Fernunterricht

«Hauptstadt»-Brief #9

Illustration zum Hauptstadt-Brief
Illustration (Bild: Marc Brunner, Büro Destruct)

Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle gefragt, ob du dir vorstellen kannst, Geflüchtete bei dir aufzunehmen. Jetzt ist das Thema viel konkreter. Bis gestern haben über 14’500 Personen in der Schweiz Schutz vor dem Krieg gesucht. Täglich kommen um die 900 dazu. Viele werden erst einmal in Asylzentren geschickt, der Kanton Bern sucht fieberhaft weitere Unterbringungsmöglichkeiten. Nur wenige sind bis jetzt direkt in Familien oder zur Verfügung gestellten Wohnungen platziert worden.

Insgesamt sind 3,7 Millionen Menschen aus der Ukraine, 6,5 Millionen innerhalb der Ukraine an einen sicheren Ort geflüchtet. Es sind unglaubliche Zahlen. Und doch heisst das auch, dass 30 Millionen Menschen noch in ihrem Zuhause sind.

Doch wer geht? Wer bleibt?

Aljona, die seit einer Woche bei meiner Familie lebt, sagt: Es gehen vor allem Familien mit Kindern. Und weil Männer zwischen 18 und 60 nicht ausreisen dürfen, sind es häufig alleinerziehende Mütter. Denn es ist schwer, den Vater zurückzulassen.

Unsere Mitbewohner*innen Aljona (36) und Vladik (10) stammen aus der südukrainischen Stadt Krywyj Rih, wo vor allem Eisenerz abgebaut wird. Dort blieb Aljonas Mutter, die zu ihren alten Eltern schaut. Und dort blieb auch die geliebte Katze, von der sie uns täglich Bilder zeigen.

Aljona und Vladik schätzen es, dass sie hier sein können. Doch sie wollen so bald wie möglich zurück. Seit Montag hat Vladik wieder Fernunterricht. Die Lehrerin gibt jeden Tag Schule, bereitet die Stunden vor, verteilt Hausaufgaben. Manchmal sitzt sie im Luftschutzkeller, weil Alarm ist, manchmal schimpft sie, weil die Schüler*innen nicht gut aufpassen. Vier der Schüler*innen seien wie er im Ausland, sagt Vladik. Einige seien in der ruhigeren Westukraine, viele aber noch in der Stadt.

Und alle hoffen, dass der Krieg bald zu Ende ist.

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(Bild: Simon Boschi)

Und das ist heute wichtig:

  • Erdgas aus Russland: Energieministerin Simonetta Sommaruga ist diese Woche auf der Suche nach Alternativen zu russischem Öl und Gas zu Gesprächen nach Den Haag, Rotterdam und Paris gereist. Denn 43 Prozent des Erdgases, das hierzulande genutzt wird, stammt aus Russland. Was wäre, wenn dieser Teil ersatzlos wegfallen würde? Das fragt sich im Moment Rudolf Gasser, Mitinhaber und Geschäftsführer von Gasser Ceramic mit Sitz in Rapperswil BE. Es ist die zweitgrösste Ziegelei der Schweiz. Die riesigen Öfen laufen Tag und Nacht und werden mit Erdgas geheizt. Die Konsequenzen des Preisanstiegs sind dort ganz konkret zu spüren, wie sich bei unserem Besuch in der Ziegelei eindrücklich zeigte.
  • Berns grösste Begegnungszone: Ab nächster Woche werden die Markierungen für die Begegnungszone im Berner Breitsch angebracht. Es wird die grösste Begegnungszone der Stadt, auf sämtlichen Quartierstrassen zwischen Nordring und Tellstrasse gilt künftig Tempo 20, wie die Stadt mitteilt. Das ist quasi ein ganzes Stadtdorf, das da zur Chillzone wird - und auch Bürgerliche und Gewerbe stehen dahinter, weil aus Spargründen auf aufwändige und teure Massnahmen wie Möblierung und bauliche Anpassungen verzichtet wird. Davon kann ein anderes Quartier vorerst nur träumen: In Bern Ost zerschneidet die A6 das Quartier. Dereinst soll die Autobahn in einem Tunnel unter der Erde verschwinden und der frei werdende Platz anderweitig genutzt werden. In einer Ausstellung im Berner Freudenbergzentrum an der Giacomettistrasse können ab 2. April Zukunftsvisionen besichtigt werden.

 

  • Hanfpflanzen verschenkt: Herba di Berna, einer der grössten CBD-Hanf-Produzenten der Schweiz, verschenkte gestern am Bahnhof Bern rund 2000 legale Hanf-Setzlinge, die weggingen wie warme Weggli. Der Hintergrund: Die Schweiz nahm beim Medizinal-Hanf lange eine Vorreiterrolle ein, doch mittlerweile ist er auch in anderen Ländern legal. in den letzten Monaten ist der CBD-Preis zusammengebrochen durch einen intensiven internationalen Preiskampf. Die Bolliger Firma Herba di Berna hätte bei diesen Preisen nicht mehr wirtschaftlich geschäften können, wie auf Rabe Info zu hören ist. Sie hat sich entschieden, die selbst gezogenen Setzlinge zu verschenken. Innerhalb von weniger als zwei Stunden waren alle Pflänzchen weg.  

Berner Kopf der Woche

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Die Nichtwählerin (Bild: Callie Gibson)

Morgen ist ihr grosser Auftritt. Vielleicht geniesst sie dann den Frühling bei einem Spaziergang an der Aare - oder sie liegt mit einem Kater im Bett. Sicher ist: Sie findet den Weg zum Wahllokal nicht. Und sie hat auch kein Couvert mit ihrer politischen Präferenz der Post übergeben. Während es bei den städtischen Wahlen 2020 61,3 Prozent Wahlbeteiligung gab, bei den eidgenössischen 2019 47,4 Prozent, waren es bei den letzten kantonalen Wahlen 2018 nur gerade 30,5 Prozent. Nicht einmal jede*r Dritte beteiligte sich bei Gross- und Regierungsratswahlen.

Dabei ist die kantonale Ebene in der Schweiz wichtig, da viele Politikfelder wie etwa das Schulwesen kantonal geregelt sind (auch wenn der Einfluss in den letzten Jahren abgenommen hat, wie in diesem «Hauptstadt»-Artikel zu lesen ist).

Also, hopp, wer noch nicht hat, der oder die kann noch.

PS. Auch die «Hauptstadt» wird morgen die Wahlen verfolgen. «Hauptstadt»-Praktikant und Erstwähler Sandro Arnet berichtet während der Wahl auf Social Media – wenn du ihm auf seinen Ausflug ins Rathaus noch eine spezifische Frage mitgeben möchtest, kannst du sie uns mailen auf [email protected]. Am Montagmorgen erhältst du einen «Hauptstadt»-Brief spezial mit dem Wichtigsten zu den Wahlen.

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