Das Kapitel schliesst
Die Berner Clubszene verliert ein einst wegweisendes Ausgangslokal. Die Verantwortlichen ziehen nach fast 14 Jahren einen Schlussstrich.
Nach fast 14 Jahren endet die Geschichte am Bollwerk 41: Das ehemalige Kapitel schliesst endgültig seine Türen. Trotz grossem Effort sehen die Betreiber*innen keine langfristige Lösung mehr, um den einst fürs Berner Nachtleben stilprägenden Club weiterzuführen.
«Wir sind massiv über unsere Grenzen gegangen», sagt Dino Dragić-Dubois, Teil der siebenköpfigen Geschäftsleitung. Viel sei in den letzten Monaten und Jahren investiert worden, um eine langfristige Finanzierung zu sichern. Zudem hätten sie eine langersehnte Neuausrichtung vollzogen: Der namensgebende Verein «In Transformation» sollte der Startschuss für ein neues Kapitel sein. Daraus wird nun nichts, die Beteiligten kapitulieren.
«Es geht nicht mehr auf.»
Der Entscheid zur Schliessung ist vor rund einem Monat gefallen. «Wir hören auf, bevor es nicht mehr weitergeht», sagt Dragić-Dubois und weist darauf hin, dass personelle Ressourcen und die fehlenden längerfristigen Fördergelder den Ausschlag gaben. Zuletzt war der Betrieb nur dank der Mithilfe von rund 20 ehrenamtlich Arbeitenden möglich.
Das Lichterlöschen am Bollwerk 41 löst bei Dragić-Dubois gemischte Gefühle aus: «Die Trauer ist noch nicht da, eher eine Erleichterung». Zu viele Überstunden, Herzblut und kräftezehrende Einsätze seien notwendig gewesen, um mit dem Lokal über die Runden zu kommen. «Die Schliessung erfolgt letztlich, weil es personell und finanziell längerfristig nicht mehr geht.»
Dino Dragić-Dubois ist seit 2016 im Nachtlokal aktiv und wurde Ende 2018 mit Mahalia Haberthür Teil der Geschäftsleitung – zusammen mit Mitgründer Diego Dahinden, der seit Beginn den Kulturbetrieb mitführte. Das Lokal hat sich über die Jahre stark gewandelt, etwa durch die Eröffnung des kulturell vielseitigen Soso-Space. In diesem ist die beliebte Clubliteratur-Reihe beheimatet. Zudem bot der Raum Platz für avantgardistische und poprelevante Konzerte und Performances.
Die jüngste Umwandlung vom clubbing-fokussierten Kapitel Bollwerk zum weitreichenderen, Sparten vereinenden «In Transformation» war ein Schritt, den sich die Clubbetreiber*innen schon lange gewünscht hatten. «Der Wandel zum Verein ‹In Transformation› und dem neuen diverseren Programm war erfüllend und bestätigend», sagt Dragić-Dubois.
«Der Wandel war erfüllend und bestätigend.»
Dino Dragić-Dubois
Aus der ganzen Schweizer Club- und Kulturszene bekam das Vorhaben positive Reaktionen. Die zahlreichen nationalen und internationalen Testimonials von Kulturschaffenden seien Belege dieser wohlwollenden Grundstimmung, so Dragić-Dubois. Auch dank dieser Unterstützung konnten zu Jahresbeginn 54'000 Franken mittels Crowdfunding gesammelt werden. Diverse Kulturpartnerschaften, wie die Zusammenarbeit mit dem Theaterfestival Auawirleben oder Veranstaltungen mit der Hochschule der Künste Bern (HKB), zeugten vom vollzogenen Wandel.
Polemik um Richtungswechsel
Doch der Wandel brachte nicht die erhoffte Trendwende. Im Gegenteil: In der Szene munkelt man, dass die kulturelle Neuausrichtung viele ehemalige Kapitel-Besucher*innen abgeschreckt habe. Ohne dass diese durch ausreichend neues Publikum hätte ersetzt werden können.
Kritische Stimmen monieren, dass eine Neuausrichtung in dieser Form gar nicht notwendig gewesen wäre. Stattdessen hätten die Betreiber*innen diese aus ideologischer Motivation heraus angestossen. «Es ist nicht so, dass wir gewisse Leute nicht mehr als Gäste haben wollten, wir haben einfach neue Regeln angewendet und unser Handlungskonzept angepasst, um einen Safer Space zu schaffen», sagt Dragić-Dubois dazu.
Infolgedessen seien einzelne Personen rausgebeten worden, die dann nicht mehr zurückgekehrt seien. «Uns war bewusst, dass der angestrebte Kulturwandel im Nachtclub gewisse Personen abschrecken würde», sagt Dragić-Dubois. Darunter auch Gäste, die zu den konsumfreudigsten gehörten. Doch Dragić-Dubois betont: «Heute gehören Awareness-Konzepte zum State of the Art der Branche.»
Im Zentrum stand dabei gemäss den Betreiber*innen die Erschaffung eines Kulturlokals, das sich um das Wohlergehen der diversen Gäste kümmert. «Wir wollten einen Safer Space schaffen für Menschen, die sich aufgrund eigener traumatischer Erfahrungen im Club- und Kulturkontext anderswo nicht wohl fühlen.» Dieses Publikum habe den früh angestossenen Wandel geschätzt, bis heute.
Kein Einzelfall
Die Bestrebungen, neue Finanzierungsmöglichkeiten zu finden, glückten teilweise: Eine Vielzahl an Anträgen bei Stiftungen und Förderstellen erhielt Zuspruch – die finanzierten Veranstaltungsreihen laufen teils bis Ende Jahr noch weiter. Gemäss Dragić-Dubois fehle aber «eine grössere, mittelfristige finanzielle Unterstützung», die dem Kulturort eine Grundlage gegeben hätte.
Doch nicht nur die finanzielle Lage gab im Umfeld des Nachtclubs zu reden: Dragić-Dubois hatte sich in den Sozialen Medien im vergangenen Jahr wiederholt unangemessen gegenüber anderen Kulturschaffenden geäussert. Im Frühjahr verzichtete die Berner Stadtregierung deshalb auf die Wiederwahl von Dragić-Dubois in die Stadtberner Kulturkommission. Es sind Vorfälle, die die Bemühungen um die Finanzierung des Kulturlokals womöglich erschwerten.
Hinzu kommt, dass die ganze Kulturbranche unter Druck steht – und das nicht erst seit jüngster Zeit. «Die Hilferufe werden mehr und lauter», sagt Dragić-Dubois. Die Schliessung des Kapitels sehen die Betreibenden auch im Rahmen dieser schweizweiten Entwicklung.
Nun folgt das Ende der so facettenreichen Geschichte rund um das Berner Nachtleben prägende Kapitel und des spartenübergreifenden Nachfolgeprojekts «In Transformation». Das Lokal soll ab Oktober von neuen Betreiber*innen übernommen werden. Gemäss Dragić-Dubois würden fortgeschrittene Verhandlungen mit Interessierten laufen. «Noch ist aber nichts spruchreif.» Bis dahin laufen diverse Veranstaltungen weiter, für die letzten Monate ist ein Closing-Programm geplant. Die Abschlussparty erfolgt am 27. September 2025.
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