Blickwechsel
«Hauptstadt»-Brief #1
Das ist der erste «Hauptstadt»-Brief, der dir von jetzt an jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag früh das Wichtigste aus, über und für Bern komprimiert ins Mail-Postfach serviert. Und vielleicht mit einem unkonventionellen Bilder-Blick auf Bern einen Hauch Lebensfreude oder Entspannung in den Tag bringt. Heute ist der 8. März, der Internationale Frauentag. Dessen Ursprung hat mehrere Fäden, aber einer, und das wirkt in der aktuellen Situation wie böse Ironie, führt nach St. Petersburg in Russland. Am 8. März 1917 gingen dort Arbeiterinnen auf die Strasse, um gegen Hunger, Krieg und Diskriminierung zu demonstrieren. Ihr entschlossener Widerstand löste den Aufstand aus, der zum Sturz des Zars, zur russischen Revolution und zum Aufbau der Sowjetunion führte. Revolutionsführer Lenin sass noch im Zürcher Exil, als sich die Frauen in St. Petersburg auflehnten. Der 8. März ist bis heute in vielen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ein offizieller Feiertag. Auch in Russland und in der Ukraine. In Bern ruft das Frauenstreik-Kollektiv zu einer Demonstration auf (heute, 18 Uhr, Schützenmatte). Der Frauentag ist aber längst nicht mehr nur eine Sache linker Feministinnen. Am 8. März 2021 haben die Berner FDP-Frauen Christa Markwalder und Barbara Freiburghaus eine nationale Volksinitiative für die Individualbesteuerung lanciert, um die Heiratsstrafe aus der Welt zu schaffen. «Hauptstadt»-Autorin Marina Bolzli analysiert, warum die Unterschriftensammlung harzt.
Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:
- YB: Zum ersten Mal seit 2015 entlassen die Young Boys mit David Wagner (seit Sommer 2021 im Amt) einen Trainer. Im Fussballgeschäft sind sieben Jahre ohne Trainer-Entlassung schon fast unwirklich anständig. Wagner hat mit YB alle Saisonziele verpasst (obschon die Saison noch bis in den Frühsommer dauert). Interessant ist, wie smart der hochgelobte Sportchef Christoph Spycher auf dem YB-eigenen Videokanal kommuniziert, warum er den Trainer schasst, den er selber angestellt hat. Davon könnten viele CEOs und Manager*innen in der richtigen Wirtschaft noch etwas lernen. Weder in den legendär bissigen YB-Foren, noch im Kommentar von Bund/BZ bleibt wirklich etwas an Spycher hängen. Klar ist aber auch: Richtig traurig wird bei YB auch deshalb niemand, weil es genug Geld gibt, um Wagner für seinen bis 2023 laufenden Vertrag zu entschädigen. YB hat allein aus dem Verkauf von Spielern in der Winterpause über 10 Mio. Franken eingenommen.
- Kantonswahlen: Am 27. März wählen die Stimmberechtigten des Kantons Bern Regierung und Parlament neu. Laut einer Exklusivumfrage von Bund/BZ liegt bei den Regierungsratswahlen Astrid Bärtschi (die Mitte) um drei Prozentpunkte vor Erich Fehr (SP). Der rot-grüne Angriff droht zu scheitern. Engagiert wie bis gestern YB-Trainer David Wagner feuert Fehr via Twitter seine Leute an. Bleibt es aber in drei Wochen bei dem, was Bund/BZ jetzt eruierten, behält die Regierung ihre bürgerliche Mehrheit. Und logo, die sechs Bisherigen werden wiedergewählt.
- Bern-Ukraine: Das Berner Kantonsparlament hat gestern zu Beginn der Frühjahrssession dem ukrainischen Volk Mitgefühl und Solidarität ausgedrückt, in Anwesenheit des ukrainischen Botschafters Artem Rybchenko. Dieser wird heute Abend mit Geschichtsprofessor André Holenstein und dem EU-Botschafter in der Schweiz, Petros Mavromichalis, an einer hochkarätigen Diskussion der Neuen Helvetischen Gesellschaft in Bern teilnehmen. Das Thema: Die Schweiz in Europa (18.15 Uhr, Schmiedstube, Schmiedenplatz 5).
- Köniz: Vor wenigen Tagen hat Gemeindepräsidentin Annemarie Berlinger (SP) resigniert ihren Rücktritt angekündigt, nachdem sie vor erst vier Monaten wiedergewählt worden war. Schon gleichentags signalisierte die rasante Grossrätin Tanja Bauer (SP), dass sie bereit wäre, sich zur Wahl zu stellen. Die vier in der Gemeinderegierung verbleibenden Männer zweifeln in der BZ (Printausgabe) zwischen den Zeilen, ob es optimal wäre, wenn eine Neugewählte gleich Gemeindepräsidentin würde. Ob die vier Herren selber Ambitionen haben, lassen sie offen. Wie würde wohl der smarte Christoph Spycher von YB das Könizer Wechselkarussel organisieren?
Es grüsst, Jürg Steiner
PS: Den Kopf abschalten, auslüften und ihm ein paar unbekannte Anblicke ganz in der Nähe gönnen? Da habe ich einen Tipp. Daniel Anker, unermüdlicher Bergbuchautor, hat sich die bernischen Fliessgewässer vorgenommen und schlägt im eben erschienenen Buch «Wasserrauschen» (AS Verlag) 51 Wanderungen an Flüssen, Bächen und Rinnsalen im Kanton Bern vor. Klar, Aare, Simme, Kander, Lütschine & Co sind dabei. Aber auch: Mühlibach, Tungelbach, Tschärzisbach, Bütschelbach, Louwibach oder Hüsligrabebach. Skurrile Bach-Exotik im braven Kanton Bern? I like.