Berner Klimaprozesse: Drei Aktivist*innen wollen weiterkämpfen

Das Regionalgericht Bern hat einen weiteren Klimaaktivisten verurteilt. Gemeinsam mit zwei anderen will er jetzt die Entscheide weiterziehen – wenn nötig bis vor den EGMR.

Impressionen der Klimaaktivist*innen die den Bundesplatz anlaesslich der Rise UP for Change Aktionswoche in Bern für rund 50 Stunden besetzt haben, fotografiert am 21. September 2020 in Bern. (Manuel Lopez)
Am Dienstag erging das fünfte Urteil zum «Rise Up for Change»-Protest. Jetzt starten die Aktivist*innen ein Crowdfundig, um die Entscheide weiterzuziehen. (Bild: Manuel Lopez)

Hätte der Mann aus Genf den Strafbefehl akzeptiert, wäre ihn die Sache günstiger gekommen.

Die Berner Staatsanwaltschaft wollte ihn ursprünglich zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 110 Franken und einer Busse von 200 Franken verurteilen. Die Delikte: Hinderung einer Amtshandlung und Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen.

Der Beschuldigte erhob Einsprache. Deshalb stand er am Dienstag vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland.

Die Tat, um die es geht, ist vier Jahre her. Im September 2020 setzte sich der damals 28-jährige Mann in ein Boot und kettete sich mit einem Eisenrohr daran fest. Das Boot stand auf dem Bundesplatz. Die Aktion war Teil des «Rise up for Change»-Protestes, an dem rund 400 Menschen eine klimagerechte Welt und Netto Null Emissionen bis 2030 forderten.

Als die Kantonspolizei den Platz räumte, blieb der Beschuldigte an Ort und Stelle. Die Berufsfeuerwehr löste ihn mit einem Winkelschneider vom Boot. Dann wurde er abgeführt und auf einen Polizeiposten gebracht.

Neben ihm erhielten 150 weitere Klima-Aktivist*innen nach dem Protest auf dem Bundesplatz einen Strafbefehl. Eine Gruppe von 18 Personen erhob Einsprachen. Sie wollten, dass ihre Einsprachen gemeinsam von einem Gericht behandelt würden. Doch die Instanzen bis und mit Bundesgericht lehnten ein vereinigtes Verfahren ab.

Also stehen die Aktivist*innen nun – mit langer Verzögerung – alle einzeln vor Gericht. 

Viele haben unterdessen ihre Einsprachen zurückgezogen. Nicht so der Beschuldigte, der als fünfter «Rise Up for Change»-Aktivist vor das Berner Regionalgericht tritt. Alle vor ihm sind schuldig gesprochen worden (die «Hauptstadt» berichtete), zuletzt im August.

Rechtswidrige Räumung?

Der Mann, der gerade seine Dissertation zur Energiewende zu Ende gebracht hat und jetzt bei einem Stromnetzbetreiber arbeitet, erscheint ohne anwaltliche Vertretung vor Gericht. Aber vorbereitet hat er sich sehr wohl. Vor den Augen seiner Eltern und weiterer Zuschauer*innen hält er dem Gericht zu seiner Verteidigung einen rund 50-minütigen Parteivortrag.

Er spricht Deutsch, obwohl er französischer Muttersprache ist. Und er hat sogar ein Requisit mitgebracht: Zu Beginn seiner Rede stellt er ein Pendel aus Holz vor sich auf den Tisch und stösst es an. Es ist ein sogenanntes «Chaospendel». Er kennt es aus dem Physikstudium. Stösst man es nur leicht an, schlägt es gleichmässig aus. Bei starker Energie aber artet es in chaotische Bewegungen aus.

Gleiches drohe der Erde, sagt der Beschuldigte. «Die politischen Massnahmen reichen nicht aus, um zu verhindern, dass das Erdsystem in ein chaotisches Regime fällt.»

Der 32-Jährige hat einen Grossteil seiner Jugend dem Engagement für eine gerechtere Welt gewidmet, lief an Demos mit, engagierte sich in Kampagnen und in einem Nachbarschaftsgarten. «Ich nutze jede Möglichkeit, um meine Meinung zu äussern. Ansonsten lassen mir die Gefahren der Klimaerwärmung keine Ruhe.»

Er argumentiert, die polizeiliche Räumung des Bundesplatzes sei als Ganzes nicht gerechtfertigt gewesen und verletze die menschenrechtlich garantierte Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit. Er sei freizusprechen.

Drei Aktivist*innen kämpfen weiter

Das Gericht sieht es anders. Die Räumung des Bundesplatzes sei zwar ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit gewesen, jedoch ein gerechtfertigter. Auch könne der «Klimanotstand» weiterhin nicht als Rechtfertigungsgrund im strafrechtlichen Sinne gelten. So hat es das Bundesgericht im Fall der Besetzung einer Bank durch Klimaaktivist*innen entschieden. Gerichtspräsident Ruch räumt immerhin ein: «Auch wenn sich in der Zwischenzeit die Gefahr, die vom Klimawandel ausgeht, für Mensch und Umwelt aktualisiert hat.»

Er spricht den Mann wegen Hinderung einer Amtshandlung schuldig und verurteilt ihn zu einer bedingten Geldstrafe von acht Tagessätzen zu 130 Franken. Angerechnet wird ihm ein Tagessatz für die Zeit, die er in Polizeigewahrsam verbracht hat. Der Vorwurf des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen ist hingegen verjährt.

Die Strafe ist also milder als im Strafbefehl vorgeschlagen – doch hinzu kommen Verfahrenskosten von 2’320 Franken.

Der Aktivist war sich bewusst, dass eine Einsprache gegen den Strafbefehl für ihn ein finanzielles Risiko darstellte. Doch darum ging es ihm nicht. Er will auch jetzt das Urteil an das Berner Obergericht weiterziehen.

Gemeinsam mit zwei weiteren verurteilten Aktivist*innen hat er sich entschieden, weiterzukämpfen. «Wenns sein muss bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte», sagt er im Gespräch mit der «Hauptstadt». 

Dafür starten die Aktivist*innen nun ein Crowdfunding – damit sie sich bei den nächsten Instanzen anwaltlich vertreten lassen können.

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Diskussion

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Luca Liechti
27. September 2024 um 17:57

«Auch wenn sich in der Zwischenzeit [seit 2020] die Gefahr, die vom Klimawandel ausgeht, für Mensch und Umwelt aktualisiert hat.»

Das kann nur sagen, wer die Zeit davor schlafwandelnd und unbehelligt von Informationen jeglicher Art verbracht hat.

Wäre es zu parteiisch, hier das Crowdfunding dieses guten Mannes zu verlinken?