«Bin um jeden Kübel froh»
Tag für Tag müssen sie blaue Säcke in Kehrichtfahrzeuge wuchten. Unterwegs mit den Belader*innen der Stadt Bern – drei Monate nach dem «Container-Debakel».
«Futuricum» steht in grossen Lettern auf dem Kehrichtfahrzeug. Beinahe lautlos rollt das tonnenschwere Gefährt an diesem Mittwochnachmittag die Landoltstrasse hinab zwischen Monbijouquartier und Wabern. Chauffeur André Reinhard und die zwei Belader Alex Schnetzer und Pascal Tellenbach brechen zum zweiten Teil ihrer Schicht auf. Sie sind an Bord eines der sieben vollelektrischen Kehrichtfahrzeuge, welche die Stadt besitzt. Technisch scheint die goldene Zukunft also schon angebrochen zu sein, doch bei den Belademethoden bleibt vorerst alles beim Alten. Der Sack wartet auf dem Trottoir und nicht in einem Container auf die Equipe.
Genau das hätte die vom Stimmvolk 2021 beschlossene Containerpflicht vorgesehen. Doch in diesem Frühjahr verkündete der Gemeinderat einen Marschhalt. Es können viel weniger Container auf Privatgrund platziert werden als ursprünglich angenommen, so die Begründung im Nachhinein. Allerdings spielten auch Fragen zur Nutzung des öffentlichen Raums und zur Erhaltung des Stadtbilds eine Rolle.
Gewerkschaften kritisierten postwendend, die Stadt erfülle die Fürsorgepflicht für ihre Angestellten nicht. Diese hätten durch die Containerpflicht entlastet werden sollen – weil sie weniger blaue Säcke schleppen müssen.
Zurück in die Zukunft
Schnetzer und Tellenbach verlassen nun den Wagen und sammeln die ersten blauen Säcke auf, die im bürgerlichen Quartier ordentlich in Reih und Glied stehen. Maximal vier schwere Säcke versuche er gleichzeitig zu tragen, erklärt Belader Schnetzer. Bei leichteren Exemplaren finden aber auch sechs bis acht in seinen Händen Platz. «Besser direkt schmeissen, statt lange lüpfen», sagt Schnetzer. Das sei Rücken schonender.
Mit Schwung pfeffert er den Kehricht in den Schlund des Entsorgungsfahrzeugs, wo dieser langsam gewalzt wird. Dann summt der Camion weiter zum nächsten Haushalt – das Spiel wiederholt sich. «Es gibt blaue 35-Liter-Säcke, die bis zu 20 Kilo wiegen», sagt Schnetzer. Doch nicht der einzelne Sack sei es, der an der körperlichen Substanz nage, sondern die Wiederholung über Wochen, Monate, Jahre. «Ich spüre das Alter, s‘hängt einem ah», sagt der 53-Jährige, der bei der Arbeit Stützstrümpfe trägt.
Steter Tropfen höhlt den Stein
6,8 Kilogramm – die mitgebrachte Digitalwaage des Reporters zeigt das Gewicht eines blauen 35-Liter-Sacks an. Eine Grösse, die von vielen Berner Haushalten verwendet wird. Besonders Windeln, schwere Küchenabfälle oder Katzenstreu treiben das Gewicht der Säcke in die Höhe, erklärt Belader Tellenbach, bevor er wieder auf das Trittbrett des Fahrzeugs steigt. 4,6 Kilo, 9,8 Kilo und 8,6 Kilo vermeldet die Digitalwaage bei den nächsten Haushalten.
Die 36 Belader*innen, davon drei Frauen, welche bei Entsorgung Stadt Bern angestellt sind, bekommen im Verlauf eines Monats unterschiedliche Routen im Stadtgebiet zugeteilt – manche gelten als schwieriger, andere als leichter. Je nach Anzahl der Strassen, Gewicht der Säcke oder der Disziplin der Anwohnenden: Positionieren sie den blauen Sack direkt am Trottoir oder verstecken sie ihn gar in einem Hauseingang? Heute sei die Route «so in der Mitte», befindet Schnetzer. Ausserdem sei es «angenehm kühl», was nicht nur die Arbeit erleichtere, sondern auch den Ghüder weniger riechen lasse.
Die Arbeitstage beginnen für Belader*innen wie Schnetzer und Tellenbach um sieben Uhr. Die Mittagspause ist um 12 Uhr – eine Stunde später geht es auf die nächste Tour, welche um 16 Uhr endet. Körperlich entlastend seien jene Wochen, in denen er bei der Grünentsorgung eingesetzt werde, so Schnetzer. Dort gebe es nämlich keine Säcke, sondern nur Container, die ins Kehrichtfahrzeug zur Entleerung eingehängt werden müssen.
Mehr Container gewünscht
Weniger Säcke und mehr Container – das würde auch die Entsorgung der blauen Säcke erträglicher machen, findet Schnetzer. «Ich bin um jeden Kübel froh», sagt er zur laufenden Container-Debatte. Sein Kollege Tellenbach pflichtet ihm bei. «So viel wie möglich, und dort wo möglich», sagt der 48-Jährige.
Bis wirklich mehr Container im Stadtbild zu sehen sind, versuchen die Belader*innen die körperliche Belastung zum Beispiel durch wöchentliches Einturnen mit Physiotherapeut*innen abzufedern. Auf Kosten des Arbeitgebers können sie ausserdem ein Mal pro Jahr eine Dornmassage bekommen und eine Impulsberatung zum richtigen Heben erhalten. Im Ruheraum stehen während der Mittagspause zudem Massagesessel bereit und gemäss der Stadt wird an die Belader*innen, wenn nötig, auch ein Rückenstabilisierungsgurt ausgehändigt.
Chauffeur André Reinhard fährt sein Entsorgungsfahrzeug zurück ins Depot. 11 Tonnen Kehrricht hat er an diesem Arbeitstag zusammen mit den Beladern aufgesammelt – rund 30 Kilometer ist er dafür gefahren. Drei Mal musste er dafür sein Fahrzeug am Standort an der Murtenstrasse ausleeren. Kurz nach 16 Uhr ist seine Tour beendet – er geht dann unter die Dusche und der Feierabend beginnt.