Zukunftsangst

Von AHV bis Ehemann

Was beschäftigt junge Menschen, wenn sie an die Zukunft denken? 18 Berner Berufsschüler*innen erzählen.

Schulklasse aus der BFF fotografiert am Dienstag, 13. Mai 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Jana Leu)
Die «Hauptstadt» hat eine Berufsschulklasse nach ihren Gedanken zur Zukunft befragt. (Bild: Jana Leu)

Die Zeit, in der wir leben, kann bedrohlich wirken. Zumindest, wenn man Nachrichten konsumiert. Was aber längst nicht alle tun, vor allem Jüngere nicht. 

Trotzdem fühlen sich junge Menschen in der Schweiz offenbar zunehmend machtlos, wenn sie in die Zukunft blicken. Das hat kürzlich eine Umfrage im Auftrag des Berner Generationenhauses ergeben. Das aktuelle Weltgeschehen schlage Jugendlichen aufs Gemüt. Die Vorstellung, dass es jeder neuen Generation etwas besser gehen soll als der vorherigen, scheine für sie erloschen.

Was beschäftigt Jugendliche konkret, wenn sie an die Zukunft denken? 

Eine Berufsschulklasse der BFF Bern hat sich bereit erklärt, mit der «Hauptstadt» über diese Frage zu sprechen. Die meisten der 18 Jugendlichen sind zwischen 17 und 20 Jahre alt, eine Schülerin ist 23. Sie befinden sich im zweiten Lehrjahr der dreijährigen Ausbildung zu Fachangestellten Gesundheit.

Geht alles den Bach runter?

Die «Hauptstadt» widmet sich in einem Schwerpunkt dem Thema Zukunftsangst. Am Mittwoch, 21. Mai um 19:30 Uhr findet im Progr (Kleine Bühne) ein generationenübergreifender Talk dazu statt.

Die Schüler*innen kommen in Dreier- oder Vierergruppen zum Gespräch. Mitmachen ist selbstverständlich freiwillig. Dabei sind alle. 

In einem Nebenraum im obersten Stock des Sulgeneck-Schulhauses erzählen sie von ihrer Sicht auf das, was vor ihnen liegt. Viele sprechen besonnen, manchmal entstehen Diskussionen, richtig kontrovers wird es aber nicht. Auch wenn die Themen oft schwer sind, ist die Stimmung entspannt. 

Jede Gruppe hat eine Viertelstunde Zeit – dann geht der Unterricht im Schulzimmer nebenan weiter.

Schulklasse aus der BFF fotografiert am Dienstag, 13. Mai 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Jana Leu)
Von links nach rechts: Amina, Aline, Lenya, Carmen. (Bild: Jana Leu)

«Wer wird mich einmal pflegen?»

Amina, Aline, Lenya, Carmen.

Carmen: Ich denke beim Stichwort Zukunft an irgendwelche Weiterbildungen. Mich würde zum Beispiel Rettungssanitäterin interessieren. Aber ich würde auch gerne noch reisen, und irgendwie habe ich das Gefühl, es bleibt zu wenig Zeit. 

Amina: Es gibt sehr vieles, was man machen kann, und da ist es schwierig zu entscheiden, was man will. 

Aline: Ein bisschen Sorgen macht mir der Fachkräftemangel. Wenn ich selbst mal in ein Altersheim komme, kann meine Pflege vielleicht nicht gewährleistet werden, weil es zu wenig Mitarbeitende hat. 

Sie diskutieren darüber, wie alle den Fachkräftemangel spüren in ihrer Lehre.

Carmen: Eine andere Sorge ist für mich, dass einige Politiker die Frauenrechte wieder einschränken wollen. Ich fände es schlimm, wenn unsere Stellung als Frauen in der Gesellschaft wieder schlechter würde. Wenn wir zum Beispiel wieder Hausfrauen werden müssten. 

Die anderen lachen zustimmend und machen abwehrende Handbewegungen.

Amina: Die Dinge werden auch immer teurer. Und gerade in jungen Jahren mit Geld umzugehen, finde ich herausfordernd. Vor allem, wenn wir dann einmal ausziehen und eine eigene Wohnung bezahlen müssen. Gleichzeitig ist das auch, worauf ich mich in Zukunft freue: Die Freiheit, selbst entscheiden zu können. Nicht wegen allem zum Mami rennen müssen. Ich konnte zum Beispiel mit 18 endlich die Tattoos machen, die ich seit drei Jahren wollte. Auf solche kleinen Dinge freue ich mich. 

Aline: Grundsätzlich sollten wir positiv in die Zukunft schauen. Beim Auto ist die Frontscheibe ja auch grösser als die Heckscheibe. 

Alle lachen und finden das ein gutes Schlusswort.

Schulklasse aus der BFF fotografiert am Dienstag, 13. Mai 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Jana Leu)
Asmait, Askira, Chiara, Amira. (Bild: Jana Leu)

«Unsere Gesellschaft bewegt sich rückwärts»

Asmait, Askira, Chiara, Amina.

Amira: Mich besorgt die Gewalt, die um uns herum passiert, etwa in der Ukraine oder in Palästina. In meinem Heimatland ist es auch ein Thema, dass es Krieg geben könnte. Vielleicht müssen wir einen Dritten Weltkrieg befürchten.

Chiara: Das Klima wird heisser. Die Meeresspiegel steigen. Mich beschäftigt, dass Städte wie Venedig überschwemmt werden könnten. Ich denke nicht unbedingt, dass die Klimaerwärmung mich persönlich betreffen wird. Aber für Menschen andernorts könnte es Probleme geben.

Asmait: Ich habe Angst, dass es in Zukunft für meine Arbeit Roboter geben könnte. Ich habe so viel Zeit in meine Ausbildung investiert – und dann könnte es sein, dass ich plötzlich nicht mehr gebraucht werde. 

Askira: Ich sehe das Gegenteil von dir: Mir macht Angst, dass es in der Pflege immer weniger Fachkräfte geben wird. Ich will in meinem Beruf bleiben, aber wenn es so weitergeht, müssen wir zu viel arbeiten. Dabei werden wir nicht einmal gut bezahlt. Wenn es immer mehr ältere Leute gibt, wird sich das Problem noch verstärken. 

Hauptstadt: Ihr habt also Angst vor der Zukunft?

Amira: Menschen haben in der Vergangenheit viel für die Freiheit und Gerechtigkeit gearbeitet, die wir als Gesellschaft erreicht haben. Und ich habe das Gefühl, wir bewegen uns jetzt wieder rückwärts. Zum Beispiel dürfen in Amerika Frauen nicht mehr abtreiben. Ich habe Angst, meine Rechte zu verlieren, als Frau oder als Mensch. Ich will nicht, dass meine Kinder wie meine Mutter oder Grossmutter leben müssen. Ich will, dass wir Fortschritt machen, dass Männer und Frauen gleich viel verdienen, dass wir Chancengleichheit haben, und dass man respektiert, wenn eine Frau etwas sagt. 

Die anderen pflichten ihr bei. 

Hauptstadt: Gibt es etwas, das euch hilft gegen diese Sorgen?

Askira: Wenn ich nicht arbeiten muss und Zeit habe, helfe ich bei Demos oder beim feministischen Streik mit, zum Beispiel Plakate gestalten oder aufräumen. Mir hilft das. Es gibt mir das Gefühl, ich investiere in die Zukunft. Wenn ich mit der Lehre fertig und stabil bin im Leben, würde ich mich gerne mehr politisch engagieren. Das würde mir Mut machen. 

Amira: Mir hilft es, über Themen, die mich beschäftigen, mit Kolleginnen zu reden oder darüber auf Social Media zu posten. Die jüngeren Leute sollten sich mehr Gedanken über Menschenrechte machen. Uns beschäftigt jetzt oft Ausbildung, Ausziehen, Geld, etc. Aber wir sollten auch für Leute mitdenken, die nicht so viele Vorteile haben wie wir. Im Sudan, im Kongo oder in meinem Heimatland sind Frauen- und Kinderrechte am Boden. Ich bin sicher, wenn ein Mädchen von dort, wo ich herkomme, das Mikrophon bekäme, dann hätte sie gern, dass ihr zugehört wird. 

Schulklasse aus der BFF fotografiert am Dienstag, 13. Mai 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Jana Leu)
Sebastian und Amelie. Auf Wunsch nicht im Bild: Saranda und Rahul. (Bild: Jana Leu)

«Wie soll ich einen guten Mann finden?»

Saranda, Rahul, Sebastian, Amelie.

Rahul: Wenn ich an die Zukunft denke, ist Geld ein grosser Bestandteil. Ich wünsche mir finanzielle Stabilität. Aber wenn wir alt sind, gibt es vielleicht kein Geld mehr in der AHV. Ich hoffe, dass wir noch etwas bekommen. Doch wir müssen wohl im Voraus sparen, damit wir im Alter abgesichert sind. 

Amelie: Mein grosser Wunsch ist es, eine Familie zu gründen. Und, blöd gesagt, halt einen guten Mann zu finden. Und wenn ich mir unsere Generation anschaue, macht mir das manchmal Sorgen. Viele Gleichaltrige sind respektlos gegenüber Mitmenschen. Deshalb habe ich Angst, da keinen guten Mann zu finden.

Sebastian: Das respektlose Verhalten hat mit Social Media zu tun. Man sieht in Videos, dass es lustig ist, wenn man gemein ist zu anderen, und macht es nach. 

Saranda: Ich finde Social Media nicht nur Gift. Es hat auch gute Seiten. Zum Beispiel, dass sich viele auf Tiktok noch ein wenig über die Welt informieren, etwa via 20-Minuten. Trotzdem macht es mir auch Angst, vor allem für die jüngere Generation. Wir haben zu viel Zugang zu Social Media, es ist zu gross. Die meisten Kinder sind zu Hause am Handy, statt rauszugehen und Spass zu haben. Ich war früher immer draussen bei schönem Wetter. Jetzt kommunizieren die Kinder mit den Handys, statt miteinander zu reden.

Sebastian: Ich stelle es mir in Zukunft generell schwierig vor, die verschiedenen Meinungen in der Gesellschaft zusammenzubringen. Die Leute können zu gewissen Themen gar nicht mehr richtig miteinander reden. Man stempelt sich direkt ab und denkt: Der hat sowieso eine blöde Meinung. Dabei wäre es wichtig, auf gemeinsame Lösungen zu kommen. 

Hauptstadt: Was gibt euch Hoffnung oder stimmt euch zuversichtlich?

Sebastian: Mir fällt nichts Besonderes ein, das mir Hoffnung gibt. Das ist aber auch ein Problem, weil man immer nur die negativen Dinge erfährt. Alles, was schiefläuft, wird gross thematisiert. Und was gut laufen würde, bekommt man nicht mit. Zum Beispiel in den Medien.

Rahul: Ehrlich gesagt, ich weiss auch nicht, was zukunftsmässig so richtig positiv ist. Aber zuversichtlich stimmt mich unsere Bildung. Ich finde, dass wir eine echt gute Ausbildung erhalten mit zahlreichen Möglichkeiten.

Alle stimmen zu.

Schulklasse aus der BFF fotografiert am Dienstag, 13. Mai 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Jana Leu)
Ramona und Nehir. Auf Wunsch nicht im Bild: Melanie. (Bild: Jana Leu)

«Ich mache mir Sorgen wegen der heutigen Jugend»

Melanie, Ramona, Nehir.

Nehir: Ich habe Angst, dass wir ein Problemland werden wegen den Jugendlichen. Ich hatte eine völlig andere Kindheit als die heutigen Jungen. Wir hatten mit 14 noch keine Zigaretten in der Hand. Jetzt machen die 14-Jährigen schon alles Mögliche.

Ramona: Ich mache mir auch extrem Sorgen wegen der heutigen Jugend. In der Zeitung liest man: Sie haben jemanden abgestochen oder angefahren. Das kannte ich früher nicht. Und ich merke es selbst, wenn ich in der Stadt unterwegs bin. Vor der Heiliggeistkirche auf dem Bahnhofplatz werde ich regelmässig dumm angemacht, beleidigt und sogar angefasst. Es sind nicht nur Jugendliche, die das tun, aber oft.

Nehir: Ich glaube, das Problem in der Stadt Bern hat damit zu tun, dass mehr Asylsuchende hierherkommen. Und in Bern werden sie oft in Schutz genommen. Ich bin nicht rassistisch. Ich bin auch Ausländerin. Aber ich bin hier geboren und integriert. Problematisch ist, wenn Männer aus anderen Ländern anders mit Frauen umgehen, was für uns negative Auswirkungen hat. Ich glaube, es kommen immer mehr von diesen Männern. Ich gehe am Abend nicht mehr alleine in die Stadt, weil ich mich unsicher fühle. Ich wurde auch schon verfolgt, es ist wirklich mühsam. Aber positiv ist, dass die Schweiz Jugendlichen grundsätzlich viele Möglichkeiten bietet. Unser Bildungssystem ist sehr stark. Das haben andere Länder nicht. Auch die Jugendlichen von heute können einen guten Weg einschlagen, wenn sie wollen. 

Melanie: Ich bin der Meinung, dass wir im Hier und Jetzt leben und einfach dankbar sein sollten für jeden Tag, den wir haben.

Schulklasse aus der BFF fotografiert am Dienstag, 13. Mai 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Jana Leu)
Melisa, Cindy, Mia. (Bild: Jana Leu)

«Kinder, Familie, Hochzeit»

Melisa, Cindy, Mia.

Hauptstadt: Wenn ihr an die Zukunft denkt, was kommt euch in den Sinn?

Alle drei wie aus der Kanone geschossen: Kinder, Familie, Hochzeit. 

Hauptstadt: Freut ihr euch darauf?

Alle: Ja.

Mia: Es ist sicher auch herausfordernd mit der Finanzierung, weil die Kosten so hoch sind in der Schweiz. Ich wünsche mir, dass ich meine Träume verwirklichen kann: Ein Haus, Familie, Hausfrau sein. Vielleicht noch 20 Prozent arbeiten für ein bisschen Abwechslung. 

Cindy: Bei mir ist es ähnlich. Wenn ich ein Leben führen kann wie meine Eltern, bin ich schon zufrieden: Ein Haus und eine Familie haben. Aber seit Corona ist alles teurer geworden. Das wird womöglich so weitergehen, und es ist unklar, ob die Löhne steigen werden. Deshalb frage ich mich, ob ich meinen Kindern so ein schönes Leben bieten kann, wie ich es hatte. Früher kaufte mir meine Mutter alles, was ich wollte, aber bereits heute bekommt meine kleine Schwester nicht mehr so viel, weil manches zu teuer ist. 

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Diskussion

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David Berger
17. Mai 2025 um 09:54

Interessante Meinungen. Man kann sich fragen, wie „repräsentativ“ die Antworten von 16 Frauen und 2 Männern aus dem Gesundheitsbereich sind. Wie hätte wohl eine Klasse von Polymechanikerinnen, Detailhandelsfachleuten oder KV Lernenden geantwortet? Dass ein existenzielles Problem wie der Klimawandel nur gerade von einer einzigen Person angesprochen wird und sich der Medienkonsum dieser Generation scheinbar auf 20 Minuten und Tiktok beschränkt, gibt mir ehrlich gesagt zu denken.