Städtische Kitas machen 2,5 Millionen Defizit

Ende Monat schliesst die städtische Kita in der Matte. Weitere Schliessungen drohen, wenn die Finanzen nicht 2025 wieder ins Lot kommen. Dafür wird jetzt beim Personal gespart.

Reportaeg Kita Altenberg vom 22.8.2024

© Marco Frauchiger
Weniger Kinder, weniger Zahnbürsten: In Berner Kitas ist die Auslastung zurückgegangen. Mit finanziellen Konsequenzen. (Bild: Archiv Marco Frauchiger)

«Eine hundertjährige Geschichte geht zu Ende», sagt Alex Haller, Leiter Familie und Quartier bei der Stadt Bern. Er meint die Kita Matte, die per Ende Februar geschlossen wird. Sie war die erste städtische Kita überhaupt – schon bald wird nur noch wenig an sie erinnern. Der historische Bau am Aareufer: leergeräumt. «Vielleicht wird das Gebäude von städtischen Schulen weitergenutzt», so Haller, definitiv entschieden sei das aber noch nicht.

In den letzten zwei Betriebswochen spielen, toben und basteln noch fünf Kinder in der Kita – es gäbe Platz für mehr, doch seitdem die Schliessung vergangenen Sommer kommuniziert wurde, haben die Eltern nach und nach rund die Hälfte der ursprünglich 36 Kinder in der Kita Altenberg flussabwärts angemeldet.

Können bisherige Standorte erhalten bleiben?

Die Kita Matte ist also bald Geschichte, und das könnte erst der Anfang sein. Die Stadt muss ein grosses strukturelles Problem lösen, das spätestens im vergangenen Jahr offen zu Tage getreten ist: Die bislang 13 städtischen Kitas mit ihren rund 250 Angestellten und einem Jahresbudget von 16 Millionen Franken sorgten 2024 für ein Defizit von rund 2,5 Millionen Franken. 

«Die Auslastung ist zurückgegangen und wir gehen nicht davon aus, dass sie sich rasch erholt», sagt Haller. Allein die Kita Matte sorgte zuletzt für ein Minus von rund 200‘000 Franken jährlich.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Im Zuge der Corona-Pandemie haben Eltern die Betreuung anders organisiert – oft zu Lasten der Kitas. Zwar ist die Zahl der Kitas in der Stadt Bern von 53 im Jahr 2013 auf 92 im Jahr 2024 gestiegen. Gleichzeitig ist jedoch seit 2020 die Zahl der vergünstigten Betreuungsplätze gesunken und mit ihr die Zahl der Betreuungstage, die in Anspruch genommen werden. In der Stadt Bern ist das System der Betreuungsgutscheine seit 2014 in Kraft – anstatt der Einrichtung (Kita) Unterstützungsbeiträge zu zahlen, werden diese direkt an die Eltern ausgerichtet. Diese können in einem Markt aus privaten und öffentlichen Anbietern frei wählen und erhalten je nach Einkommen unterschiedlich hohe Betreuungsgutscheine.

Reportaeg Kita Altenberg vom 22.8.2024

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Städtische Kitas haben mehrere finanzielle Baustellen: Altlasten – und neue Defizite. (Bild: Archiv Marco Frauchiger)

Dass die Kitas finanziell unter Druck sind, liegt auch an einer anderen Entwicklung: Immer mehr Kindergartenkinder nehmen die schulische Tagesbetreuung in Anspruch und fehlen so den Kitas als Einnahmequelle. Erschwerend hinzu kommt, dass städtische Kitas teurer betrieben werden als private, was unter anderem daran liegt, dass die Anstellungsbedingungen der städtischen Einrichtungen besser sind.

Flexibilität von Angestellten gefordert

Die Stadt reagiert nun und kürzt beim Personaletat. Dieser soll «an die Auslastung der Kita-Betriebe angepasst werden», so Haller. In acht bis zehn Kitas stehen Reduktionen an oder werden bereits durchgeführt. Das hat handfeste Auswirkungen: 

Kita-Mitarbeitende müssen in anderen Betrieben arbeiten, wenn es in ihrer Betreuungseinrichtung nicht mehr genügend Kinder gibt. Stellen seien dafür in einem Pool zusammengefasst worden, auf die sich Betreuer*innen dann neu bewerben konnten. Ausserdem würden Gruppen zusammengelegt. 

«Wir mussten Stand heute noch niemanden entlassen», hält Haller fest. Allerdings habe es Abgänge über «natürliche Fluktuationen» gegeben – sprich durch freiwillige Kündigungen oder Pensionierungen. Die Schliessung von weiteren Standorten will die Stadt «wenn immer möglich» vermeiden. «Eine Anpassung wie zum Beispiel die Zusammenlegungen von Kita-Standorten können wir derzeit jedoch nicht ausschliessen», so Haller.

All diese Massnahmen hinterlassen Spuren: Für viele Kita-Angestellte sei die aktuelle Situation «sehr schwierig», gibt Haller zu: «Das Personal kann nicht mehr durchgehend den eigenen Qualitätsanforderungen entsprechen.» Doch der oberste Kita-Beauftragte der Stadt ist zugleich dazu angehalten, auf die Kostenbremse zu treten.

Nachkredit nötig

«Um die städtischen Kita-Betriebe kostendeckend führen zu können, müssten wir 1,5 Millionen Franken einsparen», so der Leiter Familie und Quartier. Daran dürfte auch die neue Direktionschefin – Ursina Anderegg (GB) folgte per Anfang 2025 auf Franziska Teuscher (GB) – nichts ändern. 

Die Sparmassnahmen allein reichen nicht, damit die Stadt das Ziel, ihre Kitas bis 2026 wieder kostendeckend zu betreiben, erreichen wird. Um die schwarze Null möglich zu machen, müssen laut der Stadt neu und zusätzlich die sogenannten «trägerschaftsbedingten Mehrkosten» der Kitas abgegolten werden. Hinter diesem sperrigen Begriff verbergen sich unter anderem Ausgaben für die IT oder für Pensionskassenleistungen von Angestellten. Grundsätzlich haben diese alle städtischen Stellen zu tragen – auch die Kitas. Von «Mehrkosten» spricht die Stadt, weil sie zum Beispiel bei privaten Kita-Betreibern nicht anfallen. Künftig sollen diese Mehrkosten durch zusätzliche Steuermittel ausgeglichen werden, was in der Abrechnung der städtischen Kita-Betriebe einer Entlastung von rund einer Millionen Franken (Stand 2023) entspricht. Ein entsprechender Entscheid des Gemeinderats wird für das Frühjahr erwartet.

Reportaeg Kita Altenberg vom 22.8.2024

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Ursina Anderegg folgt auf Franziska Teuscher: An der Spitze der Direktion BSS dominiert die Farbe Grün. (Bild: Archiv Marco Frauchiger)

Neben diesen Bemühungen, finanzielle Engpässe im laufenden Betrieb zu beseitigen, beschäftigen den Kita-Bereich auch Altlasten. Insgesamt haben sich bei den städtischen Kitas seit 2020 Defizite von 8,76 Millionen Franken angehäuft – bis 2028 müssen sie gemäss der Stadt abgetragen sein. Deshalb teilte der Gemeinderat diese Woche mit, dass er dem Stadtrat einen Nachkredit von 3,4 Millionen Franken beantragt. Dies geschehe zu Lasten der Jahresrechnung 2024. 

Dieses Vorgehen ruft Kritik der politischen Opposition hervor: In den Augen der städtischen Mitte-Partei sorgt die «Defizitdeckung» durch Steuergelder für einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil gegenüber privaten Anbietern. Dies widerspreche dem Prinzip der Chancengleichheit auf dem Betreuungsmarkt, schrieb die Partei am Donnerstag in einem Communiqué.

Am Markt behaupten

Die Stadt ihrerseits betont, sie wolle nicht nur bei den Ausgaben den Rotstift ansetzen, sondern auch die Einnahmen verbessern. Eine zweimalige Erhöhung der Kita-Tarife 2022 und 2023 brachte keine besseren Jahresergebnisse, da die Auslastung insgesamt zu tief blieb. Deshalb setzen die städtischen Stellen nun stärker auf Werbung: «Wir wollen es nicht aggressiv machen», sagt Haller beinahe entschuldigend. 

Die Stadt hat ausserdem 2024 damit begonnen, ihre PR-Aktivitäten in den Quartieren hochzufahren, sei es beim Tag der offenen Sandkästen oder bei Quartieranlässen. Ausserdem werde ein Instagram-Account für die städtischen Kitas eingerichtet, mit dem Eltern angesprochen werden sollen. «Es ist ein Markt, und es gibt Wettbewerb», hält Haller dazu fest. «Und wir müssen aktiver als vorher zeigen, dass es uns gibt.»

Haller treibt auch die Frage um, wie es gelingen kann, dass wieder mehr Kinder die städtischen Kitas besuchen. Hier sei «mehr Vernetzung» mit anderen städtischen Sozialstellen nötig, um auf das eigene Betreuungsangebot aufmerksam zu machen. Neue Kinder wollen die städtischen Kitas auch gewinnen, indem sie noch stärker auf soziale und sprachliche Defizite eingehen.

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