Bundesmeile, Frauenbewegung, Tod eines Seehunds
News vom Donnerstag – Hauptstadt-Brief #505
Ich bin in dieser Woche, in der die «Hauptstadt»-Redaktion im «Chäppu-Träff» arbeitet, zu einem grossen Fan der Gemeinde Ittigen geworden. Vor allem, seit mir bewusst geworden ist, wie viel Explosivität hinter dem Ortsnamen Papiermühle steckt.
Bis jetzt kannte ich Papiermühle als Bahnstation der RBS, an der am Morgen auffallend viele Menschen in karierten Hemden oder hellblauen Blusen ausssteigen. Sie steuern einen der 2200 Arbeitsplätze der Bundesverwaltung an, die sich an der Ittiger Bundesmeile auf engstem Raum konzentrieren.
Nie würde man angesichts der edlen eidgenössischen Büroplantage denken, wie rustikal es im Industriezeitalter zuging. Es gab hier seit dem 17. Jahrhundert logischerweise Papiermühlen. Spektakulär war aber, dass im engen Talboden der Worble in einer grossen Fabrik auch Schiesspulver hergestellt wurde.
Das «Berner Pulver» hatte international einen hervorragenden Ruf. Allerdings flog die Produktionsstätte in Ittigen bei Explosionen wiederholt in die Luft, manchmal jedes Jahr. Die absolute Blüte erlebte die «Kriegspulverfabrik» in Papiermühle im Ersten Weltkrieg, nach dessen Ende verlagerte der Bund die Produktion jedoch nach Wimmis.
Interessant finde ich, dass im Ittiger Verwaltungs-Campus bis heute ein gewisses Feuer erhalten geblieben ist. Hier versammeln sich zahlreiche Ämter des Departements von Bundesrat Albert Rösti (SVP), die – zumindest von aussen gesehen – das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben. Das Bundesamt für Strassen (Astra) und das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) bereiten dem wachsenden Verkehr am Boden und in der Luft den Weg. Während sich gleich daneben das Bundesamt für Umwelt (Bafu) um die Luftqualität und den Verlust der Biodiversität sorgt.
Das Gemeindewappen von Ittigen enthält eine kleine Granate. Es scheint, dass der Explosivität des Orts auch Bundesangestellte in karierten Hemden und hellblauen Blusen nicht entkommen.
Das gebe ich dir in den Tag mit:
- Frauenbewegung: Das Gosteli-Archiv im Ittiger Ortsteil Worblaufen ist das Kompetenzzentrum für ein – wie könnte es anders sein – explosives Thema: In einer Landvilla dokumentiert es die Geschichte der schweizerischen Frauenbewegungen. Lange kämpfte das Archiv mit finanziellen Unsicherheiten. Nun steht es auf stabilem Boden und steht sogar vor einem Ausbauschritt, wie meine Kollegin Marina Bolzli in ihrer Reportage schreibt.
- Tragischer Tod: Das Berner Seehund-Männchen Saluk verbrachte ein Jahr im Exil in Schweden, weil seine Heimanlage im Dählhölzli umgebaut und auf einen artgerechteren Standard gebracht wurde. Seit diesem Frühjahr ist Saluk zurück in Bern – doch nun ist er tot, wie der Tierpark Bern mitteilt. Saluk habe Teile einer Dichtung des neuen Seehundbeckens verschluckt. In der universitären Kleintierklinik wurde Saluk der Fremdkörper entfernt, doch das Zuchtmännchen wachte nicht mehr aus der Narkose auf. Wie sich die Teile des Beckens, die Saluk zum Verhängnis wurden, lösen konnten, wird laut Tierpark nun untersucht.
- Gantrischgebiet: Der Berner FDP-Stadtrat Oliver Berger wird laut einer Mitteilung per Anfang Dezember Geschäftsführer des Naturparks Gantrisch. Berger ist Betriebswirt, spezialisiert auf das Management von Non-Profit-Organisationen und arbeitet in leitender Funktion bei der Beratungsgesellschaft BDO. «Es reizt mich, nun wieder selber Verantwortung in einer Non-Profit-Organisation zu übernehmen und mit einem Team einem sinnvollen Organisationszweck nachzugehen», hält Berger auf Anfrage der «Hauptstadt» fest.
- Tempo 30: Albert Rösti (SVP) hat sich im Bundesrat durchgesetzt. Die Landesregierung hat eine Verordnung in die Vernehmlassung verabschiedet, die es Städten und Gemeinden erschwert, auf Hauptverkehrsachsen Tempo 30 einzuführen, wie sie mitteilt. Der eher linke Städte- und der eher bürgerliche Gemeindeverband kritisierenden Entscheid als Eingriff in die Gemeindeautonomie.
- Filmpreise: Die Dokumentarfilme «Iddu» von Miriam Ernst über Menschen auf der Vulkaninsel Stromboli sowie «Wir Erben» von Simon Baumann werden mit dem Berner Filmpreis 2025 ausgezeichnet. Mirjam Ernst erhält 30’000 Franken, Simon Baumann 10’000 Franken. Ebenfalls mit einem Preis von 10’000 Franken bedacht wird der Kinospielfilm «Les Courageux» der Bieler Regisseurin Jasmin Gordon über eine alleinerziehende Mutter. Das teilt die kantonale Bildungs- und Kulturdirektion mit. Überreicht werden die Preise am 17. November in Biel.
- Bümpliz: In der Rehhag-Grube in Bümpliz wurde früher Ton abgebaut, heute ist sie ein kleines Biodiversitäts-Paradies, in dem seltene Amphibien und Pflanzen leben. Naturschützer*innen wehren sich seit Jahren dagegen, dass Stadt und Kanton dort eine Bauschutt-Deponie einrichten wollen. Nun vermelden sie einen Etappensieg: Die Justizdirektion des Kantons hat eine Beschwerde des Vereins «Bern bleibt grün» gegen die Deponie aus dem Jahr 2019 gutgeheissen, wie dieser mitteilt. Der Entscheid kann von den Gegenparteien ans Verwaltungsgericht weitergezogen werden.
- Gastronomie: Als Abonnent*in des «Hauptstadt»-Briefs hast du gestern den Gastro-Brief #2 unserer phänomenalen Kulinarik-Spezialistin Claudia Salzmann erhalten. Falls du ihn übersehen hast, empfehle ich dir ihr Rating der besten Sushi-Lokale in Bern sowie ihre ofenfrischen News aus der quirligen Berner Gastroszene. Und zum Dessert: Die Gastro-Kritiken der «Hauptstadt»-Redaktion aus Ittigen.
- Rückkehrzentren: Der Grosse Rat behandelte während der laufenden Session mehrere Vorstösse, die darauf abzielten, die Situation von Kindern und Jugendlichen in Rückkehrzentren zu verbessern. In Rückkehrzentren leben Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, die aber nicht in ihr Heimatland zurückgeschafft werden können. Mehrere Studien zeigten, dass die Situation für Kinder in Rückkehrzentren teil menschenunwürdig seien, sagte etwa die neue Grossrätin Valentina Achermann (SP) laut der Nachrichtenagentur sda. Die Ratsmehrheit lehnte die Vorstösse ab – oder betrachtete sie als erfüllt.
- Biel-Bern: Die Bieler Journalistin Nicoletta Cimmino hat jahrelang in Bern gearbeitet und doch nicht richtig Anschluss gefunden. Ob die latente Verschlossenheit der Berner*innen mit dem Patrizier-Erbe zu tun habe, fragte sie mich in unserer gemeinsamen Kolumne «Gleis 49». Ich musste ziemlich grübeln, bis ich eine Antwort fand.
PS: Langsam steigern die länger werdenden Nächte das Verlangen, in einen Kinosessel zu sinken. Ich habe da einen guten Tipp: Die in Bern lebende Filmerin Tamara Milosevic zeigt in einer berührenden, sorgfältigen Doku, wie sich die alleinerziehende Putzfrau Nathalie am Existenzminimum durchs Leben kämpft – mitten in der reichen Schweiz. Sie läuft im Kino Rex, noch bis Mittwoch, 10. September.
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