Die Berner Kultur räumt dem Klima wenig Priorität ein

Berner Kulturbetriebe haben Aufholbedarf, was klimafreundliches Handeln betrifft. Nur wenige Veranstalter*innen machen vorwärts – könnten aber als Vorbild dienen.

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Die Berner Kultur könnte grüner sein. (Bild: Manuel Lopez)

Wer einen Raum verlässt, löscht das Licht. Die Spülmaschine soll erst laufen, wenn sie voll ist. Stosslüften im Winter. Mit diesen Massnahmen will das Berner Jugendkulturzentrum Gaskessel seine Emissionen reduzieren. Angeregt hat sie Lukas Schlatter, Mitglied im Vorstand des Vereins Gaskessel. Schlatter hat vor zwei Jahren seine Bachelorarbeit in Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich über die energetische Optimierung des Gaskessels geschrieben.

Seine Forschung hat im Gaskessel diverse Veränderungen angestossen: Neu laufen die Kühlschränke bei der Bar nur, wenn Veranstaltungen stattfinden; früher wurden sie nie abgestellt. «Für das Personal entsteht mehr Aufwand, da sie das Kondenswasser putzen müssen. Der Energiespareffekt wiegt das aber auf», sagt Schlatter. Die Aussenbeleuchtung wird erst eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn eingeschaltet, nicht wie bisher bereits am Nachmittag, wenn die ersten Mitarbeiter*innen ihre Schicht antreten.

Lukas Schlatter, Gaskessel
Lukas Schlatter hat untersucht, wie der Gaskessel Energie sparen kann. (Bild: Manuel Lopez)

Was beim Reisen und bei der Ernährung längst selbstverständlich ist, fehlt beim Konsum von Kultur: Das Bewusstsein für die Auswirkungen auf das Klima. Wer macht sich schon Gedanken, wie viel Strom das Bühnenlicht benötigt oder der Musikverstärker? Geschweige denn, aus welcher Quelle er stammt. Und ist die Künstlerin mit dem Flugzeug angereist?

Mit solchen Fragen beschäftigen sich aktuell die Macher*innen des Berner Theaterfestivals auawirleben. Gemeinsam mit einem Unternehmen für Nachhaltigkeitsberatung untersuchen sie, wie viel CO2-Emissionen welcher Bereich des Festivals verursacht. Nach der nächsten Austragung im Mai wollen sie die Ergebnisse veröffentlichen.

Das heisse aber nicht, dass sie erst jetzt anfangen würden, den Betrieb klimafreundlich zu gestalten, sagt Dramaturgin Silja Gruner. «Das Thema ist durch Wissen und Interesse im Team schon lange präsent», so Gruner. In seinem Manifest ordnet sich auawirleben selbst an, für Visionierungsreisen bei Strecken von weniger als elf Stunden Reisezeit Zug oder Bus zu benutzen. Und die Künstler*innen sind aufgefordert, für Strecken von unter neun Stunden Anreisezeit, das ebenfalls so zu halten. «Die Reisen machen zirka 45 Prozent der CO2-Emissionen aus», sagt Silja Gruner.

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Um die Emissionen zu senken, müssen Veranstalter*innen und Künstler*innen am gleichen Strang ziehen. (Bild: Manuel Lopez)

Silja Gruner engagiert sich im Verband Vert le Futur, der sich einsetzt für eine nachhaltige Kultur- und Veranstaltungsbranche. Der Verband organisiert unter anderem Treffen, bei denen sich Veranstalter*innen und Künstler*innen über Lösungsansätze austauschen können. Teil des Netzwerks sind vor allem Betriebe aus den Kantonen Aargau und Zürich. Zum Beispiel das One Of A Million Festival Baden, das nach eigenen Angaben seit 2017 eines der ersten und einzigen CO2-neutralen Festivals in der Schweiz ist.

Aus dem Kanton Bern ist neben auawirleben einzig der Verein bee-flat, der Konzerte im Progr in Bern organisiert, bei Vert le Futur dabei. Bee-flat-Bookerin Lea Heimann: «Wir verzichten teilweise auf unsere Exklusivität und aktivieren unser Netzwerk, damit die Bands ökologisch sinnvollere Tourneen organisieren können.» Dazu hätten sie die Printwerbung eingeschränkt und verköstigten Crew und Bands vegetarisch. Heimann fände es gut, wenn es übertragbare Generalabonnements der SBB gäbe, welche Veranstalter*innen den Künstler*innen für ihre An- und Abreise herausgeben könnten. «Die öffentlichen Verkehrsmittel sind in der Schweiz im Vergleich mit dem Ausland teuer. Das wirkt sich auf die Gagen der Künstler*innen aus», so Heimann.

Geld gegen Massnahmen?

Klimafreundliches Handeln könnte für Berner Kulturbetriebe auch finanziell geboten sein. Im März hat der Berner Stadtrat ein Klimareglement verabschiedet, das eine Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2045 auf Netto-Null vorsieht. Um dieses Ziel zu erreichen, kann die Stadt gemäss Reglement auch bei Fördergeldern und der Erteilung von Bewilligungen ansetzen – Instrumente, welche die Kulturbetriebe betreffen.

Bereits die geltende «Energie- und Klimastrategie 2025» beinhaltet Massnahmen, welche die Kultur betreffen. Vorgesehen ist, dass die Vergabe von Subventionen an die CO2-Reduktion gebunden wird. Im Moment werde diese Massnahme noch nicht umgesetzt, sondern erst geprüft, schreibt die Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie auf Anfrage der «Hauptstadt». Die Direktion prüfe im Moment auch, inwiefern die ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit in der städtischen Kulturförderung stärker verankert werden könnte.

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Klimafreundlicher zu handeln könnte sich auch finanziell lohnen. (Bild: Manuel Lopez)

In den meisten Berner Kulturbetrieben stecken ökologische Projekte noch in den Kinderschuhen. Fehlende Ressourcen, Limiten der Rolle als Veranstalter*innen und mangelnder Wille zur Anreise mit dem Zug bei den Künstler*innen werden ins Feld geführt. Immerhin: Das Bewusstsein, dass Handlungsbedarf besteht, scheint vorhanden.

Zum Beispiel in der Dampfzentrale. Roger Ziegler, der für das Musikprogramm zuständig ist, verfolgt die Arbeit von Vert le Futur. Seine Kollegin Anneli Binder, verantwortlich für das Bühnenprogramm, hat für das Festival «Tanz in Bern» alle Flüge kompensiert. Sie selbst nimmt für Visionierungsreisen seit sechs Jahren den Zug, wenn die Orte nicht mehr als zwölf Reisestunden entfernt liegen.

Bierhübeli und Kapitel betonen, dass sie in der Gastronomie auf lokale und saisonale Produkte setzen. Damit heben sie sich aber kaum von anderen Betrieben ab – eher muss sich ein Restaurant erklären, wenn es keine nachhaltigen Lebensmittel verwendet.

Auch den Bühnen Bern und dem Schlachthaus Theater hat die «Hauptstadt» die Fragen zu ihren Nachhaltigkeits-Massnahmen gestellt. Beide Häuser beliessen es bei der allgemeinen Aussage, dass das Bewusstsein bestehe und Massnahmen angedacht seien.

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Die Kühlschränke im Gaskessel haben neu Pause, wenn keine Veranstaltung läuft. (Bild: Manuel Lopez)

Obwohl der Gaskessel einige Massnahmen eingeführt hat, sieht Lukas Schlatter Potenzial für Verbesserungen: «Die Erdgasheizung verursacht im Gaskessel am meisten CO2-Emissionen.» Das Ziel sei, diese durch eine nachhaltige Heizungsalternative, zum Beispiel eine Wärmepumpe, zu ersetzen. Und zwar im Zuge der Sanierung des gesamten Gaswerkareals, wo in den nächsten Jahren ein neues Quartier entstehen soll. Wann die Bauarbeiten beginnen, steht noch nicht fest. Voraussichtlich Mitte 2023 findet die Abstimmung über die nötige Zonenplanänderung statt.

Weiter plant Schlatter, auf Elektro-Geräte, Heizungen und Kochfelder Sticker zu kleben, um auf deren hohen Energieverbrauch aufmerksam zu machen – und das Personal für einen sparsamen Umgang zu sensibilisieren.

Lukas Schlatter betont, dass es viel Fachwissen und Ressourcen brauche, um klimafreundliche Massnahmen zu erkennen und umzusetzen. «Gerade in der Kulturbranche, wo Geld nicht im Überfluss vorhanden ist, ist es darum schwierig, die Absicht zur Umsetzung zu bringen.» Besonders jetzt nach der Pandemie. Viele Betriebe sind damit beschäftigt, das eigene Überleben zu sichern – was oftmals in Konkurrenz zum Klimaschutz steht.

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Die nächste Veranstaltung von Vert le Futur in Bern findet am 14. Oktober statt. Das Berner Theaterfestival auawirleben und der ISC Club organisieren eine Diskussion zur Mobilität in der Kulturbranche.

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Diskussion

Unsere Etikette
Doris Wolgensinger
29. April 2022 um 17:31

Guter und wichtiger Beitrag! Mitdenken und mithandeln ist gefragt, immer wieder. Auch als Kulturkonsument*in. Wenn möglich mit ÖV oder Velo anreisen oder Fahrgemeinschaften bilden. Es liegt in unserer Verantwortung!

Sandro Leuenberger
28. April 2022 um 13:14

Super-Artikel. Ich habe Bühnen Bern ein Email gesandt, wo ich meine Überraschung kund tue, dass nur eine summarische Antwort an Flavia von Gunten gegeben wurde. Weiterhin habe ich gefragt, ob die Intendanz die CO2-Emissionen ihrer Engagement im Blick hat, wie sie diese reduzieren können und ob sie ein Nachhaltigkeitsressort mit genügend Kompetenz und Ressourcen eingeführt haben.

Daniel Wyss
28. April 2022 um 10:28

Danke für diesen guten Artikel; ich denke schon, dass mit relativ "einfachen" Massnahmen in dem Bereich sich anständige Resultate erzielen lassen. Es ist wohl am Schluss das "grosse Ganze", was zählt!

Nico Gurtner - Museum für Kommunikation
28. April 2022 um 07:09

Spannender Artikel! Wie in vielen Branchen stehen wir erst am Anfang eines Prozesses zu mehr Nachhaltigkeit. Die Beispiele von ersten Massnahmen sind inspirierend.

Wir im Museum für Kommunikation befassen uns im Rahmen der kommenden Ausstellung "Planetopia - Raum für Weltwandel" intensiv mit dem Thema - und auch wir mussten feststellen: Es gibt noch viel Potential. Also packen wir das an, jeder Schritt vorwärts trägt zu einer Verbesserung bei!