Gehen Geld und Gerechtigkeit zusammen?
Braucht es eine Erbschaftssteuer? Wie wäre es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen? Und welche Gefühle verbinden wir überhaupt mit Geld? Das war der vierte «Hauptsachen»-Talk.
«Mit Geld verbinde ich Freude und Angst», sagte Ivan Abegglen, der in einer gemeinsamen Ökonomie lebt. Er teilt sich mit zwölf anderen Personen ein Bankkonto. Freude fühle er, weil er sich mit Geld Dinge kaufen könne und Angst, weil Geld einen starken Ausschlusscharakter habe. Christoph Bader, Geograf und Ökonom, verbindet auch zwei Gefühle mit Geld: «Geld macht mich nachdenklich und besorgt.» Dies, weil es eine so zentrale Rolle in der Gesellschaft einnehme. Florence Schmid hingegen, Stadträtin der Jungfreisinnigen und Juristin spezialisiert auf Steuerrecht, verbindet mit Geld kein Gefühl. «Geld ist für mich ein Werkzeug, um mir Dinge zu kaufen, die Gefühle in mir auslösen.»
Mit dieser Einstiegsfrage ging der «Hauptsachen»-Talk der «Hauptstadt» und des Progrs gestern in die vierte Runde. Nachdem die Hauptstadt sich anfangs Jahr schwerpunktmässig dem Thema Geld widmete, diskutierte sie gestern mit drei Gästen und Publikum. Die Runde widmete sich unter anderem der Grundsatzfrage: Gehen Geld und Gerechtigkeit zusammen?
Wie Geld und CO2-Emissionen einher gehen
«Geld und Gerechtigkeit gehen zusammen, wenn Chancengleichheit herrscht», sagte Florence Schmid. Dem hielt Christoph Bader, der am Zentrum für Nachhaltige Entwicklung der Universität Bern arbeitet, entgegen. Diese Chancengleichheit sei kaum erreichbar: «Eine Person macht mit 10 Franken etwas, wofür eine andere Person 12 Franken braucht.» Und Ivan Abegglen winkte gleich ab: «Diese beiden Konzepte sind nicht vereinbar.» Denn Geld sei immer eine Form von Machtausübung – und führe so zu Ungleichheiten.
Einig waren sich die drei, dass Erben ein bedeutender Ungleichheits-Motor ist. In der Schweiz werden rund 90 Milliarden Franken pro Jahr vererbt – mehr als der Staat pro Jahr ausgibt. «Darum braucht es unbedingt eine Erbschaftssteuer», sagte Bader, der zu Geld und Ungleichheit forscht. Da pflichtete ihm selbst die jungfreisinnige Florence Schmid zu. «Für mich als Steuerspezialistin ergibt es keinen Sinn, Erbschaften nicht zu besteuern. Vor allem, weil alle anderen Transaktionen besteuert werden.» Schmid möchte, dass bei der Einführung einer Erbschaftssteuer im Gegenzug die Einkommensteuer reduziert wird.
Doch der Besitz von Geld bringt nicht nur Ungleichheiten hervor, sondern hat auch Auswirkungen auf das Klima. «Mit Geld kann man einfach konsumieren, ohne über Konsequenzen nachzudenken», sagte Ivan Abegglen, und das sei falsch. Dieses fehlende Bewusstsein, so Christoph Bader, bedeute vor allem negative Auswirkungen für unsere Umwelt. «Daten zeigen eindeutig: Je mehr Geld eine Person hat, desto höher sind auch ihre CO2-Emissionen.»
Glücklicher mit weniger Arbeit?
Für Florence Schmid bedeutet der Reichtum Einzelner hingegen eine Chance für alle: «Reiche Menschen haben die Möglichkeit, in Innovation zu investieren, die dem Klima zu Gute kommen.»
Diese Vorstellung sei aber seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgesetzt worden, erwiderte Christoph Bader. «Reiche investieren nicht, sondern legen ihr Geld an, um es zu vermehren.» Darum reiche es nicht, darauf zu hoffen, dass Superreiche moralisch gute Entscheidungen treffen werden, antwortete Ivan Abegglen. «Sie tun es eh nicht.»
Die Wissenschaft zeige, dass Menschen mit mehr Geld nicht glücklicher seien, schob Christoph Bader nach. Im Gegenteil: Menschen seien dann am glücklichsten, wenn sie nur noch drei Tage pro Woche arbeiten müssten. So tut es Ivan Abegglen, angestellt als Laborfachkraft im Teilzeitpensum.
Zu einer Arbeitszeitreduktion und dessen Auswirkungen hat Bader geforscht. An der Studie haben 800 Personen teilgenommen, wovon 100 ihr Pensum reduzierten. Dabei zeigte sich: Jene, die ihr Pensum runtergeschraubt haben, waren nicht nur glücklicher, sie hatten auch weniger CO2-Ausstoss zu verantworten.
Der Wettbewerb und der Umsturz
Und doch sei die Umsetzung einer Arbeitszeitreduktion nicht so einfach möglich, war sich die Runde einig. Auch, weil die Schweiz in Konkurrenz zu anderen Ländern steht. Und wie eine Stimme aus dem Publikum anmerkte, sogar innerhalb der Schweiz der Wettbewerb aufrechterhalten werde zwischen den Kantonen und Gemeinden. Darum forderte Abegglen den totalen Umsturz: «Eine Lösung dafür sehe ich nur in einer weltumfassenden Veränderung.»
Laut Christoph Bader wäre hingegen sehr wohl ein nationale Alleingang möglich: «Die Schweiz könnte auch einfach mal etwas ausprobieren, die Mittel dazu hätte sie.» Dem Wissenschaftler schwebte etwa die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens vor.
Zwar nicht für die gesamte Schweiz, aber immerhin für die Stadt Bern, verlangt dies auch eine Motion, die im Stadtrat in Form eines Pilotversuchs eingereicht wurde. Als Stadträtin wird sich Florence Schmid bald damit befassen müssen. Sie liess bereits durchblicken: «Ich bin absolut dagegen, dass die Stadt Bern ein solches Grundeinkommen einführt. Wenn schon müsste dies der gesamte Staat tun, nicht nur die Stadt.»
Zum Abschluss widmete sich die Runde der Frage, welche Gefühle sie mit Geld in 50 Jahren in Verbindung bringen möchten. Florence Schmid blieb dabei, mit Geld keine Emotionalität zu fühlen, wünschte sich aber «in 50 Jahren stolz darauf zu sein, was ich mir mit meinem Geld ermöglicht habe.» Ivan Abegglen hingegen stellte sich vor, in 50 Jahren zurückzublicken und zu denken: «Wow, damals gab es noch Geld. Gut haben wir das überwunden.» Christoph Bader wollte dies so als Schlusswort stehen lassen.