Der Berater vom Bahnhofplatz

Die Stadt möchte, dass weniger Autos um den Bahnhof verkehren – ohne dabei Gewerbetreibende zu behindern. Dafür hat sie einen Innenstadt-Lobbyisten als Berater engagiert – zu einem hohen Tagessatz.

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Sven Gubler ist Präsident der Innenstadtvereinigung Bern City. (Archivbild) (Bild: Danielle Liniger)

Berater*innenmandate geben auf Bundesebene gerade viel zu reden. Bundesrätin Viola Amherd (die Mitte) beschäftigt ihre frühere persönliche Mitarbeiterin Brigitte Hauser-Süess (70), die im September pensioniert worden ist, bis Ende Jahr als Beraterin weiter. Hauser bekommt gemäss der NZZ einen Tagesansatz von 1140 Franken – zuzüglich Spesen und Sozialversicherungsbeiträge. Für die drei letzten Monate des Jahres wurde ein Kostendach von 97’000 Franken vereinbart.

Aufträge für externe Berater*innen können auch auf städtischer Ebene Fragen aufwerfen. Ein aktuelles Beispiel: Sven Gubler, langjähriger Direktor und heute Präsident der Innenstadtvereinigung Bern City. Er ist von der städtischen Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün (TVS), der Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) vorsteht, für eine Expertise zum Innenstadtverkehr engagiert worden.

Gublers Beratertätigkeit für die Stadt haben die Tamedia-Zeitungen Bund/BZ kürzlich öffentlich gemacht. Die «Hauptstadt» hat nun die Eckdaten des Mandats recherchiert.

1200 Franken pro Tag

Auf Nachfrage gibt Kruits Direktion folgende Details bekannt: Sven Gubler habe den Zuschlag für das Mandat im April dieses Jahres bekommen, und zwar über sein privates Beratungsunternehmen Gubler Associates GmbH. Das Mandat umfasst laut der TVS rund 30 Arbeitstage, bei einem Kostendach von rund 37'000 Franken. Das ergäbe einen Tagessatz von rund 1200 Franken. Vergleichbar hoch, wie derjenige der Beraterin Viola Amherds. Sven Gubler habe Arbeiten im Umfang von 26'900 Franken schon geleistet und in Rechnung gestellt, hält die TVS weiter fest. 

Inhaltlich kümmert sich Sven Gubler um eine zentrale Frage der städtischen Verkehrspolitik. Die Idee eines verkehrsberuhigten Bahnhofplatzes kursiert zwar schon lange, umgesetzt wurde sie allerdings – bis auf wenige Ausnahmen – noch nicht. Nun kommt wegen des Bahnhofumbaus Bewegung in die Sache. Allerdings ist beim Gemeinderat nicht mehr von einem autofreien, sondern von einem autoarmen Bahnhofsplatz die Rede. Gewerbetreibende, die auf ein Auto angewiesen sind, sollen noch verkehren können. Erprobt wird das Ganze in zwei geplanten Pilotversuchen. Stichwort: «Wirtschaftsverkehr».

Symbolbild zum Point de Presse Zielbild Stadtraum Bahnhof fotografiert am Dienstag, 27. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Der Bahnhofplatz war zuletzt anlässlich der Berner Nachhaltigkeitstage am 7. September 2024 autofrei. (Bild: Simon Boschi)

Weil der Begriff Wirtschaftsverkehr aber rechtlich nicht etabliert ist – und es unklar sei, wie andere Schweizer Städte ihn definierten, brauche es zusätzliche Vorarbeit, schreibt die TVS auf Anfrage. Und diese Vorarbeit kann sie nicht selber leisten.

Fehlende Ressourcen

«Das Tiefbauamt verfügt nicht über die notwendigen Personalressourcen, um die hier angesprochenen Abklärungen selber durchzuführen. Es sei denn, es würden andere wichtige Aufgaben zurückgestellt», so die TVS.

Anstatt die Konzept-, Studien- oder Planungsarbeiten «inhouse» erstellen zu lassen, habe man sich dazu entschieden, dieses Mandat an eine externe Fachperson zu vergeben. Eine übliche Praxis in der Stadtverwaltung.

In diesem Fall wurde mit Sven Gubler jemand beauftragt, den man auch als Interessenvertreter sehen könnte. Gubler präsidiert die Innenstadtvereinigung Bern City. Eine Organisation also, die sich laut Selbstbild für die Interessen des Gewerbes auf politischer und wirtschaftlicher Ebene einsetzt. Bis Ende Jahr ist Gubler interimistisch sogar auch wieder als Geschäftsführer tätig. 

Gubler sagt auf Anfrage, er habe die Frage der Unabhängigkeit vorgängig im Vorstand von Bern City «klar besprochen», da Mandate offengelegt würden. Der Vorstand habe der Eingabe eines Angebotes zugestimmt. Seine aktuelle interimistische Aufgabe sei vom Auftrag nicht betroffen, «womit die Unabhängigkeit weiterhin gegeben ist», hält Gubler weiter fest.

Dass es problematisch sein könnte, einen direkten Interessensvertreter für ein externes Urteil einzubinden, weist die Stadt von der Hand. Gubler sei zum Zeitpunkt der Auftragserteilung gar nicht Geschäftsführer von Bern City gewesen und auch nicht Mitglied der städtischen Arbeitsgruppe mit den Wirtschaftsverbänden. In der Tat hat Gubler erst im Oktober die Geschäftsleitung ad interim von Anna Bähni übernommen, war aber bereits zuvor langjähriger Geschäftsführer der Organisation.

Erfahrung an der «Schnittstelle»

Die Stadt Bern nehme beim Vorhaben der Priorisierung des notwendigen Wirtschaftsverkehrs eine Pionierrolle ein und betrete Neuland. Entsprechend befindet sie sich zurzeit im Wissensaufbau, hält die TVS fest. Gublers Unternehmen verfüge «über ein hohes Fachwissen und viel Erfahrung in der Schnittstelle Wirtschaft – Wirtschaftsverbände – Politik – öffentliche Verwaltung». Das spezifische Fachwissen von Gubler Associates sei «ein Vorteil, da bei der Priorisierung von Wirtschaftsverkehr die Praxis- und Alltagstauglichkeit zentral ist». 

Symbolbild zum Point de Presse Zielbild Stadtraum Bahnhof fotografiert am Dienstag, 27. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Rund 15’000 Fahrzeuge kreuzen täglich den Bahnhofplatz. (Bild: Simon Boschi)

Als die «Hauptstadt» die TVS gemäss Öffentlichkeitsgesetz nach den Dokumenten fragte, in denen der Auftragsbeschrieb an Gubler ersichtlich ist, antwortete die TVS, man könne solche nicht «einfach so herausgeben», lieferte aber eine Zusammenfassung der Auftragsvergabe: Die grundsätzliche Bestrebung, den notwendigen Wirtschaftsverkehr zu priorisieren, wurde laut der TVS auch in der Fachgruppe Stadt- und Gemeindeingenieure des schweizerischen Städteverbands diskutiert. Diese werde vom Berner Stadtingenieur Reto Zurbuchen präsidiert. «Dabei wurde festgestellt, dass keine Übersicht besteht, wie die verschiedenen Städte mit dem Thema Wirtschaftsverkehr umgehen.» 

In diesem Sinne gestalten sich auch die Forschungsfragen, die an die Gubler Associates GmbH gestellt wurden: Wo wird wie mit dem Wirtschaftsverkehr umgegangen und in welchen Bereichen besteht Potenzial für eine Priorisierung des Wirtschaftsverkehrs? Es sollen konzeptionelle Grundlagen für allfällige andere Massnahmen zur Priorisierung des Wirtschaftsverkehrs geschaffen werden – sowohl in der Stadt Bern wie auch schweizweit, schreibt die TVS weiter.

Und was meint die Politik zum erteilten Mandat? Stadträtin Sibyl Eigenmann, die für die Mitte in der Verkehrskommission sitzt, findet den Schritt «naheliegend». Gubler sei in der Stadt gut vernetzt und er kenne die Bedürfnisse der innenstädtischen Gewerbetreibenden. SVP-Stadtrat Janosch Weyermann, der ebenfalls in der Verkehrskommission Einsitz hat, sieht es ähnlich: Es könne durchaus sinnvoll sein, die Erhebung durch einen Vertreter des Innenstadtgewerbes durchführen zu lassen. Gubler sei stetig im Austausch mit dem Innenstadtgewerbe und könne daher wohl am besten feststellen, wer auch künftig über den Bahnhofplatz fahren können muss. 

Vitamin B?

Neben «viel Erfahrung in der Schnittstelle Wirtschaftsverbände – Politik» könnte bei der Auftragsvergabe auch ein guter Draht zur TVS-Direktorin Marieke Kruit (SP) geholfen haben. Zu diesem Schluss kann zumindest kommen, wer einen Blick auf die Unternehmenswebsite Gublers wirft. Dort tritt Kruit als eine von fünf Testimonials auf und lobt den Berater in höchsten Tönen: Dieser packe tatkräftig an und sorge dank seines breiten Berner Netzwerks dafür, dass gute Ideen umgesetzt werden können. Gemeinderätin Kruit lässt auf Nachfrage ausrichten, dass durch das Testimonial kein Interessenskonflikt bestehe. Sven Gubler leiste gute Arbeit und diese Einschätzung teile offensichtlich auch das Tiefbauamt, welches Gubler das Mandat erteilt habe.

Neben Kruit äussert sich auch Marc Heeb, Leiter des städtischen Polizeiinspektorats, auf der Website lobend über Gubler. Er sei «bestens vernetzt in der Hauptstadt und ist somit ein perfekter Türöffner», schreibt er.

Zurück zum Wirtschaftsverkehr: Hier kann mit dem Ende des Gubler-Mandats Anfang 2025 noch nicht mit einer Lösung, sondern vereinfacht gesagt mit einer Auslegeordnung gerechnet werden. Das zeigt der Aufgabenbeschrieb Gublers, den die Stadt auf Nachfrage zur Verfügung stellte. Darin erwartet man unter anderem eine Antwort auf die Frage, welche weiteren «externen Experten» bei der Lösungsfindung unterstützen können. Dies dürfte weitere Beratungsmandate nach sich ziehen.

Aufgabenbeschrieb des Mandats

Gemäss der Berner Tiefbaudirektion hat die Gubler Associates GmbH in ihrer Offerte für die Studie zum Thema «Wirtschaftsverkehr» folgenden Aufgabenbeschrieb definiert: 

Damit zielführend die Themen rund um den Wirtschaftsverkehr in der Stadt Bern angegangen werden können sollen folgende Fragen beantwortet werden:

Interne Sicht Stadt Bern

  • Welche Gremien betreffend „Wirtschaftsverkehr" gibt es in der Stadt Bern (Güterverkehrsrunde, City — Logistic, Entladezonen,etc,)?
  • Welche Themen werden in den einzelnen Gremien der Stadt Bern besprochen? Gibt es thematische Überschneidungen?
  • In welchen Gefässen könnten die Informationen und Resultate der Gremien in der Stadt Bern konsolidiert werden?

Externe Sicht (Vorschlag: Basel, Zürich, Genf, Kanton Bern, Bundesamt für Raumplanung)

  • Welche Gremien / Gefässe betreffend „Wirtschaftsverkehr" gibt es in anderen Schweizer Städten bzw. schweizweit (Kanton Bund)?
  • Wie wird in anderen Städten der „Wirtschaftsverkehr" definiert?
  • Welche Modelle für die Regelung des Wirtschaftsverkehrs gibt es in anderen Schweizer Städten (Zufahrtsregime, Anlieferung, Bewilligungspraxis)?
  • Was gibt es für Vor- und Nachteile der System in den anderen Schweizer Städten?

Rechtliche Grundlagen

  • Was sind die die gesetzlichen Grundlagen zum „Wirtschaftsverkehr", wie definieren wir den Berner „Wirtschaftsverkehr"?

Empfehlungen

  • Wie könnte die Struktur zur Bearbeitung der Thematik der Stadt Bern aussehen (Gremien, Teilnehmer, etc)?
  • Welche Erfahrungen aus anderen Städten könnten angewendet werden?
  • Wo benötigt die Thematik noch weitere Grundlagen (rechtlich, projektbezogen, Mengengerüste, etc)?
  • Welche externen „Experten" können uns bei der Lösungsfindung unterstützen?
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Diskussion

Unsere Etikette
Thomas Schneeberger
17. November 2024 um 20:18

Es ist verständlich, dass man sich dazu Gedanken machen will. Und potentielle Gegner vereinnahmt.

Ich vermute aber, das Resultat kann nur in eins der beiden Extreme kippen:

Entweder ist fast alles "Wirtschaftsverkehr", und weder der autoarme Bahnhofplatz noch die für ZBB nötige Verkehrsreduktion werden gelingen.

Oder das Gewerbe wird genau so sauer sein wie bei jeder rot-grünen Verkehrkehrsmassnahme.