Berner Meer – «Hauptstadt»-Brief #222

Samstag, 23. September 2023 – die Themen: Schwimmhalle Neufeld; Christine Badertscher; städtisches Budget 2024; Schule Tscharnergut; IT-Debakel; Askforce. Kopf der Woche: Estefania Miranda.

Illustration zum Hauptstadt-Brief
(Bild: Marc Brunner, Büro Destruct)

Für alle, die in den Herbstferien nicht in den Süden fahren können, habe ich eine formidable Nachricht. Bern hat jetzt auch ein Meer. Und erst noch eines mit Dach.

«Endlich gibt es in Bern genug Wasser für alle Schwimmbedürfnisse», sagte Christian Bigler, Leiter des städtischen Sportamts, als er gestern auf die noch unbewegte Wasserfläche der neuen 50-Meter-Schwimmhalle hinunterblickte. Der elegante Bau mit dem Wellendach, der «goccia» (Tropfen) heisst und konzipiert wurde von Architekt Armon Semadeni, steht bei der ehemaligen Buswendeschleife nach dem Freigymer im Neufeld.

Nach einem Tag der offenen Tür (heute Samstag, 9 bis 17 Uhr) wird die neue Halle morgen Sonntag offiziell in Betrieb genommen. Mit diesen Eintrittspreisen: Stadtberner*innen zahlen 8.60 Franken, Auswärtige 9.80, etwas mehr als in den Hallenbädern Wyler und Weyerli (7.50/8.50).

«Ein ganz besonderer Moment für Bern» sei diese Eröffnung, sagte Stadtpräsident Alec von Graffenried. Und es war nicht einmal eine präsidiale Übertreibung. Seit geschlagenen 50 Jahren geistert die Idee von gedeckten 50-Meter-Schwimmbahnen durch die Stadt. Im Jahr 1997 kam ein kantonales Projekt im Weissensteinquartier gar zur Volksabstimmung, wo es aber scheiterte. 2015 legte die städtische FDP, oft härteste Kritikerin der Investitionspolitik der rot-grünen Stadtregierung, mit einer Volksinitiative den politischen Grundstein für die 75 Millionen Franken teure Schwimmhalle.

Sportministerin Franziska Teuscher navigierte das Projekt um diverse Klippen. Hallenbäder sind krasse Energiefresser, aber Bern hat jetzt die erste Schwimmhalle der Schweiz mit Minergie-P-Eco-Zertifikat. Das Dach ist mit Photovoltaik-Panels bedeckt. Bade- und Duschwasser wird zweit- und drittgenutzt. Und im baumaffinen Bern besonders wichtig: An der Position der Schwimmhalle wurde so lange getüftelt, bis gesichert war, dass drei angrenzende über 100-jährige Bäume samt Wurzelwerk keinen Schaden nehmen.

Leute, geniesst das Schwimmen auf diesen unendlich langen Bahnen! Ich bin sicher, irgendwann wird auch noch die Sonne feuerrot im neuen Berner Meer versinken.

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Mau luege. (Bild: Raffael Thielmann)

Das möchte ich dir ins Wochenende mitgeben:

Eidgenössische Wahlen: Wahlkampf ist die Zeit der schrillen Sprüche. Meine Kollegin Flavia von Gunten hat eine Politikerin der leiseren Töne begleitet. Die Grüne Christine Badertscher, die um ihren Sitz im Nationalrat zittert, aber sich deswegen nicht verbiegen lässt.

Stadtfinanzen I: Das Berner Stadtparlament hat die Ausgaben im Budget 2024 im Vergleich zum Regierungsvorschlag noch einmal um fast zwei Millionen Franken erhöht. Am 19. November befinden die Stimmberechtigten über ein Defizit von 39 Millionen Franken. SVP, FDP, Mitte und die Grünliberalen werden 2022 erneut gemeinsam für eine Ablehnung des Budgets kämpfen, schreibt meine Kollegin Marina Bolzli.

Stadtfinanzen II: Die hohen Investitionen der Stadt machen Politiker*innen bis weit ins linke Lager Sorgen. Am Tag der Eröffnung der neuen Schwimmhalle taucht am Horizont die nächste Grossinvestition auf: Für die Sanierung des Schulhauses Tscharnergut beantragt der Gemeinderat dem Parlament einen Projektkredit von sieben Millionen Franken, wie er mitteilt. Gerechnet wird «mit Baukosten von 50 bis 66 Millionen Franken».

IT-Fehlstart: Die städtische Sozialhilfe und das Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz ächzen unter den Problemen mit der neuen Software zur Fallführung. Die Gemeinderät*innen Reto Nause (Mitte) und Franziska Teuscher (GB) beantragen deshalb einen Nachtragskredit von fast einer Million Franken. «Diese IT-Probleme sind eine Katastrophe und zum Fremdschämen», kritisiert Jglp-Stadträtin Corina Liebi im Text meines Kollegen Joël Widmer.

Askforce: Die Kult-Kolumne Askforce, die bis Herbst 2021 wöchentlich in der Tageszeitung «Bund» erschien, begleitet die «Hauptstadt» durchs Winterhalbjahr 2023/24. Ab übermorgen Montag erscheint sie wieder einmal die Woche. Die Askforce-Autor*innen freuen sich auf knifflige Fragen von Hauptstädter*innen.

PS: Das Berner Theaterkollektiv Jetski Magenta bringt ein grosses Thema aufs Tapet: «Ching ha. Wir stellen die Frage», heisst die neuste Produktion, die heute Samstag und morgen Sonntag je um 20.15 Uhr im Tripity (ehemalige Schreinerei, Weissensteinstrasse 4, Bern) zu sehen ist. Ich empfehle einen Besuch: Unsere grossartige Praktikantin Lea Sidler spielt mit, und so, wie wir sie kennen, hat Hand und Fuss, was sie anpackt.

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(Bild: zvg)

Berner Kopf der Woche: Estefania Miranda

Die Choreografin Estefania Miranda, die von 2013 bis 2021 das Ballett zur erfolgreichsten Sparte von Bühnen Bern gemacht hat, hat Anfang Woche ein kleines Erdbeben in der Berner Kultur ausgelöst. Und fragt sich nun, was sie tun kann, damit ihre Offensive nicht ungehört verhallt. Sondern dazu beiträgt, Reformen anzustossen. Das sei es, was sie und Mitarbeitende von Bühnen Bern, die sich in den letzten Tagen bei ihr gemeldet hätten, sich wünschten, sagt Miranda der «Hauptstadt» bei einem Kaffee in Bern.

Sie hat in langen Artikeln in BZ/Bund (Abo) und in der Jungfrau-Zeitung massive Kritik an der Intendanz von Bühnen Bern geübt. In Kürzestform: Nach ihrem Rücktritt wurde Miranda im März 2022 als kurierende Beraterin und Chefchoreografin zurückgeholt. Die Öffentlichkeit erfuhr nichts davon, doch Miranda entwarf etwa das Ballettprogramm bis 2025. Aber: Ein bereits ausgehandelter Arbeitsvertrag sei, obschon Bühnen Bern die Gültigkeit anerkennen müsse, von Intendant Florian Scholz nie unterzeichnet worden. Mirandas Name sei gegen ihren Willen aus Medienmitteilungen gestrichen worden. Lohnzahlungen seien nie erfolgt, im November 2022 wurde ihr gekündigt. Deshalb befindet sie sich mit Bühnen Bern, das alle Vorwürfe zurückweist, auch in einer juristischen Auseinandersetzung.

Monatelang habe sie mit sich gerungen, ehe sie ihre Geschichte publik machte. Die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, wie ein hoch subventioniertes Haus geführt werde, findet Estefania Miranda. Und: Jeder Punkt der in Bund/BZ formulierten Kritik sei anhand von Beweisen durch die Redaktion juristisch geprüft worden: «Ich erfinde nichts.»

Miranda hat ihren Anwalt 2021, lange vor der Kündigung, wegen Mobbings kontaktiert, wie ein Schreiben zeigt, das der «Hauptstadt» vorliegt. Sie verstehe ihre Offensive nicht als Rachefeldzug gegen Intendant Florian Scholz: «Ich bin bloss ein Extrembeispiel dafür, das einmal mehr zeigt, was bei Bühnen Bern strukturell schiefläuft.» Die externe und interne Kommunikation vor allem, die Art, wie mit Menschen umgesprungen werde.

Man duze sich bei Bühnen Bern über alle Hierarchiestufen hinweg, sei aber nicht fähig, Probleme im Gespräch zu bereinigen, sagt Miranda. Was für ein Widerspruch: Die Theaterschaffenden bringen «die Fragen der Gesellschaft der Zukunft auf die Bühne, aber die Unternehmensorganisation befindet sich in der Vergangenheit». Das Hauptproblem ortet Miranda bei der Hierarchisierung durch die Figur des Intendanten, der mächtig über den vier Sparten schwebe und als einziger den Stiftungsrat informiere, weswegen sie letzterem auch keine Vorwürfe mache.

Estefania Miranda hofft, dass ihre Kritik einen konstruktiven Prozess auslöse. Dass sie Politiker*innen, Geldgeber*innen, initiative Mitarbeitende motiviert, den Faden aufzunehmen. Sie selber sei jederzeit bereit, einen Telefonanruf entgegenzunehmen. Von Stiftungsratspräsidentin Nadine Borter etwa. Dass man sich in einem Rechtsstreit befinde, sei juristisch kein Hindernis, sich öffentlich zu äussern oder das direkte Gespräch zu suchen, sagt Miranda.

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