Wie tickst du, Berner Eventbranche?

Trotz schwerer Vorwürfe treten Rammstein diese Woche in Bern auf. Veranstalter*innen hätten Hebel, um problematisches Verhalten von Stars zumindest zu erschweren. Ist sich die Berner Eventbranche ihrer Verantwortung bewusst?

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Rammstein-Frontmann Till Lindemann wird diese Woche zweimal in Bern auftreten. (Bild: Stringer)

Täglich neue Berichte von ehemaligen Fans, Proteste, politischer Widerstand. Und doch: Rammstein werden voraussichtlich am Samstag und Sonntag zwei Konzerte im Berner Wankdorf Stadion spielen. Trotz schweren Anschuldigungen wegen sexualisierter Gewalt, die im Umfeld der Konzerte stattgefunden haben soll.

Die Vorwürfe haben seit Anfang Juni zahlreiche Frauen auf sozialen Medien und in Medienberichten erhoben. Sie richten sich vor allem gegen den Rammstein-Frontmann Till Lindemann. Junge weibliche Fans sollen gezielt für sexuelle Handlungen mit ihm rekrutiert worden sein. Teilweise ist auch die Rede von k.o.-Tropfen oder Drogen, die Betroffenen verabreicht worden seien. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Reicht das?

Die Anschuldigungen weisen auf ein System hin, das nur funktionieren kann, wenn viele Akteur*innen daran beteiligt sind: Mittelspersonen, die Frauen gezielt anwerben. Die Band, Crewmitglieder, Sicherheitsleute. Und: die Veranstalter*innen.

Sie lassen eine Band auftreten, sie hosten Afterparties, sie stellen Infrastruktur zur Verfügung – im Fall von Rammstein soll es etwa einen versteckten, abgetrennten Bereich unter der Bühne gegeben haben, in dem Lindemann während Konzerten Sex mit Fans hatte.

Die bisher einzigen Zugeständnisse der Berner Rammstein-Veranstalterin: Die Konzerte am Wochenende sollen ohne «Row Zero» für Gäste stattfinden. Das ist ein abgetrennter Bereich direkt vor der Bühne, reserviert für Sicherheitspersonal und Fotograf*innen, zu dem bei Rammstein-Konzerten bisher junge Frauen exklusiven Zugang hatten. Ausserdem seien spezialisierte Care-Teams im Einsatz.

Aber reicht das? Wie sind Veranstalter*innen generell verantwortlich für das, was vor und hinter ihren Bühnen geschieht? Und welches Bewusstsein dafür ist bei den Berner Konzertveranstalter*innen vorhanden?

Mitten im Business

Was zwischen Stars und ihren Fans passiert, lässt sich von aussen schwer kontrollieren. Weltbekannte Bands sind rentable, private Grossunternehmen. Das Machtgefälle ist enorm. Die ziemlich einzigen, die dabei noch einen Einfluss haben können – vor, während und nach Konzerten – sind die Veranstalter*innen.

Natürlich liegt die Endverantwortung für das, was sich mutmasslich seit Jahren bei Rammstein-Konzerten zugetragen hat, nicht bei ihnen. Auch in anderen Fällen von Grenzüberschreitungen – es wäre verwunderlich, wenn es sie nicht gäbe – nicht. «Doch Veranstalter*innen stehen in der Verantwortung, welche Bands sie buchen», sagt Yvonne Meyer von Helvetiarockt, dem Verein, der sich für mehr Diversität auf Schweizer Konzertbühnen einsetzt.

Veranstalter*innen können hinschauen, sie können schwierige Passagen in Verträgen hinterfragen und sie ablehnen, sie können Policies bezüglich Afterparties und Zugangsregelungen zu ihren eigenen Events gelten lassen. Und sie können Konzerte absagen – oder Bands gar nicht erst buchen.

Die Grossen bleiben vage

Die «Hauptstadt» hat mehrere Veranstalter*innen im Raum Bern befragt zu ihrem Umgang mit problematischem Verhalten von Künstlern und sexualisierter Gewalt.

Antworten zu erhalten, war besonders bei den grossen Akteur*innen nicht einfach.

Neben der Rammstein-Veranstalterin «Gadget abc Entertainment Group AG» sind darunter etwa auch «Good News Production AG», die in den nächsten Wochen Konzerte von Iron Maiden oder Mötley Crüe & Deff Lepard veranstaltet, und «Act Entertainment AG», verantwortlich für das Greenfield Festival, das letztes Wochenende in Interlaken stattgefunden hat.

Alle drei foutieren sich um eine klare Rückmeldung und lassen den Fragenkatalog der «Hauptstadt» unbeantwortet.

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Till Lindemann an einem vergangenen Konzert. (Bild: Stringer)

Er enthält unter anderem folgende Fragen: Welche Sicherheitsmassnahmen treffen Sie, um sexualisierten Übergriffen von Bandmitgliedern auf Fans vorzubeugen? Wo sehen Sie sich in der Verantwortung, um solche Vorfälle im Rahmen Ihrer Veranstaltungen zu verhindern? Haben Sie eine Policy für Afterparties oder andere Anlässe mit exklusiven Zugangsregelungen an Ihren Veranstaltungen?

«Good-News»-CEO Stefan Matthey verweist zuerst auf «Gadget», weil diese Firma ja Rammstein veranstalte und nicht seine. Erst auf erneute Nachfrage schreibt er einen einzigen Satz: «Wir verurteilen jegliche Gewalt und Sexismus jeglicher Art an Veranstaltungen vor und hinter der Bühne, sowie im Leben generell aufs Schärfste.»

Die Rammstein-Veranstalterin «Gadget» äussert sich nach langem Schweigen mit einem offenen Brief auf ihrer Website und verkündet dabei auch: «Geschäftsleitung und Mitarbeitende arbeiten seit geraumer Zeit an Awareness-Konzepten». Was diese Konzepte genau beinhalten, bleibt unklar.

Und die Greenfield-Veranstalterin «Act Entertainment AG» schreibt nur: «Wir können gerade nicht da drauf antworten.» (Zu ihrer Verteidigung: Die Anfrage ging kurz vor dem Festival ein.)

Verunsicherung in der Branche

Warum reflektieren grosse Veranstalter*innen offenbar kaum, welche Bedingungen auf, hinter und neben Konzertbühnen noch zeitgemäss sind – und dass das Motto «Sex, Drugs and Rock’n’Roll» äusserst schlecht gealtert ist?

Der wahrscheinlichste Grund dafür ist natürlich das Geld. Laut der amerikanischen Fachzeitschrift «Pollstar» haben die zwölf rentabelsten Rammstein-Auftritte 2022 einen Ticketumsatz von fast 64 Millionen US-Dollar eingespielt. Das sind mehr als fünf Millionen pro Konzert, wie der «Spiegel» schreibt.

Yvonne Meyer von Helvetiarockt sagt aber auch: «Es ist ein heikles Thema und in der Branche viel Verunsicherung da. Dabei ist es enorm wichtig, dass immer wieder auf sexualisierte Gewalt sensibilisiert wird.» Helvetiarockt will mit einer Studie herausfinden, was Clubs und Festivals brauchen, um sexualisierte Gewalt zu verhindern. Die Resultate sollen im kommenden November vorgestellt werden. «Damit Veranstalter*innen in diesem Bereich aktiv werden können, brauchen sie finanzielle und personelle Ressourcen», sagt Yvonne Meyer dazu schon jetzt. Ab nächstem Jahr will der Verein zusammen mit Petzi, dem Dachverband der Musikclubs und Festivals, zudem Schulungen zum Thema anbieten.

Die Kleinen sind voraus

Immerhin: Nicht bei der gesamten Berner Eventbranche rennt man gegen verschlossene Türen.

Weiter als die ganz grossen scheinen in Bern die kleineren Veranstalter*innen zu sein. Bei ihnen laufen seit wenigen Jahren verschiedene Kampagnen in diesem Themenbereich.

So etwa beim Dachstock in der Berner Reitschule. Hier gehöre ein Awareness-Konzept seit langem zum Alltag. «Nur wenn Veranstalter*innen, Besucher*innen und Arbeitnehmer*innen Verantwortung übernehmen, kann versucht werden, Diskriminierung und Gewalt bei Veranstaltungen entgegenzuwirken», schreibt das Kollektiv auf Anfrage. Awareness sei ein Teil der Grundausbildung im Dachstock. Darum sei das ganze Team darin geschult.

Im Berner Progr läuft seit September 2022 eine Awareness-Kampagne. Das Ziel: Besucher*innen sollen auf die Hausregeln aufmerksam gemacht und aufgefordert werden, diskriminierendes Verhalten zu melden. «Wir haben ein Tool auf unserer Awareness-Website eingebaut, mit dem sich Leute bei uns melden können. Für ein Kulturhaus ist das meines Wissens einzigartig hier in Bern», sagt die Verantwortliche Mirjam Fierz. Durch diese Feedbackmöglichkeit will der Progr mit Betroffenen das Gespräch suchen und herausfinden, was verbessert werden könnte.

Was man bisher sagen könne: Das Tool auf der Website funktioniere und werde wahrgenommen. «Es ist jedoch weiterhin so, dass es zu Vorfällen von übergriffigem und diskriminierendem Verhalten kommt und die Hausregeln nicht eingehalten werden», sagt Fierz. Deshalb werde die Kampagne und deren Sichtbarkeit nun nochmals intensiviert. Seit diesem Monat macht man im Progr die Gäste mündlich auf die Regeln und das Meldetool aufmerksam. Zudem werden die Plakate und Infostände ausgeleuchtet.

Auch beim Bierhübeli verfolgt man das Thema aufmerksam. «Afterpartys finden im Backstage nie statt. Einen sexualisierten Übergriff würde das Bierhübeli niemals akzeptieren. Dieser hätte polizeiliche Massnahmen zur Folge. Solch ein Verhalten ist nicht tolerierbar», schreibt Dave Naef, Geschäftsführer und Kommunikationsverantwortlicher des Berner Lokals.

Keine Afterparties auf dem Gurten

Schliesslich meldet sich auch noch eine der grossen Veranstalterinnen zu Wort: Lena Fischer, Mitglied der Geschäftsleitung des Gurtenfestivals, äussert sich auf die Anfrage der «Hauptstadt» ausführlicher.

Da der Gurten räumlich extrem eng sei, gebe es seit jeher strenge Backstage-Regeln, die auch innerhalb der Crew gelten würden. «Afterparties gibt es eigentlich nie, und wenn, dann bekämen wir das mit», sagt Fischer. Bekannte Bands würden wegen der Platzverhältnisse meist nur gerade für den Auftritt auf den Gurten kommen und danach gleich wieder gehen.

Der Gurten verfügt seit letztem Jahr über eine neben der Bühne gross kommunizierte Whatsapp-Nummer, auf der sich Fans melden können, sollten sie sich belästigt fühlen. Es gibt auch weitere Meldekanäle, so einen für die Crew und einen für Bands. «Wir hatten sehr wenige Meldungen, aber wir können natürlich nicht abschliessend sagen, ob das ist, weil es nur wenige Vorfälle gab, oder weil noch zu wenig Leute davon wussten», sagt Fischer. Es sei ein steter Prozess, man müsse dranbleiben.

Stetiger Prozess

Lena Fischer arbeitet seit 14 Jahren in verschiedenen Positionen in der Musikbranche und hat dabei mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun, die zum Teil deutlich länger im Business sind. Da wurde und werde oft gesagt, dass Afterparties, der Konsum von Alkohol und Drogen früher viel ausufernder gewesen seien als heute. Dabei sei jedoch nie explizit die Rede von Machtmissbrauch und sexualisierten Übegriffen gewesen, sagt sie.

Und trotzdem: «Ich denke, es ist eine Utopie zu glauben, dass Machtmissbrauchs-Vorfälle nur Einzelfälle sind.» Für Veranstalter*innen sei der Umgang mit Diversität und Diskiminierung ein steter Prozess. Man müsse sich damit beschäftigen, investieren und dabei auch wirklich etwas verändern wollen.

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Diskussion

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Sarah Aeschbacher
13. Juni 2023 um 04:10

So gut, danke! War ja eigentlich schon vorher klar, wo Konzerte am meisten Spaß machen. Aber Ihr Text klärt einen Grund dafür. Vielleicht können hier die Kleinen den großen auf die Sprünge helfen? Im souslepont war es schon anfangs 90er so, dass Frauen und andere Menschen, die oft diskriminiert werden, besonders geschützt wurden, es gab Hausregeln und wir konnten uns auf die Unterstützung des Personals verlassen.

Merci Reithalle für die Vorbildrolle ❤️