Ein Taler für Bedürftige

Vier Berner*innen verteilen in der Stadt sogenannte «Katzentaler» aus Holz an Bedürftige. Diese können gegen ein warmes Essen oder einen Schlafplatz eingetauscht werden. Kann der Taler die Bedürfnisse der Bedürftigen erfüllen?

Katzentaler fotografiert am 06.04.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
«Wenn ich zehn Franken gebe, werden diese dann wirklich für das Übernachten genutzt?» (Bild: Simon Boschi)

Im Keller der Schule für Gestaltung in Bern surrt ein Laser. Stück für Stück prägt er kleine Punkte und Linien in einen Taler aus Holz ein, bis nach 19 Minuten der Umriss einer schlafenden Katze sichtbar wird. Produziert wurden gerade 60 «Katzentaler».

Für fünf Franken kann man seit Anfang 2020 ein solches Stück aus gepressten Holzfasern und Leim online erwerben. Auf der Website wird versprochen: Es ist für einen guten Zweck. Für die Bedürftigen der Stadt Bern. Diese können einen Taler gegen ein warmes Essen an ausgewählten Standorten wie in den Institutionen La Prairie, Contact Anlaufstelle, Casa Marcello, Gassenküche, La Gare, Azzurro und dem Dock8 oder gegen eine Nacht im Sleeper eintauschen. So sollen die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen von Bedürftigen in der Stadt Bern abgedeckt werden.

Hinter dieser Idee stecken Claudia Friedli, Svenia Steiner, Melanie Erb und Patrick Grogg, vier engagierte Berner*innen, die in ihrer Freizeit die Katzentaler herstellen, verschicken, verteilen und wieder einsammeln. Entstanden ist das Konzept Ende 2019. Claudia Friedli ist diejenige, die den Gedanken erstmals streut. «Ich werde häufig für einen Franken gefragt. Den gebe ich immer gerne. Aber mit einem Franken alleine kann man nirgends übernachten», erzählt die Bernerin. Ihr stellt sich dann häufig die Frage: Wenn ich statt einem Franken zehn Franken gebe, werden diese dann wirklich für das Übernachten genutzt?

Der Katzentaler stellt dafür eine Lösung dar. Er soll dabei helfen, die Unsicherheit zum Spenden zu überwinden und die Menschen zu sensibilisieren. Ein Vorbild für die Taler haben die vier nicht. In keiner anderen Schweizer Stadt gibt es ein ähnliches Konzept. Durch Spenden und Geld aus eigener Kasse produzieren sie schliesslich im Januar 2020 die ersten Katzentaler und bringen sie zum ersten Mal auf die Strassen.

Katzentaler fotografiert am 06.04.2023 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Ein kleines Gedicht erklärt den Zweck des Talers. (Bild: Simon Boschi)

Am Anfang will niemand die Taler haben. Melanie Erb hört von allen Seiten, dass das Holzstück «sicher nid füf Stutz wärt» sei. Doch die vier bleiben dran und holen mehrere Restaurants als Partner hinzu. Mittlerweile freuen sich die Bedürftigen, wenn sie einen Katzentaler bekommen.

Heute sind 700 Taler in Bern im Umlauf und 1’480 Taler insgesamt verkauft worden. Doch braucht es in Bern diese Taler? Und wie viel Sinn ergibt ein solches Modell? Die «Hauptstadt» hat mit drei Expert*innen gesprochen und ist auf unterschiedliche Reaktionen gestossen.

«Der Katzentaler ermöglicht zwar eine eingeschränkte, aber immerhin eine Auswahlmöglichkeit.

Nora Hunziker, Gassenarbeit Bern

Die Einschätzung

«Wir finden es super, wenn Menschen aus der Bevölkerung sich solidarisch mit Menschen in prekären Lebenslagen zeigen», sagt Nora Hunziker von der Gassenarbeit Bern. Sie ist grundsätzlich dafür, dass der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme hoch genug sein sollten, so dass Menschen sich ihr Leben leisten können. Hunziker weist darauf hin, dass dies leider nicht der Fall sei und Menschen deshalb auf finanzielle Hilfe der Zivilgesellschaft angewiesen seien. «Der Katzentaler ermöglicht zwar eine eingeschränkte, aber immerhin eine Auswahlmöglichkeit, was wir von der Gassenarbeit sehr toll finden», sagt sie.

Zsolt Temesvary, Wissenschaftler der Fachhochschule Nordwestschweiz, empfindet den Katzentaler auch als eine gute Idee. «Da die Katzentaler universal und von mehreren Einrichtungen angenommen werden, können die Betroffenen dadurch mehrere Bedürfnisse, wie Schlafen, Essen, psychische und physische Geborgenheit, gleichzeitig befriedigen.»

Temesvary weist auf eine andere Überlegung hin, die sich auch das Team hinter dem Katzentaler gemacht hat. Einige Passant*innen würden den Bettelnden lieber einen Essensgutschein, oder eben Katzentaler geben, da sie wissen, dass diese nicht für Alkohol oder Drogen ausgegeben werden.

Geld statt Katzentaler

Aber er sieht auch Nachteile am Konzept: «Passant*innen entscheiden so willkürlich, welche Bedürfnisse der Bettelnden befriedigt werden können und müssen und welche nicht.» Der Wissenschaftler bringt ein Beispiel: Eine Bettlerin will Winterschuhe kaufen, weil es im Winter draussen sehr kalt ist, aber mit den Katzentalern kann sie nur bei der Gassenküche essen oder in der Notschlafstelle übernachten. «Diese Entscheidungen spiegeln meistens das Wertesystem einer bürgerlichen Gesellschaft.»

Die ausländischen Personen wollen weder Obdach noch Nahrungsmittel - sondern lediglich Geld.»

Alexander Ott, Leiter der städtischen Fremdenpolizei

Am Ende nennt er noch ein in den letzten Jahren oft diskutiertes Argument: «Bettelnde, besonders Menschen aus Osteuropa, brauchen Bargeld sofort, weil sie Ihre Familien im Heimatland unterstützen müssen, ihre Schulden bezahlen müssen, oder ein Zugticket kaufen wollen, um nach Hause zu reisen.»

Auch Alexander Ott, Leiter der städtischen Fremdenpolizei, sieht die Problematik dort. «Über die Sinnhaftigkeit des Talers kann ich mich nicht äussern. Bezüglich der vulnerablen und ausbeuterischen Situation der familienbasierten organisierten Bettelei bringt es keinen Mehrwert. Die ausländischen Personen wollen weder Obdach noch Nahrungsmittel - sondern lediglich Geld.»

Wie es weitergeht

Die Meinungen sind geteilt. Die Sinnhaftigkeit des Talers wird sich wahrscheinlich erst in ein paar Jahren zeigen. Mit dem Scheitern oder dem Gelingen des Projektes. Claudia Friedli, Svenia Steiner, Melanie Erb und Patrick Grogg sind positiv gestimmt. Ihr Ziel sei momentan, dass die Rücklaufquote des Talers möglichst hoch ist und mehr Menschen auf sie aufmerksam werden.

Den Plan, den Taler auch auf andere Städte auszuweiten, haben sie in nächster Zeit noch nicht. Erst einmal konzentrieren sie sich auf Bern. «Gerne können andere Städte unsere Idee kopieren», wirft Patrick Grogg ein. Es wäre sogar sehr willkommen.

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