Gnadenfrist für den «Bund»

Die Neustrukturierung des Medienunternehmens Tamedia bedeutet eine weitere Rückstufung des Traditionstitels «Der Bund». Der Beziehungsstatus zwischen Bern und Tamedia wird immer komplizierter.

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Ein «Future Brand» und einer mit ungewisser Zukunft: BZ/Bund-Redaktion am Dammweg in Bern. (Bild: Danielle Liniger)

290 seiner gut 1200 Vollzeitstellen baut das Medienunternehmen Tamedia in den nächsten Jahren in der ganzen Schweiz ab. Das kündigte die Verlagsspitze am Dienstag an. 200 davon betreffen den Bereich Druck, weil Tamedia zwei seiner drei Druckereien bis 2026 schliesst. Der Druckstandort Bern – im Zentareal an der Grenze zu Ostermundigen gelegen – bleibt bestehen und soll sogar gestärkt werden.

90 Vollzeitjobs werden in den Redaktionen der rund 30 Medientitel, die Tamedia in der ganzen Schweiz betreibt, gestrichen. Welche Personen und Standorte es betrifft, ist noch nicht klar: «Die neue Struktur ermöglicht uns unumgängliche Kosteneinsparungen», sagte Tamedia-CEO Jessica Peppel-Schulz in ihrer Online-Präsentation vor den Mitarbeitenden: «Weitere Informationen zu einer Reduktion der Stellen können wir in der Woche vom 16.9. mitteilen.»

Mehr Klarheit schaffte die CEO, was die Zukunft der einzelnen Medientitel angeht. Neu hat Tamedia vier sogenannte «Future brands» festgelegt – zu deutsch ungefähr «Medienmarken mit Zukunft».

Auf dem Medienplatz Kanton Bern sieht Tamedia ausschliesslich in der Berner Zeitung dieses Potenzial. Laut Peppel-Schulz wird die BZ «digital maximal ausgebaut» mit «Fokus auf die Reichweite», was bedeutet: Über den BZ-Online-Kanal sollen möglichst viele Menschen erreicht werden, die Klicks und Leseminuten liefern und damit die Grundlage, um Werbung zu akquirieren. Die BZ wird weiterhin auch gedruckt erscheinen.

Publibikes mit Hauptstadt Werbung fotografiert am Mittwoch, 24. April 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Darum gibt es die «Hauptstadt»

Die «Hauptstadt» wurde im Herbst 2021 gestartet als Reaktion auf die Zusammenlegung der Lokalredaktionen von Bund und Berner Zeitung. Die gründenden Journalist*innen hatten genug davon, darüber zu jammern, dass das profitorientierte Zürcher Medienunternehmen Tamedia den Medienplatz Bern kaputtspart. Dem stellten sie ihren Unternehmer*innengeist entgegen.

Seither engagiert sich die «Hauptstadt» – wie andere kleine Berner Medien – für Lokaljournalismus, der in Bern gemacht, verantwortet – und finanziert wird. Der Markt ist hart. Was er hauptsächlich braucht: Menschen aus Bern, die für Journalismus made in Bern bezahlen.

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Neben der BZ stuft Tamedia den Tages-Anzeiger, die Basler Zeitung und «24 heures» als «Future Brands» ein.

Fokus auf Effizienz

Alle anderen Marken ausser den vier Auserwählten, erklärte Peppel-Schulz der Belegschaft, werden zu den «Transition Brands» eingeteilt. Das kann man wohl mit «Übergangs-Marken» übersetzen. Im Sprech der Tamedia-Spitze bedeutet das: Die jeweiligen Print-Ausgaben bleiben erhalten, aber, so Peppel-Schulz, «mit Fokus auf Effizienz» betrieben. Digital schlüpfen die Transitions-Marken unter die Fittiche des geografisch am nächsten gelegenen «Future Brands».

Exemplarisch kann man am Beispiel des Berner Oberlands zeigen, was das bedeutet: Die Tamedia-Lokalausgaben «Berner Oberländer» und «Thuner Tagblatt» – die beide den «Transition Brands» zugeteilt werden – erscheinen weiterhin als gedruckte Zeitung. Aber digital verschwinden sie. Ihre Inhalte werden unter bernerzeitung.ch publiziert.

Ist das jetzt ein publizistischer Abbau? Von aussen wird man vorerst kaum etwas merken. Ja, man kann den Erhalt der Oberländer Printtitel sogar als grosszügiges Bekenntnis von Tamedia zur Erhaltung der medialen Artenvielfalt darstellen. Gleichzeitig allerdings ist digital der Acker so bestellt, dass man die Marken rasch fallenlassen könnte, wenn sich das Printgeschäft im Oberland für den Verlag dereinst nicht mehr rechnen sollte.

«Stärkung» im Oberland?

Schon Mitte September wird sich zudem zeigen, was «Fokus auf Effizienz», den die Tamedia-Spitze den Transitions-Titeln verschreibt, für den Personalbestand in den Redaktionen heisst. Bereits jetzt ist offensichtlich, dass die Halbwertszeit von Ankündigungen bei Tamedia recht kurz sein kann: Erst 2023 hatte Tamedia die «Berner Oberländer Medien AG» vollständig übernommen, nachdem deren Spiezer Mitbesitzer Konrad Maurer seine 50-Prozent-Beteiligung nach Zürich verkauft hatte.

Als Tamedia vor genau einem Jahr die publizistische Alleinverantwortung für «Thuner Tagblatt» und «Berner Oberländer» übernahm, tönte es noch nach Aufbruch. Ein Sprecher hielt damals gegenüber der «Hauptstadt» fest, dass man die publizistische Qualität im Oberland nicht nur erhalten, sondern verbessern wolle. Entscheidend sei zudem «eine Stärkung des digitalen Auftritts». Die Einstufung als «Transition Brands» für Tagblatt und Oberländer wirkt eher wie das Gegenteil von Stärkung.

Auserwählter «Bund»

Noch verwirrlicher ist nach der Neustrukturierungs-Ankündigung die Situation des Stadtberner Traditionsmediums «Bund». Er gehört gemäss der Tamedia-Spitze weder zum Tafelsilber der Zukunftsbrands, noch zu den Auslaufmodellen, denen man digital gar keine Zukunft mehr gibt. Laut Peppel-Schulz ist der «Bund» ein Teil der «auserwählten Marken» im Tamedia-Universum, die weiterhin «mit Angeboten in digital und Print weitergeführt werden». Klar ist einzig, dass der «Bund» «digital näher zur BZ rückt».

Etwas zugespitzt könnte man wohl sagen: Obschon die Tamedia-Spitze sich bei jeder Gelegenheit aus Respekt vor dem seit 1850 existierenden «Bund» verbeugt, ist das, was ihm jetzt gewährt wird, wohl nicht viel mehr als eine Gnadenfrist. Solange die Aura der Traditionszeitung gedruckt noch zum Umsatz beiträgt, ist der «Bund» wohlgelitten. Digital hat er zu wenig Wachstumspotenzial und deshalb kaum eine Zukunft.

Am seidenen Faden

Tatsächlich ist die Eigenständigkeit des «Bund» schon lange mehr Fiktion als Realität – spätestens seit 2022, als die Lokalteile von Bund und BZ fusioniert wurden. Die beiden Titel werden seitdem aus derselben Redaktion bespielt. Die damalige «Bund»-Chefredaktorin Isabelle Jacobi beteuerte 2023 gegenüber der «Hauptstadt» zwar noch, 30 Prozent der Inhalte von Bund und BZ seien nicht identisch.

An einem seidenen Faden hängt der «Bund» mittlerweile schon fast ein Vierteljahrhundert. Der Prozess der schrittweisen Ausbleichung der Qualitätsmarke dauert bereits 20 Jahre – und ist wohl unumkehrbar. 2004 holte Charles von Graffenried, der 2012 verstorbene Verleger der Berner Zeitung, den wirtschaftlich schwer angeschlagenen «Bund» in seinen Verlag namens Espace Media Groupe. Er begründete das «Berner Modell», indem er die sich publizistisch konkurrenzierenden Zeitungen «Bund» und BZ unter einem Verlagsdach herausgab.

2007 verkaufte von Graffenried sein Verlagspaket mehrheitlich der Tamedia. Seit damals wird ein Grossteil des Berner Medienplatzes von Zürich aus gesteuert. Die Gruppierung «Rettet den Bund», angeführt vom Berner Politikberater Mark Balsiger, verhinderte 2009/10 im letzten Moment die Einstellung des Traditionstitels, der fortan aber überregionale Inhalte des Tages-Anzeigers übernahm. Noch letzte Woche erklärte Simon Bärtschi, früher Chefredaktor der BZ und jetzt publizistischer Leiter im obersten Führungsgremium von Tamedia, an einem Anlass der Berner Public Relations Gesellschaft sinngemäss: Die Alternative zur Fusion der Lokalteile von «Bund»/BZ wäre im Jahr 2022 die Einstellung des «Bund» gewesen.

Der nächste Schritt

Die Tamedia-Ankündigung von dieser Woche wirkt jetzt allerdings wie das nächste Schrittchen in Richtung Ende des «Bund». Und der Beziehungsstatus zwischen dem zackigen Medienhaus Tamedia und Bern wird immer komplizierter.

Allerdings nützt es wenig, von Bern aus alleine die Tatsache zu betonen, dass der börsenkotierte Mutterkonzern TX Group, zu dem Tamedia gehört, grosse Gewinne schreibt und Dividenden auszahlt, während er in der Publizistik gnadenlos sparen lässt.

Die Situation, in der sich der Medienplatz im Grossraum Bern wiederfindet, hat aber auch mit ihm selber zu tun. Er entwickelte sich nach immer demselben Muster: Lokale Verleger verkauften ihre Medien im Zweifelsfall lieber, so lange man mit ihnen noch gutes Geld verdienen konnte. Und vermieden es, dem grossen Konkurrenzen die Stirn zu bieten. In Bern entstand bis jetzt weder das unternehmerische, noch das gesellschaftliche und politische Umfeld, das zur Bewahrung und Entwicklung von starken eigenständigen und lokal verankerten Medien nötig wäre.

Die «Hauptstadt» versucht, ein solches Medium zu sein. Bei aktuell knapp 3000 Abonnent*innen erreicht sie einen Selbstfinanzierungsgrad von rund zwei Dritteln. Das zeigt klar: Es braucht mehr. Mehr Menschen, die bereit sind, für Lokaljournalismus zu zahlen. Aber auch Investor*innen und Unterstützer*innen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand, die bereit sind, sich für den Medienplatz Bern zu exponieren.

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Diskussion

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Marc Lettau
30. August 2024 um 10:15

Danke für die sehr aufschlussreiche Einordnung. Übrigens: Wer heute auf www.derbund.ch nach den Konditionen für ein Bund-Abo sucht, stösst unter «Abo abschliessen» – auf eine leere Seite. Offenbar ist es gar nicht mehr vorgesehen, ihn zu abonnieren. Dabei wollte ich nur nachsehen, was mich das Abo inzwischen jährlich kostet. Denn: Wenn Tamedia «meine» Tageszeitung endgültig liquidiert, schicke ich den bisher in den «Bund» investierten Betrag zur «Hauptstadt» rüber...