Durch das Berner Bauernjahr

Wenig Kartoffeln, viele Karotten

Berner Biobauer Philippe Riem lässt sich vom Wetter nicht stressen. Aber er wünscht sich frostigere Winter, damit Schädlinge natürlich absterben.

Philippe Riem in Kirchdorf
Bio Bauer
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Was beschäftigt Berner Landwirt*innen? Die «Hauptstadt» startet in den neuen Schwerpunkt mit Biobauer Philippe Riem. (Bild: Danielle Liniger)

Der Bauer Philippe Riem hat viel zu tun. Eine seiner Mitarbeiterinnen ist ausgefallen. Er musste einspringen und sie auf dem Märit vertreten. Soeben ist er zurückgekehrt und lädt flink die Obst- und Gemüsekisten aus dem Lieferwagen. Nur wenige Minuten später sitzt er im Container, der den Mitarbeitenden als Pausenraum dient. Derweil gehen einige seiner Mitarbeitenden auf dem Brokkoli-Feld jäten. 

Durch das Berner Bauernjahr

Es braucht mehr Kommunikation von den Produzent*innen und mehr Verständnis und Interesse von den Konsument*innen. Das fanden die Gästinnen des «Hauptsachen»-Talks zum Thema Landwirtschaft

Hier will die «Hauptstadt» ansetzen. Mit der Serie: «Durch das Berner Bauernjahr» sollen Konsument*innen erfahren, vor welchen Herausforderungen Berner Landwirt*innen stehen, und wie sich ihr Konsum und die Herausforderungen der Landwirt*innen gegenseitig beeinflussen. 

Gemeinsam mit Berner Landwirt*innen wollen wir Fragen beantworten wie: Welche Auswirkungen hatte der ausgeprägte Mai- und Juniregen auf die Ernte? Wird es dieses Jahr mehr importierte Biokartoffeln geben als inländische? Wie bereiten sich die Produzent*innen auf das verändernde Klima vor? Welchen Einfluss hat das wandelnde Konsumverhalten? 

Auch du als Leser*in und Konsument*in bist gefragt. Welche Themen interessieren dich? Was möchtest du von der Landwirtschaft wissen? Schreib uns eine Mail.

Riem wirkt trotz der regenreichen Frühlingsmonate nicht bedrückt. In trockenen Jahren gedeihe das eine Gemüse mehr, in nassen das andere. Er versuche, nicht mit dem Wetter in Konflikt zu kommen. «Daran kann ich eh nichts ändern. Auf dem Hof gibt es genug Dinge, die sonst stressen können.»

Viel Regen, viel Unkraut

Das Wetter beeinflusst die Arbeit von Philippe Riem, der auf seinem Hof regenerative Landwirtschaft betreibt, enorm. Eigentlich habe er ein trockenes Jahr erwartet. Das Gegenteil trat ein: «Wir hatten im ersten Halbjahr keine Woche ohne Regen», sagt der Biolandwirt. Zwar musste er deshalb die Pflanzen nie giessen, aber die Bei- und Unkräuter seien hartnäckiger gewesen. 

In diesem Jahr kann Riem nur wenig Kartoffeln ernten. Er hat drei Sorten angebaut. «Eine davon ist gut gewachsen, die anderen beiden sind eine Katastrophe». 

Zum Vergleich: In guten Jahren erntet Riem pro Are bis zu 400 Kilo Kartoffeln. In diesem Jahr hat die «gut gewachsene Sorte» ergab zirka 180 Kilo Kartoffeln pro Are, die anderen beiden Sorten nur 60 bis 70 Kilo.

Philippe Riem in Kirchdorf
Bio Bauer
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Philippe Riem kann so viele Karotten «wie noch nie» ernten. (Bild: Danielle Liniger)

Die Auswirkungen dieses Ernteausfalls wird Riem erst im neuen Jahr spüren. Wenn er alle seine Kartoffeln verkauft hat und für den Märit- und Onlineverkauf Kartoffeln zukaufen muss. Dafür habe er wohl um die 10’000 bis 20’000 Franken Ausgaben, schätzt der Biolandwirt.

Auch anderen Gemüse wie Kürbis, Melonen oder Zucchetti war der Regen zu viel. «Wenn die zu viel Wasser haben, sagen sie irgendwann Tschüss», sagt Philippe Riem.  

Hitze ist einfacher zu handhaben

Dafür erntet er Karotten «wie noch nie». Das liege aber nicht nur am Wetter, sondern auch am Standort. Die Kartoffeln hat Riem dieses Jahr nahe am Waldrand angebaut, wo es schnell zu Staunässe kommen kann. «In einem trockenen Jahr wäre das ein optimaler Standort für Kartoffeln gewesen, weil dort das Wasser länger gespeichert wird.» Auf dem Rüeblifeld konnte der viele Regen hingegen gut abfliessen. 

Standortfragen und Bodenbeschaffenheit sind wichtig, weil Riem kaum Pflanzenschutzmittel nutzt. Ausserdem sei es wichtig, verschiedene Sorten anzubauen. Denn oft betreffen Ernteausfälle nur gewisse Gemüse. 

Über den Hof

Der Hof von Philippe Riem (35) in Kirchdorf hat eine lange Tradition. Bereits 15 Generationen vor ihm haben den Hof bewirtschaftet, bevor er ihn 2019 übernommen hat. Riems Vater hat den Hof 1985 auf Bio umgestellt und sich so der damaligen Biobauernbewegung angeschlossen, die in den 70er und 80er Jahren entstanden ist als Reaktion auf die ersten Chemie- und Kunstdünger. 

Heute betreibt Philippe Riem den Bauernhof mit einem regenerativen Ansatz. Dieser Ansatz geht weiter als die Anforderungen von Bio Suisse. Der Fokus liegt auf den landwirtschaftlichen Böden: Diese sollen immer durchwurzelt und bedeckt sein und minimal bearbeitet werden. Zudem wird die Biodiversität in und über dem Boden gefördert, mit möglichst leichten Traktoren gefahren und das Tier als integraler Bestandteil in der Produktion genutzt. 

Dazu hält Riem Wollschweine und Schafe, die die Böden abgrasen, mulchen oder umgraben. Dass er ab und zu ein Schaf metzget, sei aber ein Nebeneffekt, der zum natürlichen Lebenszyklus gehöre. 

Er bewirtschaftet eine Fläche von 10 Hektaren. Das ist im Schweizer Durchschnitt eher wenig. Der durchschnittliche Betrieb hat eine Fläche von 21,6 Hektaren (Agrarbericht 2022). Auf dieser kleinen Fläche setzte Riem dieses Jahr 138 Sorten Gemüse an. Das ist im Vergleich zu anderen Betrieben viel.  

Welches Gemüse letztlich gedeiht, ist nicht nur vom Wetter abhängig – sondern auch vom Standort. Dementsprechend ist es bei Riem auch Glück oder Pech, weil er sein Gemüse in einer Fruchtfolge von sieben Jahren anbaut. Das heisst, er baut auf einem Feld nur alle sieben Jahre dieselbe Gemüsefamilie an. 

Damit könne er auch klimatische Veränderungen abfedern. Zum Beispiel mit Nutzhanf, den Riem als Zwischenfrucht sät. Hanf bilde ein grosses Wurzelnetz von zwei bis drei Metern im Boden. Schneidet man die Pflanze ab, verfallen die Wurzeln, der Boden wird dadurch durchlässiger. Das heisst, Wasser kann besser in die Erde kommen, und darauffolgende Früchte können schneller und tiefer Wurzeln schlagen. 

So haben «übertrieben trockene» Jahre wie 2023 und 2022, aber auch «übertrieben nasse» Jahre wie 2021 und 2024 einen kleineren Einfluss auf das Gedeihen des Gemüses. Trockene Jahre seien aber einfacher zu handhaben, weil Riem wässern kann. Ist der Boden hingegen zu nass, kann er fast nichts tun. 

Ein «Krampf-Job»

In diesem «übertrieben nassen» Jahr mussten Riem und seine Mitarbeitenden aufgrund des häufigen Regens zwei- bis dreimal jäten, während es in anderen Jahren nur einmal war. Das mache viel aus in ihrem Betrieb mit 14 Mitarbeitenden, die sich 700 Stellenprozent teilen. 

Philippe Riem in Kirchdorf
Bio Bauer
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Die Hühner geniessen einen grossen Auslauf gleich neben den Wollschweinen. (Bild: Danielle Liniger)

Die 14 Angestellten arbeiten «nur» 50 Stunden in der Woche – und nicht wie sonst in der Landwirtschaft üblich 55 Stunden. Riem hat die neuen Arbeitszeiten Anfang Jahr eingeführt. Ob es sich rechne, könne er erst Ende Jahr sagen. Grund für die Änderung war, dass er ein attraktiverer Arbeitgeber werden wollte. Es sei nicht einfach, Menschen zu finden, die so viele Stunden krampfen wollen. 

Riem beschäftigt keine Saisonarbeiter*innen. «Anständige Arbeitsverhältnisse gehören zur Biolandwirtschaft dazu», sagt er. Als Beispiel nennt er die Beiträge zur Pensionskasse, die erst ab einem gewissen Anstellungsprozent bezahlt werden. Hier würden Erntehelfer*innen oft durch die Maschen fallen.

Dass man in der Politik bereits von einer 35 Stunden Woche spreche, sei für einen Landwirtschaftsbetrieb fern der Realität, fügt er an. Die Möglichkeiten, die Arbeitsleistung zu steigern oder den Lohn zu erhöhen, seien ausgeschöpft.

Direktverkauf statt Grossverteiler

Riem verkauft seine Produkte an Märitständen, in seinem Online-Shop, über (Gemüse-)Abos und im Hofladen. Dadurch ist er nicht von den Grossverteilern abhängig, die Anforderungen an das Gemüse haben, die er teilweise nicht erfüllen kann und will. 

Er hat ein aktuelles Beispiel: «Die Agria-Kartoffel, die sich gut zu Kartoffelstock verarbeiten lässt und deshalb gross wachsen soll, ist bei uns dieses Jahr klein geblieben. Unsere Kunden kaufen unser Gemüse trotzdem.» Eine andere Kartoffelsorte, die Vitabella, würden die Grossverteiler gar nicht annehmen. Weil sie, so der Bauer, zu wenig gelb sei oder keine schöne Form habe. Riem baut sie an, weil sie stressrobuster sei als andere Sorten und sowohl in trockenen Jahren wie in nassen Jahren gut gedeihe.

Philippe Riem in Kirchdorf
Bio Bauer
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Der Direktverkauf über den Hofladen, Märitstände und einen Onlineshop lohnt sich für Riem mehr. (Bild: Danielle Liniger)

Das ist ein Vorteil beim Direktverkauf. Riem kann selber wählen, welche Sorten er anbauen will. Und wenn eine Sorte mal nicht wie gewohnt wächst, kann er seinen Kund*innen den Grund erklären. 

Lieber kältere Winter

Wenn er sich aber etwas wünschen könnte, wären es frostige Winter. Es müsste längere Zeit unter null Grad bleiben, das sei wichtig für den Boden und auch für die Regulierung der Schädlinge, erklärt Riem. So würden sich diese auf eine natürliche Art reduzieren. 

Invasive Schädlinge breiten sich immer mehr aus. Riems Vater habe 35 Jahre lang Randen angebaut. Das sei eine dankbare Kultur, die fast immer gut gewachsen sei. «Seit zwei Jahren haben wir eine Rübenfliege, die fast 100 Prozent der Randen zerstört.» 

Da steht der Bauer vor einem Problem. «Unser Ziel ist nicht die Hobbylandwirtschaft, sondern dass wir Leute mit dem ernähren können, was wir anbauen.» Dass Ernten ausfallen, sei eine Schwierigkeit, mit der er in der nahen Zukunft öfter konfrontiert werden könnte. Pflanzenschutzmittel sind für Riem keine Lösung: «Im konventionellen Bereich waren die Bauern noch länger durch die Pflanzenschutzmittel gestützt. Aber da werden auch immer mehr verboten.»

Bio als Standard

Wichtig findet Riem zudem, dass der Fokus auf stressrobuste Sorten gelenkt werde. «Wir haben die Landwirtschaft in den letzten 40 Jahren nur in eine Richtung entwickelt: Es muss besser aussehen und mehr Ertrag geben.» Das räche sich nun, wenn das Klima sich verändert und das Gemüse dem nicht standhalten kann.

Philippe Riem in Kirchdorf
Bio Bauer
hauptstadt.be
© Danielle Liniger
Die beiden Wollschweine «Wolli» und «Stupsi» sind hochschwanger und deshalb nicht auf dem Feld. (Bild: Danielle Liniger)

Dabei hätten die Grossverteiler eine grosse Verantwortung. Riem selbst erreiche nur die Menschen, die sich schon mit der Landwirtschaft auseinandergesetzt haben und sich dafür interessieren, wie etwas angebaut werde. Die Mehrheit seien aber Kund*innen von Supermärkten und würden sich weniger Gedanken machen, was sie kaufen und woher die Produkte kommen. Das versteht Riem, der, bevor er den Hof übernommen hat, bei Nestlé arbeitete und sich nicht gross mit der Landwirtschaft befasste. 

Der Landwirt hat viele Ideen, wie die Grossverteiler das Angebot anders gestalten könnten. Zum Beispiel, indem Bioprodukte der Standard sind – zum Biopreis. Die konventionellen Produkte sollten in Plastik verpackt werden und es stünde der Hinweis, dass sie Spuren von chemischen Methoden enthalten, schlägt er vor. 

Die Pause ist vorbei, Riem muss weiterarbeiten. Die Kartoffeln sollen bald geerntet werden und die Mitarbeitenden brauchen Hilfe beim Unkraut Jäten. Nur die Wollschweine haben zur Zeit Pause. Sie erwarten bald Nachwuchs und verbringen die Tage in ihrem Gehege statt auf dem Feld. 

tracking pixel

Diskussion

Unsere Etikette
Ruedi Muggli
22. September 2024 um 12:29

Sehr wertvoll, dieser journalistisch hervorragende Beitrag - wenn wir mehr über die Produktionsbedingungen wüssten, würden wir bewusster einkaufen!