Oma, spiel doch mit der Robo-Robbe!

Der Kanton Bern fängt an, die Pflegeinitiative umzusetzen. Keinen Augenblick zu früh, findet unser Philosophie-Kolumnist und erwägt technische Alternativen für den Bereich der Alterspflege.

Illustration für die Philo Kolumne
(Bild: Silja Elsener)

Wie letzten Monat berichtet wurde, soll die Pflegeinitiative, die 2021 von der Schweizer Stimmbevölkerung angenommen wurde, ab diesem Sommer im Kanton Bern umgesetzt werden. Als erster Schritt ist eine Ausbildungsoffensive geplant, und diese ist auch dringend nötig. Es werden schlicht nicht genügend neue Fachkräfte für den Pflegebereich ausgebildet. Eine spezielle Brisanz hat das Problem da, wo es um die Pflege älterer Menschen geht.

Wir sind, wie oft behauptet wird, eine alternde Gesellschaft, in der immer mehr Menschen auf Pflege im Alter angewiesen sind. Ich erwische mich immer wieder dabei, dass mich Grauen überkommt, wenn ich einen Bericht aus einem Altersheim sehe, in dem nicht genügend Fachkräfte angestellt sind, so dass die älteren Bewohner des Heims mehr vor sich hinsiechen als in Würde leben. Ich möchte niemals in so einem Zustand leben müssen, und ich habe Angst, dass Menschen, die mir nahe sind, auf diese Weise ihr Lebensende verbringen könnten.

Der Notstand in der Alterspflege, der sich in allen Ländern Europas, aber auch bei uns in der Schweiz abzeichnet, ist alles andere als unvermeidlich. Will man an der Situation etwas ändern, wird man aber Geld – sehr viel Geld – ausgeben müssen. In so einer Situation kann es verlockend sein, nach technischen Lösungen für ein soziales Problem zu suchen. 

Tatsächlich wird seit Jahren an derartigen Lösungen gearbeitet und zwar weltweit. Die Frage ist allerdings, ob wir wirklich solche Wege beschreiten wollen. Darüber müssten wir als Gesellschaft zumindest debattieren. 

Von einem Roboter gefüttert

Um welche technologischen Entwicklungen für die Alterspflege geht es also? Eine Kategorie solcher Technologien lässt sich unter dem Stichwort des Assistierens oder Unterstützens zusammenfassen. So hilft der japanische Roboter «My Spoon» Menschen bei der Nahrungsaufnahme: Ein Plastiklöffel schöpft dabei eigenständig Nahrung aus einer Schale und führt sie zum Mund der älteren Person. Es gibt automatisierte Badewannen, die älteren Menschen bei der Körperpflege helfen, und «Ribo», ein Roboter mit einem ziemlich unheimlichen Bärengesicht, ist in der Lage, Personen anzuheben und zum Beispiel vom Bett in einen Rollstuhl zu tragen.

Es ist kaum zu leugnen, dass es sich dabei um nützliche Produkte handelt, mit denen man über einen kurzen Zeitraum sehr viel Geld in der Alterspflege sparen könnte. Ein grosser Teil der Arbeit von Pflegefachkräften besteht ja tatsächlich aus dieser Art der Unterstützung älterer Menschen beim Essen, Baden und bei der Fortbewegung. Wer sich den Einsatz solcher Roboter aber lebhaft vorstellt (oder in die entsprechenden Youtube-Videos reinschaut), wird nicht umhinkommen, eine gewisse Befremdung zu spüren. Was ist es, dass solche Roboter in der Alterspflege problematisch macht?

Hier lässt sich argumentieren, dass mit ihrem Einsatz ein Trend zur Objektifizierung des alternden Körpers verstärkt wird, wie er sich bereits heute unter den Vorzeichen der Krise in der Alterspflege beobachten lässt. Es kann sich extrem entwürdigend anfühlen, von einer Maschine angehoben und von A nach B getragen zu werden – gerade so, als sei man kein Mensch, sondern ein Holzbalken. 

Für Ribo ist es egal, ob ein älterer Herr Schmerzen an der Hüfte hat oder ob einer älteren Dame gerade schwindlig wird. Man kann diese Roboter vielleicht so programmieren, dass sie solche Faktoren berücksichtigen, aber dadurch werden ihnen die Zustände und das Wohlbefinden der Menschen, mit denen sie hantieren, nicht weniger gleichgültig. Jedem noch so raffiniert konstruierten Roboter ist immer alles egal. Das ist anders, wenn Menschen mit Menschen zu tun haben. 

Ohnmacht oder Ermächtigung?

An dieser Stelle mag man einwenden, dass es bei menschlichen Pfleger*innen keine Garantie dafür gibt, dass sie ältere Personen nicht mit roboterhafter Gleichgültigkeit behandeln. Das ist allzu oft traurige Realität. 

Zudem kann es manchmal subjektiv besser sein, von einem teilnahmslosen Roboter behandelt zu werden, als von menschlichen Pfleger*innen. Gerade bei der Pflege des Intimbereichs könnten viele ältere Menschen die Unterstützung durch eine automatisierte Vorrichtung bevorzugen. In anderen Fällen könnte es ermächtigend wirken, sich die «synthetische Körperkraft» eines Roboters zu eigen zu machen, anstatt permanent auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen zu sein.

Das alles spricht allerdings keinesfalls dafür, die vollständige Lösung der Probleme in der Alterspflege in der Entwicklung assistierender Roboter zu suchen. Sie können in Einzelfällen Personal in Altersheimen oder Krankenhäusern entlasten. Doch wir sollten Zustände vermeiden, in denen Roboter das Personal aus Kostengründen zu verdrängen anfangen. Im Vordergrund sollte zudem immer die Perspektive der älteren Menschen stehen und damit die Frage, welche Art von Assistenz sie in ihrer individuellen Situation jeweils bevorzugen.

Andere technische Vorrichtungen, die zurzeit entwickelt werden, können eingesetzt werden, um die körperlichen Zustände oder sogar das Verhalten älterer Personen zu überwachen. Es gibt Roboter, die darüber wachen, dass Personen rechtzeitig ihre Medikamente einnehmen, Vorrichtungen, die erkennen und melden können, wenn ältere Menschen gestürzt sind und Roboter, die sie bei der digitalen Interaktion mit Ärzt*innen unterstützen. 

Darf ein Roboter mich im Haus festhalten?

Gerade wenn solche Technologien Bestandteil einer integrierten Smart-Home-Lösung werden sollten, dürften unmittelbar ethische Probleme auftauchen, die mit Privatheit zu tun haben. Es steht aber auch die Autonomie der älteren Personen auf dem Spiel: Stellen wir uns vor, dass ein Roboter eingesetzt wird, um zu verhindern, dass eine ältere Person eine Herdplatte eingeschaltet lässt. Wäre es nicht naheliegend, wenn dieser Roboter so programmiert werden könnte, dass die ältere Person diese heisse Platte auch nicht anfassen kann? Was ist aber, wenn sie das aus irgendeinem Grund möchte?

Darf ein Roboter in so einer Situation eine ältere Person davon abhalten, an den Herd zu treten? Sollte ein Roboter verhindern können, dass eine ältere Person mitten in der Nacht im Pyjama das Haus verlässt? Sollte er der Person folgen? 

Das alles mag noch wie schlechte Science-Fiction klingen, aber das Tempo, mit dem heutzutage im Bereich der Robotik und der künstlichen Intelligenz geforscht wird, lässt es angebracht erscheinen, dass wir uns heute schon darüber unterhalten, mit wie viel «Autorität» wir Pflegeroboter ausstatten sollten.

Robben-Roboter gegen Altersdemenz

Besonders besorgniserregend ist meiner Ansicht nach die Entwicklung im Bereich der sogenannten sozialen Roboter. Diese Roboter sind nicht dazu da, Personen bei irgendwelchen Tätigkeiten zu unterstützen oder aufzupassen, dass sie genug Wasser trinken, sondern sie sollen ihnen «Gesellschaft leisten». Es handelt sich dabei oft um spielzeugartige Robotertiere, die sich in bestimmten Hinsichten wie echte Tiere verhalten. Das wohl bekannteste davon heisst «Paro» und ist einer Babyrobbe nachempfunden.

Unter dem flauschigen Fell hat Paro Sensoren, durch die sie «spüren» kann, wenn sie gestreichelt wird, worauf sie dann mit Kopf- und Schwanzbewegungen reagiert. Manchmal gibt die Robo-Robbe auch sehr herzige Robbengeräusche von sich. Paro ist in Japan entwickelt worden, wird aber inzwischen auch in Altersheimen in Europa – auch in der Schweiz – eingesetzt.

Der Grund dafür ist, dass der Umgang mit Paro einen therapeutischen oder zumindest beruhigenden Effekt auf ältere Menschen haben kann. Es handelt sich dabei gewissermassen um die synthetische Variante der tiergestützten Therapie. Es gibt Dutzende anderer solcher Robotertiere für den Einsatz in der Alterspflege. Manche von ihnen können dabei helfen, das Fortschreiten von Demenzerkrankungen zu verzögern. Es spricht also viel für Paro und Co.

Ältere Menschen fühlen sich mit einer solchen Robbe auf dem Schoss weniger alleine, sie können entspannen und ihre Empathiefähigkeiten aktivieren, ihre depressive Stimmung hellt sich nicht selten nach einer Viertelstunde mit dem Roboter-Kuscheltier deutlich auf. Und dennoch bleibt auch hier ein gewisses Unbehagen.

Es hat damit zu tun, dass der Umgang mit Paro eine Täuschungskomponente zu beinhalten scheint. Nicht alle der älteren Personen, die mit Paro spielen, denken wirklich, dass es sich dabei um ein echtes Robbenbaby handelt. Aber auf einen Teil von ihnen trifft das zu. Es steht zu vermuten, dass der therapeutische Effekt der sozialen Pflegeroboter dort am grössten ist, wo Menschen zu dem Irrglauben verleitet werden, sie würden ein lebendes Wesen in den Händen halten. 

Ist es aber von der Warte der Moral nicht extrem problematisch, Personen auf diese Weise zu täuschen? Oder wird die Täuschung durch den positiven therapeutischen Effekt schlicht überwogen?

Das Pflegeheim ohne Pfleger*innen?

Selbst wenn es im Einzelfall legitim sein sollte, eine solche Täuschung zumindest in Kauf zu nehmen, verbindet sich mit dem Einsatz der sozialen Pflegeroboter ein Problem, das im Grunde auch die anderen Formen der automatisierten Alterspflege betrifft, die ich erwähnt habe: Älteren Menschen wird dadurch immer mehr die Chance auf echten zwischenmenschlichen Kontakt genommen. Soziale Interaktionen sind aber nicht irgendein Gut, auf das wir einfach verzichten könnten, sondern sie stellen eine Grundvoraussetzung dafür dar, überhaupt ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Aus diesem Grund ist es sehr zu begrüssen, dass der Einsatz von Robotern wie Paro hierzulande primär als eine Massnahme betrachtet wird, die menschliche Pflege ergänzen und nicht ersetzen soll. Angesichts der immer subtiler werdenden technischen Neuerungen im Bereich der Alterspflege beschleicht mich aber die Sorge, wie sich unsere Gesellschaft entscheiden wird, wenn wir einmal an den Punkt kommen sollten, an dem wir glauben, dass wir uns menschliche Pfleger*innen nicht mehr leisten können. 

Schon jetzt hört man von wirtschaftsliberaler Seite, dass der Kampf gegen den Klimawandel zu teuer sei und eine Gefahr für «die Wirtschaft» darstelle. Ist es vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis wir ähnliche Argumente im Zusammenhang mit der Alterspflege hören? Heisst es dann möglicherweise, dass wir doch mit Pflegerobotern günstige Alternativen zu den überkommenen Formen zwischenmenschlicher Pflege haben? 

Die geplante Umsetzung der Pflegeinitiative mag in dieser Hinsicht beruhigend wirken. Aber das Problem der Alterspflege wird mit der Pflegeinitiative von 2021 nicht vollständig gelöst werden können, und es wird mit der Zeit mehr und mehr unserer Ressourcen beanspruchen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass wir in nicht allzu ferner Zukunft Forderungen nach Pflegeheimen ohne Pfleger*innen hören werden. Und dann sollten wir mit guten Argumenten gegen solche Vorschläge ins Feld ziehen können.

Christian Budnik posiert im Büro der Hauptstadt für ein Portrait, fotografiert am 03. März 2022 in Bern.
Zur Person

Christian Budnik ist Philosoph. Er verbrachte seine ersten Lebensjahre in Polen, emigrierte dann mit seiner Familie nach Deutschland und lebt nun seit 15 Jahren in Bern.

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