Gastro-Nomadinnen aus Überzeugung
Seit 2019 ziehen Camille und Céline Rohn mit ihrem Pop-Up Aplati durch die Schweiz. Immer mit im Gepäck: Neugier, Wissensdurst und regionale Zutaten. Eine Begegnung zum Start ihres jüngsten Pop-Ups im Quadrat in Zollikofen.
Wer bei den Schwestern Camille und Céline Rohn zu Tisch sitzt, fühlt sich wie zu Gast bei Freundinnen. Die Begrüssung ist herzlich, die Stimmung unkompliziert und familiär, das Setting wie zuhause im Wohnzimmer. Obwohl das Wohnzimmer jedes Mal anders aussieht: Denn die beiden ziehen mit ihrem Restaurant Aplati herum. Sie waren schon in Burgdorf, an der Lenk, auf der Alp Grüm im Valposchiavo – und ab diesem Wochenende werden sie in Zollikofen zu finden sein.
Dass es sich für ihre Gäste trotzdem jedes Mal wie Heimkommen anfühlt, hat vielleicht auch mit der Art zu tun, wie Camille und Céline Essen zubereiten und servieren. Was sie auftischen, stammt aus der Region und strotzt vor Vitaminen, Geschmack und Geschichten, zeigt sich im genau richtigen Mass bodenständig und wird mit jeder Menge Seele garniert. Regelmässige Produzent*innen-Besuche gehören bei Camille und Céline ebenso dazu wie die Auseinandersetzung mit der jeweiligen Region und Saison. Ganz gleich, wo sie ihre kulinarischen Zelte aufschlagen, es sind immer die Geschichten hinter den lokalen Produkten, die sie aufspüren und ihren Gästen später zu den Gerichten dazu servieren. Eine Ode an die Geschichten zwischen Feld und Teller, auf dass die Genusserlebnisse Gemüt und Gaumen gleichermassen berühren.
Die Weichen fürs heutige Schaffen der Schwestern wurden in ihrer Jugend gestellt. «Wir haben immer schon gerne zusammen gekocht, für unsere Familie, Freund*innen, Nachbar*innen. Seither hat uns die Gastgeberei nie mehr ganz losgelassen, ebenso wenig unsere Neugier und Freude an der Verarbeitung von Lebensmitteln», so die beiden. Sowohl Céline als auch Camille führte diese Leidenschaft später an die Thuner Hotelfachschule, die eine direkt, die andere auf Umwegen und komprimiert aufs Küchenmodul.
Trotzdem war die Premiere an ihrem damaligen Wohnort Burgdorf im Herbst 2019 als zeitlich klar begrenztes und fortsetzungsloses Projekt angelegt, «quasi passend zu meiner Projektarbeit, die sich befristeten Gastro-Konzepten widmete», erzählt Céline. Die Sache mit der Fortsetzungslosigkeit hatte sich bald erledigt (mehr dazu weiter unten) und so haben sich die in der Arbeit aufgelisteten Pop-Up-Vorteile für die beiden inzwischen mehrfach bestätigt: Das finanzielle Risiko ist überschaubar, die Küchen sind in der Regel betriebsfertig, die Experimentiermöglichkeiten und Einblicke in neue Gastro-Welten zeigen sich nahezu unbegrenzt, zudem lassen sich allerhand Synergien nutzen. «Gerade für Jungunternehmerinnen wie uns ist das Potenzial solch befristeter Engagements riesig», sind die beiden überzeugt.
Der Job, der sich nicht nach Arbeiten anfühlt
Als Erwerbsarbeit hätten die beiden ihre Pop-Ups zu Beginn nicht bezeichnet. «Es hat sich schlicht nie nach Arbeiten angefühlt, respektive lange Zeit dachten wir, Arbeit kann doch gar nicht so viel Spass machen», sagt Camille. Die Erkenntnis, dass beides gleichzeitig möglich ist und sich davon sogar leben lässt, kam mit der dritten Station im Rossfeld vergangenen Winter. «Da war plötzlich klar, das ist jetzt unser Job ist.» Es ist eine Arbeit, die sie mit jeder Station noch ein bisschen mehr begeistert. Weil das Netzwerk mit jedem Mal grösser wird, weil jede Region ihren ganz eigenen Zauber und ihre eigenen Produktschätze hat, weil sie Begegnungen lieben. Dazu gehören auch jene mit Stammgästen. Von der Rohn’schen Wanderlust nämlich lassen sich diese nicht abhalten, im Gegenteil, sie reisen den beiden einfach hinterher, «sogar auf die entlegene Alp Grüm im Valposchiavo.» Darüber staunen Camille und Céline immer noch und auch das ist Teil des Aplati-Zaubers: Die beiden nehmen nichts für selbstverständlich, kochen aus reiner Freude an der Sache und freuen sich bis heute über jede einzelne positive Rückmeldung, die sie dafür erhalten.
Wie sie bei der Zusammenstellung ihrer Menus vorgehen, soll am Beispiel der Alp Grüm aufgezeigt werden. Hier oben haben Camille und Céline den Sommer verbracht und ihr Genusserlebnis erstmals in alpiner Umgebung aufgetischt. «Unsere bereits sehr reduzierten Menus – oft stellen wir ein einzelnes Produkt in den Fokus eines Ganges – haben sich dadurch noch mehr reduziert. Hätten wir andernorts zum Beispiel auf dem Arbeitsweg noch kurz Birnel geholt, weil es gut zu dieser oder jener Zutat gepasst hätte, war dies auf der Alp Grüm nicht möglich.» Aber, so die Einsicht, auch gar nicht nötig.
Als Learning aus dem Valposchiavo wollen die beiden den Einkauf darum auch fürs Quadrat in Zollikofen auf einmal pro Woche beschränken. «Eigentlich eine logische Fortsetzung unserer auf möglichst einfaches Handling ausgerichteten Arbeitsweise: Es gibt jeweils ein Menü, das wir während zwei Wochen auftischen, serviert wird nur, was aus der Region stammt und gerade Saison hat, und nun erledigen wir auch den Wocheneinkauf in kompakter Form.»
Auf der Suche nach Produzent*innen setzen die beiden jeweils an einem Ort an und spannen das Netz von dort aus weiter. «Auf der Alp Grüm etwa kamen wir von der Gemüseproduzentin zu deren Vater, der Honig macht, zu ihrer Schwester, die Hühner hält und uns Eier lieferte sowie zu ihrem Schwager, der grossartigen Buchweizen anbaut.» Manchmal aber tauchen künftige Lieferantinnen auch einfach als Gäste mit reich beladenem Kofferraum auf. So geschehen in Burgdorf, als Ursina Steiner vom Biohof Joli Mont bei Aplati zu Tisch sass und von den vielen übrig gebliebenen Khakis erzählte. Camille und Céline nahmen sie ihr ab – heute ist Ursina sowohl Freundin als auch Stammlieferantin, wenn die Schwestern in der Region Bern gastieren.
Vom Zufall und Netzwerk geleitet
Zu ihren Stationen kommen Camille und Céline auf unterschiedlichen Wegen. Burgdorf hat sich aus ihrem dortigen Alltag ergeben. Der Initiant des Küchensharing-Konzepts im Fuchs und Specht wollte sie schon länger in sein Lokal holen. An die Lenk hat sie Camilles Kurzauszeit ebendort geführt. «Mit dem Trinkgeld aus dem Pop-Up in Burgdorf habe ich mir ein paar Tage in der Lenk Lodge gegönnt, wo ich ins Gespräch mit der Inhaberin gekommen bin.» Das eine ergab das andere und bald schon wurde das Genusserlebnis im Simmental aufgetischt. Coronabedingt wurde daraus zum bisher einzigen Aplati-Mal eine Geschichte über zwei Saisons. «In dieser Zeit durften nur Hotelrestaurants geöffnet bleiben und ausschliesslich Hotelgäste bewirten. Dadurch, dass wir eine weitere Saison in der Lenk Lodge blieben, konnten wir trotz Gastro-Lockdown weiter kochen.» Auf die ehemalige Schalterhalle im Rossfeld dann machte sie ein befreundeter Gastronom aufmerksam, die Alp Grüm wiederum entstand aus Instagram-Interaktionen mit den dortigen Pensionsbetreiberinnen.
Das kommende Projekt im Quadrat in Zollikofen nun geht auf ihre Zeit im Rossfeld zurück. «Der Quadrat-Inhaber gehörte dort zu unseren Gästen und fragte uns, ob wir Lust hätten, auch mal in Zollikofen Halt zu machen», erzählen die beiden. Sie hatten. Und so nimmt ab Samstag das nächste Aplati-Abenteuer seinen Lauf. Sesshaft werden ist noch lange kein Thema. Zum einen, weil dann das Atemholen zwischen den Pop-Ups fehlen würde. Zum anderen, weil der Wissensdurst längst noch nicht gestillt ist.
Aplati im Quadrat in Zollikofen: 26. November 2022 Eröffnungsabend (ausgebucht), danach bis Ende Mai 2023 jeweils mittwochs bis samstags um 18.30 Uhr.