Durch das Berner Bauernjahr

«Das Verrückte ist, Konsument*innen merken eigentlich nichts»

Biobauer Christoph Stalder will weniger Tiere für die Fleischproduktion halten. Damit gibt er einen Teil seines sichersten Betriebszweiges auf.

Impressionen vom Hasle-Muehle-Hof fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Die Schweine haben zwar Blick auf die saftige Wiese, müssen aber im Stall bleiben. (Bild: Manuel Lopez)

Es ist ein schöner Herbstnachmittag, die Sonne scheint, es ist noch mal so richtig warm. Auf dem Hof der Hasle-Mühle in Hasle bei Burgdorf weiden die Kühe mit ihren Kälbern auf den saftig grünen Wiesen. Die Schweine – nicht weit entfernt – sind zwar draussen, stehen aber auf hartem Boden und umzäunt im halboffenen Stall. Die grüne Wiese vor ihrem Rüssel dürfen sie nicht betreten. Sie, 500 an der Zahl, würden das Gras innerhalb kurzer Zeit zu Schlamm zerwühlen. 

Schlamm an sich ist kein Problem. Die Fäkalien, die 500 Schweine produzieren, aber schon. Diese sickern ins Grundwasser – und der Gewässerschutz würde wegen potenzieller Verunreinigung des Trinkwassers auf der Matte stehen.

Das erzählt Biobauer Christoph Stalder der «Hauptstadt» auf einem Rundgang auf seinem Hof. Und kommt rasch auf einen wunden Punkt zu sprechen. «Für unseren Landwirtschaftsbetrieb mit Direktvermarktung stelle ich mir eine artgerechtere Schweinehaltung vor», sagt er. Nächstes Jahr will er deshalb die Schweinezahl mehr als halbieren. Weil er viel Verbesserungspotential in der Haltung seiner Schweine sieht – obwohl sie den Vorgaben des Labels Bio Suisse entspricht.

Schweine sind ein sicherer Betriebszweig

Drei bis vier Monate lang werden die Schweine bei Stalders von 25 auf 110 Kilo Gewicht gemästet. Den Stall – der sowohl einen Innen- wie einen Aussenbereich hat – verlassen die Tiere in dieser Zeit nicht. Sie haben zwar Auslauf, aber können nicht – wie es ihrer Art gerecht wäre – in der Erde wühlen und sich suhlen.

Durch das Berner Bauernjahr

Es braucht mehr Kommunikation von den Produzent*innen und mehr Verständnis und Interesse von den Konsument*innen. Das fanden die Gästinnen des «Hauptsachen»-Talks zum Thema Landwirtschaft

Hier will die «Hauptstadt» ansetzen. Mit der Serie: «Durch das Berner Bauernjahr» sollen Konsument*innen erfahren, vor welchen Herausforderungen Berner Landwirt*innen stehen, und wie sich ihr Konsum und die Herausforderungen der Landwirt*innen gegenseitig beeinflussen. 

Gemeinsam mit Berner Landwirt*innen wollen wir Fragen beantworten wie: Welche Auswirkungen hatte der ausgeprägte Mai- und Juniregen auf die Ernte? Wird es dieses Jahr mehr importierte Biokartoffeln geben als inländische? Wie bereiten sich die Produzent*innen auf das verändernde Klima vor? Welchen Einfluss hat das wandelnde Konsumverhalten?  Auch du als Leser*in und Konsument*in bist gefragt. Welche Themen interessieren dich? Was möchtest du von der Landwirtschaft wissen? Schreib uns eine Mail.

«Wildschweine», sagt Christoph Stalder, «wühlen etwa acht Stunden pro Tag im Waldboden mit ihrem Rüssel nach Futter.» Deshalb will der Bauer für seine Schweine einen Wühlbereich einrichten, etwa 30 bis 40 Zentimeter hoch, aus Kompost. Darin fänden die Schweine Nahrungsmittelabfälle, wie zum Beispiel Karotten, die nicht mehr verkauft werden können. Molke und Käseabschnitte von der Bio-Käserei in der Nähe sollen ebenfalls auf dem Menüplan stehen. «Diese Milchabfallprodukte ersetzen zu 100 Prozent Soja, was sonst die meisten Mastschweine zu fressen bekommen», sagt Stalder.

Impressionen vom Hasle-Muehle-Hof fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Die Anzahl Kühe hat der Bauer schon fast halbiert. Er hält nun 30 Mutterkühe. (Bild: Manuel Lopez)

Sein Ziel: Er möchte seine Schweine nur noch mit solchen Nebenprodukten füttern und weder Futtergetreide anbauen noch kaufen. Halten will er nur so viele Schweine, wie er damit füttern kann. Er schätzt, dass er sich dann auf zirka 200 Schweine beschränken wird. Und 200 Schweine könnten – auch vom Gewässerschutz her – eher auf der Weide sein. 

«Wäre ich nicht der Chef, würde man mich wohl entlassen», sagt der Bauer ironisch. Die Schweinemast sei einer der wichtigsten und sichersten Betriebszweige für seinen Hof. Er beschäftigt 17 Mitarbeitende, aufgeteilt in 500 Stellenprozent für die Landwirtschaft und 600 Stellenprozent für den Hofladen.

Im Jahr werden auf dem Hof 1500 Schweine gemästet und danach als Fleisch verkauft. «Es macht ökonomisch keinen Sinn, nächstes Jahr weniger Schweinefleisch produzieren zu wollen. Aber ich will so nicht unbedingt mehr produzieren», fasst er sein Dilemma zusammen.

Es sei nicht mehr das, was er sich vorstelle. Und auch nicht das, was sich die Kund*innen vorstellen, die im Ryfflihof ein Bio-Schweinsnierstück kaufen, glaubt Stalder.

«Nachhaltig heisst auch finanziell nachhaltig»

Nachhaltiger will Christoph Stalder werden. Deshalb hat er den Hof 2017 auf Bio umgestellt. Und einiges mehr verändert. 

Als Stalder, gelernter Bauer und studierter Agronom, den Hof 2012 von seinen Eltern übernahm, sei dieser ein «typischer Emmentaler Landwirtschaftsbetrieb» gewesen: Konventionelle Milchkuh- und Mastschweinehaltung sowie Anbau von Futter – mit 50 Hektaren Land ein überdurchschnittlich grosser Betrieb.

Familie-Stalder
Familie Stalder: Ursula und Christoph mit Kindern und Hofhund. (Bild: zvg / Julia Gysin)

Schritt für Schritt hat der Bauer den Hof verändert, sein Ziel dabei: Für die Umwelt, die Mitarbeitenden und auch für die Finanzen nachhaltiger werden. «Es muss uns auch noch in ein paar Jahren geben», betont er mehrmals im Gespräch. 

Stalder ersetzte die Milchkühe – er hielt rund 50 Mütter und 50 Kälber – durch Kühe der Angus-Rasse für die Rindfleischproduktion. 30 Mutterkühe (mit zirka 30 Kälbern) hält er aktuell, 20 bis 25 Mutterkühe seien irgendwann der Zielwert. 

Auch die Kühe werden zum Teil mit Nebenprodukten gefüttert. Die Angus-Rasse eigne sich dafür besonders, weil sie genügsamer sei und gut ohne Getreide und ohne Mais auskomme. Gras reiche ihnen. 

Interessant: Im Vergleich zu Milchkühen habe die Angus-Rasse einen ausgeprägten Mutterinstinkt. Wenn eine Kuh ein Kälbchen bekommen hat, dürfe man nicht zu nah an sie ran, das könnte gefährlich werden, erklärt er, als er uns ein frisch geborenes Kälbchen und seine Mutter im Stall zeigt. 

Weniger Fleisch, mehr Risiko

Weniger Tiere und keinen Futtergetreideanbau. Das bedeutet mehr Hektaren für die Nahrungsmittel, die aus dem Boden wachsen. Stalder rechnet vor: «Auf einem Hektar ernte ich zirka 6 Tonnen Futterweizen. Daraus entsteht letztlich etwa 1 Tonne Fleisch.» Baut er auf demselben Hektar Weizen für Brot an, kommt er auf 5 Tonnen Ertrag. Daraus könnten etwa 9 Tonnen Brot gebacken werden. Ein Verhältnis von 9:1. 

Damit ist für ihn der Fall klar. Stalder will möglichst viele Nahrungsmittel produzieren und zwar so, dass jede*r, egal mit welchem Einkommen, Bio kaufen kann.

Impressionen vom Hasle-Muehle-Hof fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Diese Karotten musste ein Mitarbeiter wieder zurückkaufen, nachdem sie die Sortieranlage als «Futteranteil» aussortiert hatte. (Bild: Manuel Lopez)

Jedoch: Weil sich der Biobauer nun mehr auf den Anbau von Gemüse, Getreide und Obst konzentriert, ist er von Wetterschwankungen viel mehr betroffen als bei der Fleischproduktion. 

Die Leiden mit dem Detailhandel

Weniger Tiere bedeuten auch leerstehende Ställe. Die hat Stalder dieses Jahr umgebaut. Drei Kühlräume für Äpfel, Kartoffeln und Karotten sind daraus entstanden. 

Christoph Stalder will nicht nur mehr Gemüse und Getreide anbauen, er möchte am liebsten seinen gesamten Ertrag im Hofladen verkaufen. Auch deshalb beschäftigt er so viele Mitarbeiter*innen im Hofladen. 

Dort gibt es neben Gemüse, Früchte, Fleisch und frischen Backwaren von seinem Betrieb auch Milchprodukte und Rohmilch zum selber Abfüllen (davor soll man noch umrühren) von Biobauern in der Nähe. Er verkauft zudem Eingemachtes, Senf oder Konfitüren. Die Kund*innen sollten an einem Ort ihren Wocheneinkauf machen können, findet Stalder. 

Direktverkauf lohne sich für Bauern mehrfach. Erstens, weil die Karotten, Kartoffeln oder Äpfel nicht den Vorgaben zu Grösse oder Form entsprechen müssen. «Meine Kund*innen kaufen auch krumme Rüebli und kleine Kartoffeln», sagt der Bauer. Ausserdem spüre er von den Kund*innen mehr Wertschätzung, als wenn er an Detailhändler*innen liefere. 

«Egal, ob wir grosse oder kleine Rüebli ernten, oder der Ertrag fast ausfällt wie bei den Kartoffeln dieses Jahr: Wir haben den genau gleichen Aufwand», erklärt Stalder. Dieses Jahr kann er zum Beispiel nur 30 bis 40 Prozent seiner Karotten dem Detailhandel verkaufen, weil sie nicht den Vorgaben entsprechen. Schlechter seien die Karotten deshalb nicht. 

Impressionen vom Hasle-Muehle-Hof fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Der Hofladen in der Hasle-Mühle ersetzt schon fast einen Supermarkt. (Bild: Manuel Lopez)

Die fehlende Wertschätzung des Grosshandels zeigt sich auch bei der Sortierung von Obst, Gemüse und Getreide. Diese laufen durch eine Anlage, die die Nahrungsmittel nach den Vorgaben sortiert. Die Kosten dafür trage er als Bauer. Entsprechen zum Beispiel viele Karotten nicht den Vorgaben (dieser Anteil wird «Futteranteil» genannt), muss der Bauer für die höheren Sortierkosten aufkommen. Will der Bauer den «Futteranteil» behalten, muss er ihn sogar zurückkaufen. 

Import statt krumm oder klein

Zusätzliche Probleme gebe es bei der Fleischproduktion: In der Schweiz werde zu wenig Futtergetreide für Schweine und Hühner produziert. Der grösste Teil komme aus dem Ausland, zum Beispiel aus der Ukraine, sagt Stalder. Als – wegen dem Krieg – kein Futtergetreide (und auch keine anderen Lebensmittel) exportiert wurden, gab es in der Schweiz Futter aus anderen Ländern zu kaufen. Ungerecht, findet Stalder. Dieses Futtergetreide fehle dann an weniger privilegierten Orten der Welt.

Ähnlich sei es in diesem Jahr mit den Kartoffeln. Stalder – und viele andere seiner Kolleg*innen – haben kaum ein Kilo Kartoffeln ernten können. In anderen Jahren sind es im Betrieb Hasle-Mühle um die 100 Tonnen. «Das Verrückte ist, die Konsument*innen merken eigentlich nichts» – im Laden gibt es trotzdem Bio-Kartoffeln. «Vielleicht sind sie aber aus den Niederlanden statt aus der Schweiz.»

Hoftötung und Fleischpreis

Beim Fleisch ist der Preisunterschied zwischen Direktverkauf und Detailhandel krass. Für sein Bio-Rindfleisch erhalte er pro Kilo nur 50 Rappen mehr als andere für ihr konventionelles Fleisch, sagt Stalder. Und das, obschon im Laden dann der Preisunterschied für die Kund*innen bei 30 Prozent liege. Kein Wunder, sei der Anreiz für die Bauern gering, auf Bio-Tierhaltung umzustellen.

Christoph Stalder vom Hasle-Muehle-Hof fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Christoph Stalder hat einiges vor mit seinem Hof. (Bild: Manuel Lopez)

«Fleisch ist eigentlich zu günstig», sagt Stalder. Ein fairer Preis, der das Futtergetreide für die Tiere und den Transport «anständig» einbeziehe, wäre «sicher doppelt so hoch», findet er.

Sein Fleischpreis sei dieses Jahr um zwei Franken pro Kilo gestiegen. Weil er – aufgrund des Engagements eines Mitarbeitenden – die Hoftötung bei seinen Tieren eingeführt hat. Das bringe ihm und dem Hof nicht mehr Geld. Die Methode sei aber stressfreier für das Tier, denn es wird nicht lebend transportiert. Auf der anderen Seite haben Stalder und seine Mitarbeitenden mehr Aufwand: «Es muss jemand zu uns kommen, um das Tier zu schiessen, und innert wenigen Sekunden muss alles Blut auslaufen.» Zusätzlich könne sich der Metzger deklassiert fühlen.

Die Hoftötung habe ihm die Fleischproduktion nochmal neu vor Augen geführt. «Vorher hat den unschönen Part jemand anders gemacht. Jetzt bist du von A bis Z dabei. Von Geburt bis zum Schluss.» Das gehe ihm nah, und das sei eigentlich auch gut.

Auch das hilft ihm wohl dabei, seinen Hof weiterhin nachhaltig umzugestalten.

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Diskussion

Unsere Etikette
Toni Menninger
07. Februar 2025 um 21:00

Gute Serie! Als nächstes wäre dann aber fällig, den Handel unter die Lupe zu nehmen und aufzuzeigen, wo wir diese nachhaltigen Lebensmittel finden können…

Manuel Friedli
24. Januar 2025 um 07:25

Sehr interessanter Artikel - herzlichen Dank!

Und vor Herrn Stalder ziehe ich mit allergrösstem Respekt den Hut für so viel Engagement. Es braucht mehr Bauern, die so denken und handeln wie er. Obschon man bedenken muss, dass ihm die Grösse seines Hofes hier sicher hilft.

Beat Lehmann
30. November 2024 um 10:58

Super Artikel - merci

Ruedi Muggli
30. November 2024 um 07:56

Wieder vielen Dank für den wertvollen Beitrag! Wo kann man in den Städten Produkte von solchen nachhaltigen Bauernfamilien kaufen - ich möchte da einfach unterstützen!