«Bio nimmt den Druck weg»
Stefan Niederhauser hat vor eineinhalb Jahren einen städtischen Bauernhof in Riedbach übernommen und auf Bio umgestellt. Was bedeutet so eine Umstellung?
Als Stefan Niederhauser den Pachtvertrag für den Bauernhof im Stadtberner Riedbach übernahm, musste es schnell gehen. Sein Vorgänger hatte schon länger entschieden, den Betrieb aufzugeben. Ende 2023 besichtigte er den Hof, am 1. März 2024 startete er.
Das kleine Riedbach liegt am äusseren Rand des Stadtteils Bümpliz-Oberbottigen in sehr ländlichem Gebiet. Das zeigt sich auch bei den Zugverbindungen. Zwar hat man nur elf Minuten vom Bahnhof Bern – die Verbindung ist jedoch nur stündlich.
Es sei ein herausfordernder Einstieg gewesen, sagt der Bauer. Auf den 55 Hektaren der landwirtschaftlichen Nutzfläche betreibt er Ackerbau und hält 90 Milchkühe. Diese wurden konventionell gehalten, Niederhauser stellte nach der Übernahme um auf Bio. Das verlangt die Stadt Bern, die den Hof verpachtet, im Vertrag. Niederhauser bekam nur eine kurze Einführung, in der ihm die Parzellen und während je drei Stunden die Melkerei, die Fütterung sowie die Haustechnik gezeigt wurden.
Der Hof in Riedbach ist modern. Niederhauser zeigt den grossen Stall, wo sich die Milchkühe frei bewegen, aus dem grossen Wassertrog trinken, sich von einem Melkroboter melken lassen und auf die Weide können, wann sie wollen. Im Biolandbau müssen die Tiere an mindestens 26 Tagen pro Monat für mindestens vier Stunden täglich auf die Weide gelassen werden – abhängig von Wetter oder Saison.
Für seine 90 Kühe hat Niederhauser einen zweiten Melkroboter angeschafft. So ist immer Kapazität frei, damit sich die Kühe jederzeit melken lassen können, wann sie wollen. Zudem ist das Risiko bei einer technischen Panne kleiner. Er spart damit eine Arbeitskraft, die von morgens bis abends durchgehend Kühe melken würde.
Mimosenhafte Milchkühe
Die schwarz-weissen Holstein-Kühe hat er von seinem Vorgänger übernommen. Eine Rasse, die auf maximale Milchleistung gezüchtet ist. Dafür benötigen sie aber auch genügend Futter. Bei konventioneller Haltung erhalten Milchkühe bis zu 20 Prozent Kraftfutter. Dieses besteht aus Getreide wie Mais, Weizen oder Gerste und eiweissreichen Hülsenfrüchten, zum Beispiel Soja.
In der Biolandwirtschaft dürfen Milchkühe höchstens fünf Prozent ihres Gesamtbedarfs mit Kraftfutter decken. Eine Kuh frisst pro Tag etwa 18 Kilo Trockensubstanz, dazu gehören Heu und Kraftfutter. Umgerechnet sind das etwa 50 bis 60 Kilo frisches Gras. Eine Kuh gibt bei Niederhauser durchschnittlich zwischen 24 und 25 Liter Milch pro Tag.
Für die Holstein-Kühe sei die Umstellung auf weniger Kraftfutter nicht einfach gewesen, sagt Stefan Niederhauser. Sie seien magerer geworden und nicht alle gesund geblieben. «Ein paar mussten wir metzgen», sagt Niederhauser. Er hat von seinem bisherigen Hof in Zimmerwald «ein paar Rote mitgenommen», wie er sagt, Rasse Swiss Fleckvieh (SF).
Die Holstein-Kühe geben mehr Milch, sind aber laut Niederhauser empfindliche «Mimosen». SF-Kühe sind etwas kleiner, runder und robuster, sagt Niederhauser. In der Biolandwirtschaft brauche es widerstandsfähigere Kühe, die allerdings etwas weniger Milch geben, findet er.
Damit die Herde gesünder und widerstandsfähiger wird, kreuzt der Bauer nun die Holstein- Kühe mit der Zweinutzungsrasse Montbéliarde ein – obwohl in der Landwirtschaft normalerweise reinrassige Tiere bevorzugt werden.
Digitales Herdenmanagement
Stefan Niederhauser steuert jetzt ins «Kuhbüro».
Auf zwei Bildschirmen überblickt er hier das aktuelle Befinden seiner 90 Kühe. Alle tragen ein Halsband, das ihre Aktivitäten misst und auswertet. Dadurch weiss der Bauer, ob eine Kuh stierig – paarungsbereit – ist oder ob sie genug frisst und wiederkäut – Indikatoren über den Gesundheitszustand der Kühe. Über ein Login im Internet hat Niederhauser von überall Zugriff auf die Daten.
Zeigt das Tool bei einer Kuh an, dass sie in den letzten Tagen weniger als sonst gefressen hat, kontrolliert der Bauer die Kuh von Auge, um herauszufinden, was los ist.
Dank den Daten des Melkroboters sieht er in seinem Tool bei jeder Kuh, wie viel Milch sie pro Tag gibt, wie oft sie gemolken wurde und welche Qualität die Milch hat. Anhand verschiedener Messwerte wie Leitwert und Zellzahl kann der Bauer herauslesen, ob eine Kuh stierig oder ob ein Euter entzündet sein könnte.
Als letztes zeigt der Bauer einen Kreis auf dem Bildschirm. Damit hat Niederhauser stets den Überblick, welche Kuh sich wo im Reproduktionszyklus befindet. So weiss der Bauer immer, welche Kühe frisch gekalbert haben, welche trächtig sind oder welche nicht mehr gemolken werden, weil sie in den nächsten zwei Monaten ein Kalb gebären.
Für 90 Kühe mache so ein System Sinn. Alle im Auge zu behalten sei bei einer grossen Herde ohne digitale Hilfe fast nicht möglich, sagt Stefan Niederhauser. Es habe aber auch Nachteile. Vor ein paar Monaten ist der Motor, der das Kraftfutter transportiert, ausgefallen. Daraufhin sank die Milchleistung, was sich der Bauer zuerst nicht erklären konnte. «Würde ich jeder Kuh das Kraftfutter von Hand geben, wüsste ich, dass sie es gehabt hat. So musste ich aber lange suchen, bis ich das Problem gefunden habe.»
Melkroboter
Stefan Niederhauser geht weiter zum Melkroboter. Eine Kuh wartet davor, bis er frei ist. Zwischen den roten und den schwarz-weissen Kühen gebe es eine Rangordnung, sagt Niederhauser. Obwohl die schwarzen Holstein-Kühe grösser sind, haben sie Respekt vor den kleinen SF-Kühen: Wartet eine Schwarze und eine Rote vor dem Melkroboter, habe immer die Rote den Vortritt, erzählt der Bauer schmunzelnd.
Bevor der Roboter an den Eutern anhängt, prüfe er über das Halsband, ob die Kuh eine «Melkberechtigung» habe, erklärt Niederhauser. Weil es Graswürfel und Kraftfutter – also das, was Kühe am liebsten fressen – nur gibt, während die Kühe vom Roboter gemolken werden, möchten sie sich öfter melken lassen, als es Sinn macht. Wird aber eine Kuh zu häufig gemolken, kann dies zu Euterreizungen führen. Zudem koste jede Melkung auch Geld, und da müsse es sich mengenmässig lohnen.
Wie oft eine Kuh gemolken werden kann, sei vom Stand ihrer Laktation abhängig, sagt Niederhauser. Wenn eine Kuh zum Beispiel frisch gekalbert habe, produziere sie mehr Milch und könne alle sechs Stunden zum Melken kommen. Später verlängere sich der Melkzyklus auf zehn Stunden.
Auf dem Bildschirm des Melkroboters sieht man während der Melkung nun den Namen der Kuh sowie Milchqualität, -menge, -farbe und -temperatur aus den vier Zitzen.
Eiweiss für die Kühe
Die Graswürfel sind individuell auf die Kühe abgestimmt. Je mehr Milch eine Kuh gibt, desto mehr Würfel bekommt sie. Sie bestehen aus Luzerne, einer Graspflanze, die einen höheren Proteingehalt aufweist, aber nicht als Kraftfutter gilt.
Die Herausforderung für ihn sei es, dass die Kühe genug Energie, aber auch Eiweiss erhalten. «Das Eiweiss können wir mit der Luzerne und den Sojabohnen, die wir beide selber anbauen, abdecken.»
Für die Biomilch muss das Kraftfutter zu 100 Prozent aus Schweizer Futterpflanzen bestehen. Allerdings werden laut Niederhauser in der Schweiz zu wenig Eiweisspflanzen angebaut. Niederhauser ist von diesem Problem jedoch nicht betroffen. Weil er in einer Lage bauert, wo es warm genug ist, um Soja anzubauen, bekomme er von der Mühle Rytz, der er die Eiweisspflanze liefert, besseres Kraftfutter.
Man merke den Einfluss des Wetters auf die Milchmenge, sagt Niederhauser. Obwohl es im Frühsommer lange sehr trocken war, blieb die Milchmenge stabil. Erst als der Regen im Juli gekommen sei, ging die Milchmenge runter: «Das Gras ist zuerst verdorrt, und als es geregnet hat, wurde es muffig. Die Kühe haben weniger gefressen.» Seit aber das neue Gras gewachsen ist, sei auch die Milchmenge wieder im Normalbereich.
«Es braucht Bio- und konventionelle Landwirtschaft»
Niederhauser beendet den Hofrundgang und blickt auf die eineinhalb intensiven Jahre seit der Hofübernahme zurück. Vieles habe sich eingependelt. Auf dem Hof in Zimmerwald hatte er 2020 auf Bio umgestellt. Er kennt deshalb den Umstellungsprozess, wobei er in Zimmerwald mehr Ackerbau betrieb und weniger Milchkühe hielt.
Erst nächstes Jahr, zwei Jahre nach der Umstellung, kann er seinen Betrieb als kompletten Biobetrieb ausweisen. Das liege daran, dass in den Böden Rückstände der konventionellen Landwirtschaft zurückbleiben.
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Für Niederhauser ist klar: «Ich habe es nie bereut, auf Bio umgestiegen zu sein.» Zwar seien Unkraut und Neophyten Herausforderungen, an denen man täglich dran bleiben müsse. Aber letztlich nehme ein Bio-Betrieb auch den Druck weg: «Ein möglichst hoher Ertrag steht nicht im Vordergrund; es geht auch um Nachhaltigkeit und einen fairen Umgang mit Tier und Natur», sagt er.
Klar, er wolle produzieren, sagt Niederhauser. Aber wenn es in einem Jahr nur 80 oder 90 Prozent des Normalertrags gebe, reiche es finanziell trotzdem noch, weil er für die Produkte mehr bekommt: Für einen Liter Biomilch erhält der Bauer 85 bis 90 Rappen. Für konventionelle Milch erhalten Bauern 60 bis 70 Rappen. Der bessere Preis kompensiert, dass Bio-Kühe weniger Milch geben.
Zudem: Der höhere Aufwand bei der Biolandwirtschaft wird mit etwas mehr Direktzahlungen abgegolten. Diese setzt Niederhauser eins zu eins in die Löhne von zwei Festangestellten aus Polen ein. Herbizide sind im Biolandbau verboten. Auf den Feldern, wo er Gras, Mais, Weizen und Soja anbaut, stechen die beiden zurzeit jeden Tag die Blacken und Disteln von Hand aus. Blacken sind besonders hartnäckig: Wenn sie in den Mähdrescher kommen, verteilen sie sich überall auf den Feldern, weil sie schnell absamen.
Gleichzeitig betont Biobauer Niederhauser, dass es auch die konventionelle Landwirtschaft brauche. «Der Konsument schreit oft nach Bio, die Abstimmungen gehen in diese Richtung. Aber im Laden wird es weniger gekauft, weil es teurer ist.» Es gebe Menschen, die bereit seien, den Mehrpreis zu bezahlen. «Aber das sind bloss 10 bis 15 Prozent. Wenn mehr Bio gekauft würde, würden auch mehr Landwirte auf biologische Landwirtschaft umsteigen.»
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