Hausgemachte Unterstützung

Seit fünf Jahren stehen in Fraubrunnen neben den eigentlichen Lehrpersonen regelmässig auch Neuntklässler*innen vor Primarschüler*innen. Wie das funktioniert, zeigt ein Schulbesuch.

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Lauro, Leana und Malou (rechts) unterstützen wöchentlich eine Klasse in der Primarstufe. (Bild: Marion Bernet)

Klingelt es in Fraubrunnen zur grossen Pause, ist das Hallo gross. Hier ist der Pausenplatz nicht aufgeteilt in «die coolen Grossen» und «die schüchternen Kleinen». Hier wird wild durcheinander gewunken und gegrüsst. Denn auf diesem Schulareal kreuzen sich nicht einfach Neuntklässler*innen und Kindergartenkinder, sondern Hilfslehrpersonen und ihre Schüler*innen.

Seit fünf Jahren arbeitet die Oberstufe Fraubrunnen nach dem Konzept von «Flex9», dem vom Kanton unterstützten flexibilisierten 9. Schuljahr, in dessen Rahmen die Oberstufen-Klassen schrittweise in offene Lernszenarien geführt werden und in diesen selbstverantwortlich lernen und arbeiten. Eines davon ist die Tätigkeit als Hilfslehrperson im Zyklus 1 und 2, also in der Primarstufe bis zu sechsten Klasse. Dafür können sich interessierte Jugendliche in der 9. Klasse melden. In Zeiten des Fachkräftemangels eine sehr willkommene Möglichkeit, sich als Lehrperson Teilunterstützung zu organisieren, und auch in anderen Schulen eine beliebte «Flex9»-Option, wie unsere Nachfrage bei der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons ergeben hat.

Selbstorganisiert unterwegs

So seien sie damals überhaupt auf die Idee gekommen, sagt Lehrerin Sandra Bürgy. Sie hat 2019 zusammen mit Julien Ringeisen und Markus Fäs den Grundstein zu «Flex9» gelegt und koordiniert die Einsätze der Hilfslehrpersonen. «Beim Zusammenstellen eines möglichst breiten Angebots an Lernmöglichkeiten ausserhalb des Klassenzimmers haben wir im Team nach weiteren Möglichkeiten gesucht. Etwa zur gleichen Zeit haben Achtklässer*innnen, die nicht mit ins Skilager gefahren sind, in anderen Klassen ausgeholfen. Da hat es Klick gemacht: Wir haben Jugendliche, die wir sinnvoll beschäftigen möchten, die Lehrpersonen wiederum sind froh um jede Unterstützung, die sie kriegen können.»

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Sandra Bürgy hat das Hilfslehrkräfte-Projekt mitinitiiert. (Bild: Marion Bernet)

So treten seit fünf Jahren nach den Herbstferien jeweils an die 30 Schüler*innen ihre neue temporäre Stelle an. Voraussetzungen dafür sind das Einverständnis der Eltern und dass die Noten nicht unter den Einsätzen leiden. Zudem müssen sich die Jugendlichen nach dem Vernetzen mit der ihnen zugeteilten Lehrperson selbstständig organisieren. «Damit können sie zeigen, dass es ihnen ernst ist und sie sich wirklich engagieren wollen», so Sandra Bürgy.

Klappt die Kontaktaufnahme nicht auf Anhieb, unterstützt sie die Jugendlichen. Wird es danach immer noch nichts, bricht sie das Projekt für die betreffenden Schüler*innen ab. Pro Schuljahr betreffe das ein bis zwei Jugendliche. «Dann scheitert es nicht am Organisatorischen, sondern an der Verbindlichkeit. In diesen Fällen ist es auch okay, wenn es nichts wird. Das Verbindliche ist für uns nicht verhandelbar.»

Inspirierender Rollenwechsel

Aus dem gleichen Grund verpflichten sich die Neuntklässler*innen bis mindestens zu den Weihnachtsferien, «ausser natürlich, wenn es gar nicht funktioniert». Das sei jedoch so gut wie nie der Fall. Nach dem ersten Quartal entscheiden die Jugendlichen, ob sie Hilfslehrpersonen bleiben oder lieber noch anderes ausprobieren wollen. Die allermeisten sind aber so begeistert, dass sie bis zum Ende des Schuljahres weitermachen.

So auch Leana, Lauro und Malou, die uns an diesem Dienstagnachmittag Red und Antwort stehen. Alle drei würden sich sofort wieder fürs Hilfslehrpersonenprojekt entscheiden und empfinden den Rollenwechsel als sehr bereichernd.

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Leana hat «ihre» Klasse auch auf der Schulreise ins Welschland begleitet. (Bild: Marion Bernet)

«Mich haben die Aussicht auf Abwechslung und der Perspektivenwechsel gereizt», sagt Leana, die ihre Fünft- und Sechstklässler*innen sogar schon auf einer Schulreise in die Westschweiz begleitet hat. «Im Französisch haben sie Vorträge über Lausanner Sehenswürdigkeiten geschrieben und diese dann auf der Schulreise an den jeweiligen Orten gehalten. Sie beim Erarbeiten zu unterstützen und dann auch bei der Umsetzung erleben zu können, fand ich super.» Sowieso sei es schön, anderen helfen zu können. «Wenn ich einem Kind eine Frage beantworten kann und es sich für meine Hilfe bedankt, fägt das sehr.»

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Lauro unterstützt Viertklässler im Textilen Gestalten. (Bild: Marion Bernet)

Auch Lauro hat gerne mit Menschen zu tun. Er steht seinen Viertklässler*innen im Textilen Gestalten zur Seite, hilft, wenn etwas nicht klappen will oder erklärt die nächsten Schritte. Am meisten staunt er über die Einsatzfreude der Schüler*innen: «Sie sind sehr fleissig und haben richtig Ehrgeiz, mitzumachen», sagt er mit einem Schmunzeln.

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Malou hilft im Französischunterricht. Und kann dabei auch selbst profitieren. (Bild: Marion Bernet)

Anfangs ein bisschen nach ihrer Motivation suchen musste Malou. Sie unterstützt ihre Viertklässler*innen im Französisch-Unterricht, «also nicht unbedingt in einem meiner Lieblingsfächer», wie sie sagt. Inzwischen jedoch sei es sehr spannend, den Stoff noch einmal anzuschauen – und: «Meine Mutter findet, ich sei im Französisch seither sicherer geworden.»

Begeisterte Rückmeldungen

Eine Win-win-Situation also «oder eher ‹Win-win-win›», wie Sandra Bürgy sagt. «Die letzten Jahre haben gezeigt: Das Projekt ist für die Neuntklässler*innen, die Lehrpersonen und deren Schüler*innen gleichermassen wertvoll.» Für die Koordinatorin die beste Motivation, sich einmal pro Jahr in die Mammutplanung zu stürzen.

Verteilt werden die Lektionen nach verschiedenen Kriterien, die den Bedürfnissen aller Beteiligten möglichst gut Rechnung zu tragen versuchen. Wo ist überhaupt Unterstützung gefragt, ist für den Weg zum Aussenstandort ein Moped vorhanden, liegt das betreffende Schulhaus vielleicht sogar auf dem Heimweg, wäre auch ein Einsatz in der Tagesschule denkbar – diese und weitere Fragen fliessen in die Planung mit ein. «Anfang Schuljahr ist es immer ein mega Aufwand. Aber einer, der sich lohnt.»

Dieser Meinung sind auch die Lehrpersonen, an deren Seite Leana und Lauro tätig sind. Sie fühlen sich von den Neuntklässler*innen in mehrfacher Hinsicht unterstützt. «Ich schätze das Projekt und bin darum schon lange dabei. Vor allem im mehrstufigen Französischunterricht bin ich sehr froh um Leanas Mithilfe», sagt Rebekka Hunzinger. «Dass sie gerade in diesem Fach gerne dabei ist, finden einige meiner Schüler*innen besonders toll, und sehen in ihr auch ein Vorbild.» Als weitere grosse Entlastung nennt Hunzinger die Möglichkeit der Einzelarbeit, die sich durch Leana ergibt. Auch Rahel Gyger ist begeistert vom Projekt und Lauros Engagement. «Zu zweit haben wir viel mehr Kapazität, auf die Kinder einzugehen und ihnen entsprechend zu helfen. Seine offene und fröhliche Art, mit der er die Kinder ansteckt, tut das übrige.»

Fürs Leben lernen

Dass die Jugendlichen dabei auch für die Berufswahl profitieren, erlebt Sandra Bürgy immer dann, wenn sie ihnen beim Vorstellen des Konzepts zuhört. «Wir haben regelmässig Besuch von extern, der sich fürs flexibilisierte 9. Schuljahr und das Hilfslehrpersonenprojekt interessiert. Dabei lassen wir nach Möglichkeit zuerst die Neuntklässler*innen erzählen, was sie immer unglaublich souverän machen.» Das gibt Übung im Umgang mit Erwachsenen, die auch Bewerbungsprozesse beflügeln kann, davon ist Bürgy überzeugt.

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Begleitet werden die Schüler*innen von Sandra Bürgy. (Bild: Marion Bernet)

Ähnlich wie das «Flex9»-Team, zu dem seit diesem Schuljahr überdies Anna Kobel gehört, halten es die Co-Schulleiter*innen Noemi Rauser und Ivo Zangger. Die Bühne überlassen sie jenen, die die Projekte im Alltag umsetzen, denn: «Am Ende entstehen und leben solche Projekte nur dank den Lehrpersonen dahinter. Sie sind es, die sie hegen und pflegen, nähren und weiterentwickeln. Unsere Aufgabe als Schulleitung ist es, den fruchtbaren Boden dafür zu schaffen. Die Blumen aber gebühren dem ‹Flex9›-Team.»

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