Znüni näh – «Hauptstadt»-Brief #269

Donnerstag, 18. Januar 2024 – die Themen: Regierungsrätliche Spesen; Bäckereien; Ursina Anderegg; Schule; Bahnhof Bern; Burgergemeinde; Lucia Cadotsch.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Die Aufregung ist gross. Die TV-Sendung Kassensturz hat die Spesenpraxis der Berner Regierungsrät*innen unter die Lupe genommen. Der Kanton hatte sich zwar zuerst geweigert, aber die Kassensturz-Redaktion beharrte erfolgreich auf der Herausgabe regierungsrätlicher Spesenbelege gemäss Öffentlichkeitsgesetz. Unter den Hunderten von Einzelbelegen aus den Jahren 2018 bis 2021 fanden die Journalist*innen bei Regierungsräten – nur bei Männern – einzelne Spesen, die tief blicken lassen.

Berner Regierungsrät*innen verdienen 280’000 Franken jährlich, dazu eine Spesenpauschale von 8000 Franken. Trotzdem stellte Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) beim Kanton etwa zusätzlich zwei Znünibrezel und eine Banane für wenige Franken in Rechnung. Auch ein Mittagessen mit dem damaligen Kantonalpräsidenten seiner Partei liess sich der Freisinnige vom Staat bezahlen.

Christoph Ammann (SP) forderte 40 Franken zurück, die er in die Miete von Hut und Schal für den Neujahrsempfang investiert hatte. Pierre Alain Schnegg (SVP) liess sich ein paar für Apérosnacks ausgegebene Franken ebenso zurückerstatten wie Auslagen für Nespressokapseln in seinem Vorzimmer.

Ist das eine Berner Lachnummer oder ein Skandal?

Die Beträge, um die es geht, sind lächerlich. Das Verhalten, das dahintersteht, ist hingegen bedenklich. Regierungsrat Müller will Brezel und Banane damals «falsch verbucht» haben, wie er auf den sozialen Medien schreibt: «Mein Fehler.» Regierungssprecher Reto Wüthrich weist die Vorwürfe sogar pauschal als «ungerechtfertigt» zurück.

Mein Kollege Joël Widmer fragte die neue FDP-Kantonalpräsidentin Sandra Hess, was sie von den Spesenbelegen ihres Regierungsrats hält. «Die irrtümlichen Verbuchungen sind sicher unglücklich», gibt sie zu. Aber Müller habe ihr versichert, dass «er seither keine Quittungen mehr sammelt und seine Kleinspesen im Sinne der Spesenpauschale selber bezahlt. Damit ist für mich die Sache geklärt».

So macht man es sich zu einfach, finde ich.

Klar, ein bisschen spiegelt man sich in der Kleinkrämerei von Müller & Co vielleicht selber. Wenn man etwa daran denkt, wie man beim Ausfüllen der letzten Steuererklärung Ausgabenbelege zusammensuchte, um noch ein paar Steuerfranken zu sparen. Aber Regierungsrät*innen spielen in einer anderen Liga – beim Einkommen wie bei der Selbstdarstellung.

Die Welt hat grössere Probleme als eine auf Staatskosten verzehrte Banane. Deswegen hier ein Auge zuzudrücken wäre falsch – zumal FDP und SVP gerne sorgfältigen Umgang mit den Steuerfranken predigen und die SP sich als Vertreterin der einfachen Steuerzahler*innen sieht.

Nach seiner Wiederwahl 2022 lobte die FDP Philippe Müller als «klaren, konsequenten und in der Asylpolitik harten» Regierungsrat. Dass Politiker*innen den Ansprüchen, die sie an andere stellen, selber «klar und konsequent» nachleben, ist eine Minimalanforderung. Immer und überall.

Yusuke Nozawa posiert für ein 8x10 Polaroid am 9. November 2023 im Wankdorffeld in Bern.
Photo: Stefan Wermuth

Was bedeutet für dich Bern?
BBern hat mir viele Chancen gegeben. Ich habe vorher in Tokyo gearbeitet, dort ist es super anstrengend. Ich habe 24h nonstop gearbeitet. Hier in Bern ist es ruhiger, hier habe ich ein Menschenleben bekommen. In Tokyo war ich wie eine Maschine, hier ist es menschlicher.
Yusuke sagt: «Bern hat mir viele Chancen gegeben. Ich habe vorher in Tokio gearbeitet, dort ist es super anstrengend. Ich habe 24 Stunden nonstop gearbeitet. Hier in Bern ist es ruhiger, hier habe ich ein Menschenleben bekommen. In Tokio war ich wie eine Maschine, hier ist es menschlicher.» (Bild: Stefan Wermuth)

Und das möchte ich dir in den Tag mitgeben:

Brot: Jüngst haben Bäckereien in Bern aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen oder redimensioniert. Zudem leidet die Branche unter akutem Fachkräftemangel. Macht es noch Freude, Bäcker*in zu sein? Ein überzeugtes Ja hörte meine Kollegin Marina Bolzli von allen drei Bäckerei-Unternehmern, die sie in die Backstube der Bäckerei Reinhard zum «Gipfelitreffen» (inklusive Gipfelitest) geladen hatte. Nach der Lektüre des animierten Gesprächs möchte man am liebsten in ein frisches Stück Brot beissen.

Grünes Bündnis: Für die Wahlen in die Berner Stadtregierung vom 24. November ist eine weitere Personalfrage geklärt. Das Grüne Bündnis (GB) hat die Historikerin Ursina Anderegg (42) nominiert, um den Sitz der abtretenden Franziska Teuscher zu verteidigen. GB-Co-Präsidentin Anderegg kritisiert die zögerliche Klimapolitik der aktuellen Stadtregierung, deshalb lanciert das GB auf den Wahlkampf hin eine Klimagerechtigkeitsinitiative, wie die «Hauptstadt» schon berichtet hat

Schule: Bildung Bern, der Berufsverband der Berner Lehrer*innen, sammelt laut einer Mitteilung ab sofort Unterschriften für seine Initiative zur Sicherung der Bildungsqualität. Die Lehrer*innen verlangen vom Kanton und den Gemeinden mehr Geld, um dem Mangel an Lehrpersonen entgegenzuwirken. Zum Forderungskatalog gehören etwa «konkurrenzfähige Löhne», aber auch Mittel für die Digitalisierung sowie eine Stärkung von Frühbereichs und Tagesstätten.

Bahnhof Bern: Aktuell wird in Bern der neue unterirdische RBS-Sackbahnhof gebaut, der 2029 in Betrieb genommen wird. Doch schon denken die Behörden darüber nach, wie der Neubau danach erweitert werden soll. Im Fokus stehen eine unterirdische Verlängerung zur S-Bahn-Linie Bern-Köniz-Schwarzenburg sowie die Erschliessung des Insel-Areals. Wie die kantonale Verkehrsdirektion mitteilt, sind sich die Gemeinden Bern, Köniz und Schwarzenburg sowie Kanton und Regionalkonferenz nun einig, dafür eine Studie aufzugleisen.

Identität: Besteht unser Wesen als Menschen aus dem, was wir in der Vergangenheit erlebt haben? Oder daraus, wie wir uns in die Zukunft denken? Philosoph Christian Budnik arbeitet sich durch den Hausrat seiner Schwiegereltern und ergründet so unsere Identität.

Burgergemeinde: Der Stadtrat hat vor Weihnachten einen Vorstoss angenommen, der den Gemeinderat auffordert, eine Strategie für die (unrealistische) Vereinigung von Einwohner- und Burgergemeinde zu entwickeln. Das interessiert auch ausserhalb von Bern: Warum scheiden sich an der Burgergemeinde die Geister, fragte sich die Newsredaktion von SRF 4. Die «Hauptstadt» hat sich mit ihrem Themenschwerpunkt viel Kompetenz zur Burgergemeinde erarbeitet. Deshalb konnte ich im Interview laienverständlich erklären, wie die Burgergemeinde funktioniert. Und wo ihre wunden Punkte sind

PS: Gute Musik nimmt einen auf weite Reisen mit, auch wenn man vielleicht gerade nicht weg kann. Morgen Freitag (20.30 Uhr) gibt es im BeJazz-Club in den Vidmarhallen eine solche Gelegenheit. Die Jazz-Sängerin Lucia Cadotsch, die 2023 den Schweizer Musikpreis erhielt, tritt mit ihrer Band auf. Selbst den amerikanischen Autor T.C. Boyle begeisterte Cadotschs Stimme: «I like what you are doing», schrieb er, «Congratulations!» Schöne Reise!

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