspürt ein weniger starkes Bedürfnis nach materiellem Konsum.» Durch die Stressreduktion – so ihre Mutmassung – würde die zusätzliche freie Zeit nicht für umweltschädliche Tätigkeiten wie Flugreisen oder Shopping verwendet.
Politische Vorstösse
Die Reduktion der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, wie sie im Rahmen der Studie durchgeführt worden ist, bezeichnet Moser als «Luxusvariante» für Vielverdienende. Wer einen tiefen Lohn auf 100 Prozent hat, kann nicht einfach so das Pensum reduzieren. Ausserdem sind Teilzeitarbeiter*innen benachteiligt in der Altersvorsorge und haben in den meisten Branchen tiefere Karriere-Chancen.
Diese Probleme liessen sich lösen, wenn die Stundenzahl, die als 100 Prozent gilt, reduziert würde. Zum Beispiel auf 35 Stunden pro Woche, wie es die Berner SP-Nationalrätin Tamara Funiciello in einer im vergangenen Dezember eingereichten Motion gefordert hatte. Der Bundesrat aber lehnte die Motion ab. Ebenso das Postulat von Mattea Meyer, SP-Nationalrätin aus Zürich. Sie wollte den Bundesrat auffordern, zu untersuchen, wie sich eine Reduktion der Arbeitszeit auf die Erreichung der Klimaziele auswirken würde.
Dabei wäre es offenbar ein Bedürfnis der Bevölkerung, die Arbeitszeit zu reduzieren: Gemäss Angaben des Bundesamtes für Statistik möchten 40 Prozent der Männer und 30 Prozent der Frauen weniger arbeiten, als sie es aktuell tun. Und 28 Prozent der Berufstätigen leiden an Stress, 30 Prozent fühlen sich emotional erschöpft.
Fachkräfte anziehen mit besseren Arbeitsbedingungen
Stephanie Moser glaubt, dass sich mit einer Reduktion der Arbeitszeit der akute Fachkräftemangel mildern liesse. «Im ersten Moment mag es seltsam klingen, dass die Leute weniger arbeiten sollen, wenn es eh schon zu wenig Arbeitskräfte gibt.» Jedoch müsse man sich fragen, was die Ursachen für den Mangel seien. Eine betrifft die Arbeitsbedingungen: «Wenn diese attraktiver werden, können Unternehmen ihre Leute länger halten oder überhaupt erst anziehen.»
Moser beobachtet, dass sich viele Arbeitgeber*innen im Moment überlegen, wie sie attraktiver werden können für Arbeitnehmer*innen. Eine Arbeitsmarktstudie der Axa, durchgeführt vom Forschungsinstitut Sotomo, zeigt das gleiche Bild: 38 Prozent der Schweizer KMU sind einer Viertagewoche gegenüber im Grundsatz positiv eingestellt. «Da ist eine unglaubliche Dynamik entstanden», so Moser, «vor drei Jahren hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass jemals eine Viertagewoche eingeführt werden könnte.»
Die Viertagewoche ist aber nur ein Modell, wie sich die Arbeitszeitverkürzung umsetzen lässt. Möglich ist auch, die Anzahl der Arbeitstage unverändert zu lassen, ihre Dauer jedoch zu verkürzen. Oder im Schichtbetrieb weniger Schichten pro Person zuzuteilen. Auch eine Aufstockung der Ferientage ist möglich.
In Diskussionen über Arbeitsmodelle fällt immer wieder der Begriff der Produktivität. Da die meisten Menschen nur eine gewisse Anzahl Stunden pro Tag konzentriert arbeiten können und den Rest der Zeit mit Kaffeetrinken oder auf Social Media verbringen, könnten sie die gleiche Arbeit in weniger Zeit erbringen. Das Argument wird gerne von Reduktionsbefürworter*innen verwendet – denn welche Arbeitgeber*innen verzichten schon gerne freiwillig auf Produktivität?
Stephanie Moser betrachtet das Argument aber kritisch: «Wenn die genau gleiche Arbeit in einem Tag weniger erledigt werden muss, ist das nicht attraktiv, sondern eher eine neue Belastung.» Und könnte einen positiven Effekt der Verkürzung zunichtemachen: Untersuchungen deuten darauf hin, dass es weniger krankheitsbedingte Ausfälle gibt, wenn Menschen weniger arbeiten und dadurch weniger gestresst sind und einen aktiveren Lebensstil haben.
All diese Faktoren sprechen dafür, dass eine Verkürzung der Arbeitszeit das Potenzial hätte, viele Menschen gesünder und zufriedener zu machen. Aber offenbar erscheint dieses Argument einer Mehrheit von Entscheidungsträger*innen nicht wichtig genug, um eine Systemänderung anzugehen.