«Legitime Ziele, illegitime Mittel»
Erneut spricht das Regionalgericht Bern einen Klimaaktivisten schuldig. Und erneut beschäftigt es sich nicht mit den Problemen der Klimaveränderung.
Am Mittwoch fand der dritte Berner Klimaprozess statt. Ein junger Mann, der am «Rise up for Change»-Protest im September 2020 auf dem Bundesplatz teilgenommen hatte, stand vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland. Die Staatsanwaltschaft – die vor Gericht nicht erschienen ist – warf ihm zwei Delikte vor: «Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen» und «Hinderung einer Amtshandlung».
Bei diesem Prozess geht es auch darum, wo die rechtlichen Grenzen des zivilen Widerstandes liegen. Mit ihrer Aktion auf dem Bundesplatz wollten die Aktivist*innen Druck auf das Parlament machen, das zu dieser Zeit das CO2-Gesetz beriet.
In der zweiten Protestnacht räumte die Polizei den Bundesplatz. Der angeklagte Aktivist hatte den Bundesplatz nicht verlassen, nachdem die Polizei ihn dazu aufgefordert hatte. Und weil er eine Hand an einem Boot festgeklebt hatte und die andere mit einem Karabiner an einem Rohr festgebunden, erschwerte er – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – die Räumung. Die Feuerwehr schnitt das Rohr auf, dann trug ihn die Polizei vom Platz weg.
Der Verteidiger des Beschuldigten argumentierte, dass sein Klient die Wegweisung gar nicht verstanden habe, da seine Muttersprache Französisch sei und er kein Deutsch beherrsche. Weiter bekärftigte der Verteidiger, dass die Aktion gedeckt sei von den Rechten auf Meinungsäusserung- und Versammlungsfreiheit.
Auch das Klimaseniorinnen-Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, wonach die Schweiz zu wenig unternimmt, um ihre Emissionen zu senken, baute er in sein Plädoyer ein. Jedoch mehr, um das Gericht daran zu erinnern, wie dringend das Anliegen ist, für das der Aktivist eingestanden ist. Denn juristisch gesehen sind das zwei verschiedene Sachen: Das Klimaseniorinnen-Urteil richtet sich an den Staat – er wird zum Handeln aufgefordert. Beim vorliegenden Fall hingegen wirft der Staat dem Aktivisten vor, das Gesetz gebrochen zu haben.
Der dritte Schuldspruch
Nach der unbewilligten Kundgebung auf dem Bundesplatz im September 2020 stellte die Staatsanwaltschaft 151 Strafbefehle aus. Die meisten Adressat*innen akzeptierten diese. 18 Menschen aber erhoben Einsprache, was ein Gerichtsverfahren zur Folge hat. Zwei solche Verfahren wurden bereits durchgeführt, beide Angeklagten wurden schuldig gesprochen. Eine Person akzeptiert den Schuldspruch nicht und zieht vor das Obergericht.
Das Verfahren vom Mittwoch reiht sich ein in die vergangenen Urteile: Richter Jan Imhof spricht den Angeklagten der Hinderung einer Amtshandlung schuldig. Reines Passivbleiben sei straflos, doch indem sich der Aktivist angeklebt und angekettet hatte, habe sein passiver Widerstand eine Schwelle überschritten, die strafbar sei.
Dass er die Wegweisung der Polizei auf Deutsch vielleicht nicht verstanden hätte, war nicht relevant. Der Vorwurf des Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung war verjährt und wurde eingestellt.
Richter Imhof anerkannte, dass ein friedlicher Protest wie jener auf dem Bundesplatz geschützt sei von der Meinungsäusserung- und Versammlungsfreiheit. Jedoch würden diese Grundrechte strafrechtliche Sanktionen nicht ausschliessen, das sehe auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte so. Weil die Strafe – sieben Tagessätze à 30 Franken – tief ausfalle, sei die Einschränkung dieser Grundrechte für den Aktivisten zumutbar.
Prozesse als politische Akte
Auf die Gründe für den Protest ist Imhof in seiner Urteilsbegründung kaum eingegangen. Dies, obwohl der Beschuldigte während der Verhandlung einen zehnminütigen Vortrag gehalten hatte, indem er die Folgen der Klimaveränderung auf sich selbst und die ganze Gesellschaft betonte.
Zwar berücksichtigte Imhof bei der Strafzumessung, dass der Aktivist «seine politischen Rechte wahrgenommen» habe. Die Bilanz aber lautete: «Legitime Ziele, illegitime Mittel». Diese Phrase mag hübsch klingen, doch ist sie beim genauen Hinhören hohl. Worin die «legitimen Ziele» bestehen, führte Imhof nicht aus.
Dass sich Richter*innen nicht mit der Problematik der Klimaveränderung auseinandersetzen ist nicht aussergewöhnlich, sondern die Regel. Das hat die Forschung des Sozialwissenschaftlers Jevgeniy Bluwstein von der Universität Bern ergeben.
Viele Aktivist*innen hingegen möchten die Prozesse als politische Akte darstellen: Die Kundgebung als erste Protestbühne, der Gerichtssaal als die zweite.
Dieses Vorhaben dürfte am Mittwoch nicht geglückt sein. Neben der inhaltlichen Beschäftigung des Richters mit dem Klima war auch die öffentliche Aufmerksamkeit dürftig: Im Publikum sassen lediglich eine Schulklasse, eine Handvoll Unterstützer*innen des Beschuldigten sowie drei Journalist*innen.
Ob sein Klient das Urteil akzeptiert oder vor Obergericht weiterzieht, stehe noch nicht fest, sagte der Anwalt nach der Urteilsverkündung. Erst wolle er das schriftlich begründete Urteil lesen.