Durch das Berner Bauernjahr

«Für die Dorfbäckerei sind wir zu gross geworden»

Bauer und SVP-Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger aus Riggisberg führt den Hof mit seinem Sohn in einer Generationengemeinschaft. Das soll die Übernahme erleichtern.

Hans Jörg und André Rüegsegger fotografiert am Montag, 16. Dezember 2024 in Riggisberg.
Photo: Stefan Wermuth
André und Hans Jörg Rüegsegger in ihrem neuen Schopf, den sie für die Kälberaufzucht gebaut haben. (Bild: Stefan Wermuth)

Es ist ein sonniger und kalter Morgen auf dem Bauernhof in Riggisberg, einem kleinen Dorf oberhalb des Gürbetals. Hier gibt es zwei Chefs. Vater Hans Jörg und Sohn André Rüegsegger führen den Hof seit sechs Jahren gemeinsam. Diese Art von Betrieb heisst Generationengemeinschaft und soll die Weiterführung des Hofes vereinfachen.

Zwar hätte bereits vor sechs Jahren nichts dagegen gesprochen, dass der Junior den Hof direkt übernimmt: Er habe alles erfüllt, was ihm sein Vater als Bedingung dafür aufgetragen hatte: die Lehre, das Militär und die Weiterbildung mit Fachausweis. Aber Hans Jörg Rüegsegger, der für die SVP im Nationalrat sitzt, war damals erst 48 Jahre alt und sie beschlossen, den Hof bis auf weiteres gemeinsam zu führen. 

Das hat für beide Vorteile: André Rüegsegger kann den Hof Schritt für Schritt übernehmen und muss ihn nicht auf einmal kaufen. Und Vater Hans Jörg Rüegsegger kann dem Sohn sein Wissen in aller Ruhe weitergeben, ohne sich einen neuen Job suchen zu müssen.

Risikominderung

Auf dem mit 35 Hektaren überdurchschnittlich grossen Hof ist der Senior für den Ackerbau zuständig: Rüegseggers bauen Weizen, Urdinkel und Futtermais an. Früher habe er auch Kartoffeln und Eiweisserbsen angebaut, erzählt Hans Jörg Rüegsegger. Mit beiden Kulturen hatte er die Qualitätsbedingungen nicht mehr erfüllt: Für die Kartoffeln sei der Boden zu steinig und die Eiweisserbsen seien zu wenig widerstandsfähig gegen nasses Wetter. «Hätten wir letztes Jahr diese Kulturen gesät, wären wir leer ausgegangen», sagt der Bauer.

Auch die Rüegseggers haben Ertragseinbussen mit ihren angebauten Kulturen, aber sie gehen weniger Risiko ein: Im letzten Sommer hat der Grosshandel den Weizen zwar nicht angenommen, weil die Qualität für Mehl nicht gegeben war. Aber Rüegseggers können den Weizen als Futter für Kühe und Kälber verwerten. Unter dem Strich sei mit der Ablehnung nur ein Verlust von 500 bis 1000 Franken pro Hektar, plus die IP Suisse Label Prämie verbunden.

Impressionen vom Hof von Hans Jörg und André Rüegsegger fotografiert am Montag, 16. Dezember 2024 in Riggisberg.
Photo: Stefan Wermuth
Die neugeborenen Kälber müssen zuerst in Isolation, damit sie mit möglichst wenigen Krankheitskeimen in Kontakt kommen. (Bild: Stefan Wermuth)

Hätten Rüegseggers letztes Jahr jedoch Kartoffeln statt Weizen angebaut, hätten sie mit einem Verlust mehreren Zehntausend Franken rechnen müssen. Weil sie mit grosser Wahrscheinlichkeit kaum Kartoffeln hätten ernten können – der Weizen hingegen hat einfach nicht den Vorgaben für backfähiges Mehl entsprochen, kann aber den Tieren verfüttert werden. 

In Jahren wie 2024, wo die Ernte der Familie – wie Hans Jörg Rüegsegger auf seinem Instagramkanal mitteilt – mit weniger als der Hälfte des typischen Ertrags ausfällt, macht diese Sicherheit viel aus.

Auch auf Insta

Klar ist: Das Risiko trägt der Bauer. Er bekommt nur Geld, wenn seine Ernte den Vorgaben des Grosshandels entspricht. «Das glaubt uns fast kein Unternehmer», sagt Hans Jörg Rüegsegger und vergleicht die Landwirtschaft mit der Arbeit eines Schreiners: «Der Kanton würde nicht 100 Tische bestellen, dann erst 80 Tische bezahlen und weitere 10 im nächsten Monat, 10 vielleicht im Frühling.» 

Eine grosse Ausnahme gibt es: Urdinkel. Hier haben Bauern mehr Sicherheit: Sie können dieses Getreide für einen vorher fixierten Betrag verkaufen – egal wie gut die Ernte ausfällt. 

«Beim Urdinkel bekommen wir alles Geld, zu 100 Prozent», sagt Hans Jörg Rüegsegger. Das liegt daran, dass Urdinkel eine alte Schweizer Brotgetreideart (Sorten Oberkulmer und Ostro) ist, die von einer Interessengemeinschaft vermarktet wird. Bereits vor der Aussaat unterzeichnen Abnehmer*in und Bauer einen Vertrag. 

Der Senior-Bauer gibt ab und zu Einblicke auf seinem Instagram-Account. Hier verbindet er seine landwirtschaftlichen Tätigkeiten mit politischen Anliegen. SVP-Nationalrat Rüegsegger hat zum Beispiel im Frühling 2024 eine Motion eingereicht für faire Preise für Produzent*innen

Kühe und Kälber

Der 30-jährige André Rüegsegger kümmert sich auf dem Hof um die Tiere: Die Milchkühe und die Kälberaufzucht, die er neu eingeführt hat. 80 Tiere zählt der Hof, 29 davon sind Milchkühe.

Impressionen vom Hof von Hans Jörg und André Rüegsegger fotografiert am Montag, 16. Dezember 2024 in Riggisberg.
Photo: Stefan Wermuth
Rüegseggers haben vor zwei Jahren einen neuen Schopf für ihre Kälber gebaut. (Bild: Stefan Wermuth)

Kälberaufzucht bedeutet: Rüegseggers ziehen die Kälber auf, männliche Tiere bis sie 80 Kilogramm schwer sind, um sie dann an einen Mastbetrieb zu verkaufen. Die weiblichen Tiere, Gusti genannt, lassen sie im Sommer auf die Alp und werden besamt. Die Rinder wachsen heran bis sie das erste Kalb gebären, anschliessend verkaufen die Rüegseggers sie für den Milchbetrieb oder nehmen sie selbst auf. 

Ein schlauer Schachzug, denn Milchkühe müssen im Schnitt jährlich ein Kalb zur Welt bringen. Viele Bauern verkaufen die Kälber an einen Mastbetrieb, da die Kälberaufzucht zeitintensiv ist und Kälber anfällig für Krankheiten sind. 

Für die Aufzucht haben Rüegseggers vor zwei Jahren einen neuen Schopf gebaut. Er hat Platz für 21 Tiere und Maschinen. Auf dem Dach sind Solarzellen angebracht. Dadurch könnten die Maschinen in Zukunft mit Solarstrom betrieben werden, um bis 2050 fossilfrei zu werden, hat Hans Jörg Rüegsegger ausgerechnet. Bisher fehle aber zukunftsweisende Technologie für Traktoren, zudem sei der Schweizer Markt zu klein und zu teuer für Elektrotraktoren, findet der Nationalrat.

Mehr Tiere bedeuten auch mehr Ausscheidungen. Das sei aber positiv für den Kreislauf, sagt André Rüegsegger: «Wir haben mehr Hofdünger für den Ackerbau. Zuvor mussten wir mehr Kunstdünger kaufen, um die Nährstoffe wieder in den Boden zu bringen.»

Investieren statt sparen

Für Rüegseggers ist klar: Um den Betrieb weiterzubringen, muss man investieren. Auch deshalb haben sie den neuen Schopf gebaut. Investiere ein Bauer, werde das aber auch missverstanden. «Im Dorf hiess es, wir hätten ja genug Geld», erzählt André Rüegsegger. «Dabei machen wir solche Investitionen nicht, weil wir Freude haben, sondern damit wir mithalten können.» Man müsse gewisse Maschinen oder Ausstattungen haben, damit man produzieren könne, was verlangt werde, sagt der Hofbesitzer in spe. 

Dasselbe passiere bei den Direktzahlungen und Subventionen, die die Bauern erhalten, finden Vater und Sohn. «Wir können nicht einfach am Computer ein Kreuz setzen und dann bekommen wir Geld. Dafür müssen wir eine Leistung erbringen», sagt André Rüegsegger.

Was sind Direktzahlungen?

1993 wurden in der Schweiz Subventionen für die Landwirtschaft eingeführt. Bereits zuvor hatte der Staat den Agrarsektor finanziell unterstützt. Damals garantierte er den Bauern Absatzmengen und Preise. Das führte aber zu einer derartigen Marktverzerrung, dass zu viel Butter oder Milch produziert wurde. 

Heute stellen Direktzahlungen für Landwirte durchschnittlich 22 Prozent ihres Einkommens dar. Sie werden mit diesen Subventionen für gemeinwirtschaftliche Leistungen entschädigt, zum Beispiel im ökologischen Bereich. 2023 gab der Bund gemäss Agrarbericht knapp 2,8 Milliarden Franken Direktzahlungen für die Landwirtschaft aus. Bei einem Gesamtbudget des Bundesamts für Landwirtschaft von 3,6 Milliarden Franken ist das ein grosser Teil. 

Um Direktzahlungen zu erhalten, müssen Bauern viele Formulare ausfüllen und praktisch alle Arbeiten dokumentieren. So erfasse das Bundesamt für Landwirtschaft jeden Apfelbaum, jedes Huhn und jeden Hofhund. 

Vorschriften gibt es viele: Rund 4000 Seiten Gesetze und Verordnungen regeln die Schweizer Landwirtschaft.

Hans Jörg und André Rüegsegger sind sich sicher: Damit ein Landwirtschaftsbetrieb möglichst lange überleben kann und vorwärts kommt, braucht es regelmässige Investitionen. «Würden wir nur sparen, hätte ich vielleicht auf die Rente hin einen guten Batzen Geld, aber der Hof würde auseinanderfallen», sagt Nationalrat Rüegsegger. 

Das bedeutet für den 35 Hektaren grossen Betrieb auch weniger Regionalität. Als sie noch weniger Urdinkel anbauten, hat der Hof Urdinkelmehl für eine Riggisberger Bäckerei produziert. Heute sind sie dafür zu gross, Rüegseggers produzieren mehr Mehl, als die Bäckerei zu Brot verarbeiten könnte. Deshalb kann man ihr Mehl, das IP-Suisse zertifiziert ist, im Supermarkt kaufen. 

Arbeit für 2,3 Arbeitskräfte und 2 Familien

Wirtschaftliche Überlegungen sind wichtig für den Betrieb. Der Hof muss genügend erwirtschaften für zwei Familien: André Rüegsegger hat vor wenigen Jahren geheiratet und ist Vater geworden. Hans Jörg Rüegsegger lebt mit seiner Frau auf dem zweiten Bauernhof, der zum selben Landwirtschaftsbetrieb gehört. 

Die Ehefrauen helfen bei Arbeitsspitzen und wenn Hans Jörg Rüegsegger während der Session im Nationalrat sitzt. Daniela Rüegsegger, die Frau von André Rüegsegger, arbeitet noch 40 Prozent auswärts. Grossmutter Susanne Rüegsegger hütet zwei Mal pro Woche die Grosskinder.

Impressionen vom Hof von Hans Jörg und André Rüegsegger fotografiert am Montag, 16. Dezember 2024 in Riggisberg.
Photo: Stefan Wermuth
Im Winter werden die Kälber täglich in diesen Laufhof gelassen. (Bild: Stefan Wermuth)

Durch die Abwesenheiten des Vaters sei aber eines sehr wichtig, sagt der Sohn: gute Kommunikation. 

Düngen und Putzen im Dezember 

Momentan ist es auf dem Hof eher ruhig. Die Feldarbeit ruht, die Tiere müssen versorgt und täglich in den Laufhof gelassen werden. Jetzt werden die Landwirtschaftsmaschinen geputzt, damit sie nicht rosten, manche müssen auch geflickt werden. Rüegseggers hoffen, dass die Kälte lange genug anhält, damit die Böden für mehrere Tage gefrieren. Im Dezember haben sie morgens, wenn der Boden noch gefroren war, die Felder gedüngt. So werden die Pflanzen gestärkt, die bereits im Herbst gesät wurden.

Denn schon das Vorjahr entscheidet mit, wie die Ernte im Jahr 2025 ausfallen wird. 

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Diskussion

Unsere Etikette
Toni Menninger
07. Februar 2025 um 20:46

„ Damit ein Landwirtschaftsbetrieb möglichst lange überleben kann und vorwärts kommt, braucht es regelmässige Investitionen. «Würden wir nur sparen, hätte ich vielleicht auf die Rente hin einen guten Batzen Geld, aber der Hof würde auseinanderfallen», sagt Nationalrat Rüegsegger. “

Das ist sehr einleuchtend, aber das Selbe gilt auch für die Staatsfinanzen. Was Bauer Rüegsegger auf seinem selbstverständlich ist - dass man in die Zukunft investieren muss- bekämpft er als Politiker. Werd ich nie begreifen, diese Schizophrenie bürgerlicher Politik.

Ruedi Muggli
21. Januar 2025 um 08:35

Aufschlussreicher Beitrag - gerne weiter so!