Wohnen – Stadtrat-Brief #7/2025

Sitzung vom 27. März 2025 – die Themen: Wohnpolitik; Stadtfinanzen; versteckte Kinder; Informatik; Rücktritte; Mundart.

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Wohnraum wird immer knapper. Mieten und Immobilienpreise steigen. Auch in Bern. Wie die Stadt dieses Problem angehen soll, darüber debattierte das Parlament an der Sitzung von Donnerstag angeregt. 

Mit einer Motion forderten SP und Juso, den bereits bestehenden Rahmenkredit zum Erwerb von Liegenschaften um 60 Millionen Franken aufzustocken und um vier Jahre zu verlängern. 

Das Berner Stimmvolk hatte 2019 einen ersten solchen Kredit über 60 Millionen Franken genehmigt. 2021 wurde er um 45,5 Millionen aufgestockt. Mit dem Geld kann die Stadt über den Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik Liegenschaften erwerben, ohne dass Parlament und Volk zustimmen müssen. So kann sie bei guten Gelegenheiten auf dem Immobilienmarkt zugreifen. Die gekauften Liegenschaften werden damit dem freien Markt entzogen, die Wohnungen müssen zu bezahlbaren Preisen vermietet werden.

Lena Allenspach (SP) sagte für die Einreichenden: «Die Politik hat zwei Hebel, um bezahlbaren Wohnraum zu fördern: Das Mietrecht verbessern oder die Besitzverhältnisse ändern.» Da ersteres national geregelt ist, müsse die Stadt den zweiten Hebel nutzen. Auch der Gemeinderat stellte sich hinter die Motion, wie Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP) entgegen der Haltung ihrer Partei im Parlament ausführte.

Das bürgerliche Lager sieht es anders. «Mehr Geld bedeutet nicht automatisch mehr Wohnungen, sondern vor allem mehr Schulden für die Stadt», sagte Simone Richner (FDP) in einem engagierten Votum. Immobilien zu kaufen löse das Problem nicht. Es müsse zwingend mehr Wohnraum gebaut werden. «Und hier versagt die Stadt», so Richner. Bauprojekte verzögerten sich und Bewilligungsverfahren dauerten viel zu lange: «Wir müssen bei diesem strukturellen Problem ansetzen.» Der Rahmenkredit sei bloss ein teures Pflaster.

Erwartungsgemäss setzte sich die linke Ratsmehrheit durch und erklärte die Motion mit 43 zu 21 Stimmen für erheblich. Damit muss der Gemeinderat eine Vorlage für das Stimmvolk ausarbeiten, um den Kredit zu verlängern und aufzustocken. 

Das Nachsehen hatte die bürgerliche Minderheit auch bei zwei weiteren Vorstössen zur Wohnpolitik. Mit einer Motion und einem Postulat wollte die FDP sich statt für günstige Mieten für den Traum junger Familien vom Eigenheim einsetzen. Die Stadt sollte verpflichtet werden, 25 Prozent des von ihr neu erstellten Wohnraums an Stadtberner Familien mit Kindern und einem mittleren Einkommen zu verkaufen. Etwa in künftigen Siedlungen im Viererfeld/Mittelfeld. 

Immer mehr Familien müssten von der Stadt in die Agglo ausweichen, begründete Simone Richner den Vorstoss. Der Mittelstand könne sich den Wunsch nach Wohneigentum in der Stadt fast nicht mehr erfüllen. Das schade der Vielfalt der Stadtberner Gesellschaft. «Ein Mittelstand ohne Perspektive ist ein Standort ohne Zukunft», sagte Richner.

Die links-grünen Parteien nutzten für einmal Argumente, die sonst ihre Gegner*innen oft brauchen: Familien den Traum vom Eigenheim zu erleichtern, sei nicht Aufgabe der Stadt, sondern des freien Marktes, sagte Mirjam Roder (GFL). «Bei allem Verständnis, das drängendere Problem ist bezahlbarer Wohnraum für alle.» 

Anna Jegher (JA) fand scharfe Worte für den FDP-Vorstoss: «In einer Stadt, in der akute Wohnungsnot herrscht, eine solche Forderung zu stellen, ist zynisch und weltfremd», sagte sie. Die Vorstellung, sobald ein Kind da sein, müsse man ein Haus kaufen, könne man getrost im letzten Jahrhundert zurücklassen.

Die FDP-Vorstösse wurden mit 6 zu 59 (Motion) beziehungsweise 11 zu 55 Stimmen (Postulat) abgeschmettert.

Lena Allenspach, SP fotografiert am Donnerstag, 13. Februar 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ratsmitglied der Woche: Lena Allenspach

Lena Allenspach (32) ist Politologin und sitzt seit 2021 für die SP im Stadtrat. Sie wuchs in Wengen auf, studierte in Freiburg und Bern und arbeitet als Mediensprecherin bei der SP  Schweiz. Seit 2021 ist sie Co-Präsidentin der SP Stadt Bern.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Ich möchte die Stadt Bern aktiv mitgestalten. Sei es, damit Bern bei der Gleichstellung hin- und nicht wegschaut, oder für bezahlbare Mieten und einen Lohn, der zum Leben reicht.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Damit ich hier nicht spekulieren muss, habe ich drei Ratsmitglieder aus verschiedenen Parteien von Mitte bis Rechts gefragt – das sind ihre Antworten:  1) «Man kennt sie als die perfekte Mischung aus Durchsetzungsvermögen und Charme. Egal ob hitzige Debatte oder komplexe Detailfrage, sie bleibt stets souverän, lösungsorientiert und immer mit einem smarten Lächeln auf den Lippen.»  2) «Für ihre konstruktive Arbeit über die Parteigrenzen hinweg, für ihren Einsatz gegen Airbnb, gegen die Gewalt an Frauen, für Gleichberechtigung und, und, und...»  3) «Lena Allenspach ist eine präzise und durchsetzungsstarke Stadträtin, die ihre Positionen mit analytischem Scharfsinn und klarem Fokus vertritt. Sie bringt Argumente auf den Punkt, ohne sich von Unwesentlichem ablenken zu lassen, und setzt sich mit Überzeugung für ihre Anliegen ein. Dabei schätze ich besonders ihren klaren Blick für das Wesentliche und ihre Verlässlichkeit in der politischen Zusammenarbeit. Der Dialog mit ihr ist stets direkt, inhaltlich fundiert und zielführend – eine Qualität, die in der Politik nicht selbstverständlich ist.»

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Als wir das Zweitwohnungsreglement im Rat behandelten, das zum Ziel hat, Airbnb und Co. einzuschränken und damit bestehenden Wohnraum zu schützen, verzichteten wir darauf, dieses von der Altstadt auf die gesamte Stadt auszuweiten. Dies, damit wir die Vorlage des Gemeinderates nicht zurückweisen und damit länger auf eine Regelung warten müssen, die anfälliger auf Beschwerden sein könnte. Seit 2022 wird das Reglement nun trotzdem vom Hauseigentümerverband blockiert. Angesichts dieser scheinheiligen Verzögerungstaktik bereue ich es, dass wir damals nicht den längeren, dafür ganzheitlicheren Weg gewählt haben.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Stadträtin zu sein ist ein grosses Privileg – es ist nicht selbstverständlich, die Stadt so direkt mitgestalten zu dürfen. Es freut mich zudem sehr, dass die Bevölkerung der SP bei den letzten Wahlen erneut so grosses Vertrauen entgegengebracht hat. Das zeigt, dass sich die Berner*innen ein soziales Bern wünschen. Dafür ergreife ich jeden Tag Partei.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Die Matte! Unter den Lauben den Kopf einziehen, ein kurzer Schwatz mit den Mattelift-Kontrolleur*innen und ein Schwumm in der Aare – seit über 10 Jahren ist das Quartier mein Zuhause. Nur die Treppen könnten etwas besser ausgestaltet werden, aber dank unserem interfraktionellen Vorstoss ist die Stadt hier bereits dran. 

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Stadtfinanzen: Nächste Woche präsentiert der Gemeinderat die Rechnung der Stadt für das Jahr 2024. Es ist gut möglich, dass sie ein Defizit aufweist. Zu diesem politischen Dauerthema befand der Stadtrat am Donnerstag über drei Vorstösse. «Die städtische Finanzpolitik funktioniert nach dem Prinzip Hoffnung», sagte Michael Ruefer (GFL). Es brauche Massnahmen, damit die Stadt nicht blindlings in eine Krise strauchle. Seine Partei wollte gemeinsam mit der GLP/EVP-Fraktion mit einer Motion und einem Postulat eine finanzielle Sicherheitsreserve für Krisensituationen einführen. Der Rat lehnte ein solches Notfall-Kässeli deutlich ab. Die Idee fand auch bei FDP und SVP keinen Anklang. Diese votierten jedoch für die Einführung einer städtischen Schuldenbremse, die mit einer in ein Postulat umgewandelten FDP-Motion gefordert wurde. Mit 22 Ja- zu 42 Nein-Stimmen fand aber auch dieses Anliegen keine Mehrheit. So bleibt bei der städtischen Finanzpolitik vorläufig alles beim Alten.
  • Versteckte Kinder: Die Stadt soll zur Aufarbeitung der Geschichte von versteckten Kindern von Saisonniers in Bern beitragen. Das entschied der Stadtrat mit der Annahme einer Richtlinienmotion der GB/JA-Fraktion. Bis ins Jahr 2002 arbeiteten Ausländer*innen unter dem Saisonnierstatut in der Schweiz. Ihre Kinder durften nicht hier leben. Deshalb wurden sie teilweise zurückgelassen, lebten teilweise aber auch versteckt in der Schweiz unter prekärsten Bedingungen. Der Gemeinderat führte in seiner Antwort auf die Motion bereits Massnahmen auf: Er will etwa die Karteien der Ausländerdienste ins Stadtarchiv überführen und digitalisieren. Das würde es Angehörigen und Forschenden erleichtern, Informationen zur Geschichte Betroffener zu sammeln und aufzuarbeiten. «Es muss sicher noch mehr geschehen. Das wird ein langwieriger Prozess sein», sagte Franziska Geiser (GB), die den Vorstoss eingereicht hatte. Doch die vorgeschlagenen Massnahmen des Gemeinderats seien ein Anfang. 
  • Informatik: Einstimmig hiess der Rat einen Kredit über 1,44 Millionen Franken für die städtischen Informatikdienste gut. Damit kann die Stadt ein zweites Rechenzentrum für weitere fünf Jahre betreiben. Dieses befindet sich bei der Firma NTS Workspace AG, während das Haupt-Rechenzentrum im stadteigenen Beerhaus untergebracht ist. Mit den Rechenzentren sollen Informatikleistungen auch in einem Katastrophenfall sichergestellt werden.

 

  • Rücktritte: Bereits im dritten Monat der neuen Legislatur musste Ratspräsident Tom Berger (FDP) die ersten beiden Rücktritte vermelden. Mitte-Stadtrat Markus Zürcher verlässt den Stadtrat nach neun Monaten, Muriel Graf (AL) nach etwas mehr als einem Jahr. Die Fluktuation im Rat ist schon länger hoch. Als Grund wird oft die schwierige Vereinbarkeit des Mandats mit beruflichen und familiären Verpflichtungen genannt. Tom Berger bedauerte die Rücktritte spürbar. Er nehme wahr, dass immer wieder insbesondere junge Frauen, die neu im Rat seien, an ihre Belastungsgrenzen stiessen. Das habe oft mit sehr hohen Ansprüchen an sich selbst zu tun – was ihnen grundsätzlich hoch anzurechnen sei. Berger appellierte aber an das Parlament: «Es muss nicht immer alles mega perfekt sein, sehr gut reicht manchmal auch.» Es sei wichtig, mentale Gesundheit zu enttabuisieren und Respekt vor sich selbst und den eigenen Grenzen zu haben.

PS: Der Stadtrat debattiert neu mehrheitlich auf Hochdeutsch statt wie bisher auf Mundart. Das Parlament hat die Änderung eingeführt, weil es für einige Mitglieder schwierig sei, einer Mundart-Debatte zu folgen. Weil andere jedoch besser Mundart als Deutsch verstünden, dürfen weiterhin alle in der Sprache reden, die ihnen am leichtesten fällt. Am Donnerstag stellten die meisten anwesenden Stadt- und Gemeinderät*innen auf Hochdeutsch um.

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Diskussion

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Margrit Schenker
29. März 2025 um 08:05

Mehr Wohnraum in der Stadt könnte ebenfalls generiert werden, wenn das Vermieten von Wohnungen an Ärzte, Therapeuten, Notare, Architekten nicht mehr erlaubt würde und all diese zweckentfremdeten Wohnungen wieder als Wohnungen genutzt werden könnten. Es stehen genügend leere Büroräume für Praxen, etc. zur Verfügung.