Graue Bienen – «Hauptstadt»-Brief #20
Samstag, 23. April 2022 – die Themen: Weltbuchtag und eine Buchempfehlung, erschwerte Arbeitssuche für Ukrainer*innen, Pläne der Burger*innen fürs Viererfeld, Strassenblockaden fürs Klima, Kopf der Woche: Sibyl Eigenmann
Sachte fallen die Regentropfen gegen das Fenster. Das erste Mal seit zwei Wochen. Unsere Bienen bleiben heute Morgen wohl im Stock. Die letzten Tage hatten sie viel zu tun, die Obstbäume blühen – und auch der Raps, auf dem sie gerne Nektar sammeln. Es könnte ein gutes Honigjahr werden, nachdem das letzte miserabel war.
Ich finde Bienen sehr faszinierende Wesen. Und darum habe ich auch das Buch «Graue Bienen» des ukrainischen Autors Andrej Kurkow sehr gerne gelesen. Das Buch spielt im Donbass, in einem Dorf, das im Frontgebiet zwischen der ukrainischen Armee und den prorussischen Separatisten liegt. Im Dorf sind nur zwei Männer geblieben, der Bienenzüchter Sergej und der alte Paschka. Die beiden kennen sich seit Kindesbeinen, mögen sich aber nicht besonders.
Sergej versucht sich ganz aus dem Krieg herauszuhalten, versorgt nur seine Bienen – bis er im dritten Kriegsfrühling merkt, dass er keinen Honig will, der nach Krieg schmeckt. Also reist er los, immer tiefer in den Westen der Ukraine. Eine Reise quer durchs Land beginnt, den Bienen und ihrem Futter nach. Und mit vielen mal freundlichen, mal weniger freundlichen Begegnungen.
Als ich das Buch 2019 gelesen habe, war der Konflikt im Donbass für mich weit weg. Als ich das Buch jetzt wieder hervorgenommen habe, wirkt alles viel näher, viel verständlicher. Und wundersam, wie Kurkow es schafft, mit diesem Buch Trost zu spenden und sei es nur durch die Bienen, die in all dem Chaos Beständigkeit und Ordnung vermitteln.
Übrigens: Heute ist Welttag des Buches! Und es regnet. Was könnte es Besseres geben?
Und das musst du heute wissen:
- Arbeit für Ukrainer*innen: Mittlerweile sind 39’258 ukrainische Geflüchtete in der Schweiz eingetroffen, über 5'000 von ihnen leben im Kanton Bern – die meisten davon bei Gastfamilien. Sie erhalten Asylsozialhilfe, wenn sie das einfordern. Diese sei jedoch zu tief, wird von linker Seite bemängelt. Ein Hauptproblem bleibt die Arbeitssuche, wie mein Kollege Jürg Steiner recherchiert hat. Alle Arbeitgebenden, die Ukrainer*innen beschäftigen wollen, müssen beim RAV eine Bewilligung einholen. Im ganzen Kanton wurden bisher gerade einmal 15 Arbeitsgesuche bewilligt. Ein paar wenige Gesuche seien noch hängig, abgelehnt wurde keins.
- Generationenwohnen im Viererfeld: Die Burgergemeinde plant im neuen Berner Stadtquartier beim Viererfeld ein grosses Haus: Alte Menschen, Pflegebedürftige, Studierende und Familien sollen unter einem Dach in modular gebauten und damit veränderbaren Wohnungen leben. Einige dieser Ideen gibt es schon als Pilotprojekte. Im Wohnhaus im Mittelfeld sollen nun aber die neuen Wohnformen und das Zusammenwohnen von Generationen zu einem neuen Standard werden. Die Stadt begrüsst das Projekt und möchte die Burger*innen schon in der ersten Bauetappe einbinden – vorausgesetzt, das Volk sagt nochmals Ja zum Viererfeld-Projekt. Lies hier den Text von meinem Kollegen Joël Widmer.
- Blockierte Strassen: Nachdem Klima-Aktivist*innen am Dienstagmorgen die Autobahnausfahrt Bern-Wankdorf blockiert und sich teilweise an die Strasse geklebt hatten, wiederholten sie die Aktion gestern in waadtländischen Crissier. Die Bewegung Renovate Switzerland fordert vom Bundesrat einen Aktionsplan für die Renovation von einer Million Häuser bis 2040. So sollen Treibhausgasemissionen reduziert werden. Falls in den kommenden Wochen nichts unternommen werde, warnte die Bewegung gestern in einer Mitteilung, würden Aktivist*innen auf die Strassen des Landes zurückkehren – «zahlreicher und länger».
- Neue Ideen für den Monbijoupark: Die erste Sanierungs-Etappe im Monbijoupark ist bald abgeschlossen. Ende April werden die «roten Plätze» beim Parkeingang Mühlemattstrasse freigegeben, wie die Stadt mitteilt. Der Spielplatz wird bis im Frühsommer fertiggestellt. Am 27. April können Interessierte im Rahmen eines runden Tischs ihre Ideen für die Nutzung des geplanten Pavillons im Park einbringen. Wer diesbezüglich Ideen hat, kann sich vorgängig per E-Mail bei Projektleiter Glenn Fischer anmelden.
Sibyl Eigenmann (Die Mitte) hat einen Lauf: Im Herbst 2020 erst in den Berner Stadtrat gewählt, hat sie vor einem Monat die Wahl in den Grossen Rat geschafft. Gestern hat die Partei mitgeteilt, dass die 37-Jährige sich gemeinsam mit André Roggli für ein kantonales Co-Präsidium zur Wahl stellt, eine Gegenkandidatur gibt es keine. Dies, obwohl Michelle Renaud, Mitte-Repräsentantin aus dem Emmental und ehemalige Fernsehmoderatorin, auf Twitter verlauten liess, dass sie ursprünglich bereits vor den Wahlen als Kandidatin vorgeschlagen war.
«Es wird herausfordernd sein, neben meinem Job als Public Affairs Managerin alles unter einen Hut zu bringen», sagt Eigenmann. Vorderhand will sie beide Parlamentsmandate und auch das Präsidium wahrnehmen. Wenn später etwas über die Klinge springen müsste, dann ihr Engagement im Berner Stadtrat, sagt sie.
Ihre Parteikollegin Astrid Bärtschi wurde eben in den Regierungsrat gewählt. Liebäugelt Eigenmann auch schon mit einem Exekutivamt, zum Beispiel als Bärtschis Nachfolgerin in acht Jahren? «Jesses Gott, nein», sagt sie. Vorderhand wird Die Mitte, die aus der Fusion von BDP und CVP entstanden ist, sich sowieso erst bewähren müssen. Auch wenn sie bei den kantonalen Wahlen insgesamt nur einen Sitz verloren hat (neu 12), hat sie mit 7,4 Prozent Wähler*innen-Anteil einen kleineren Stimmanteil als die Vorläuferparteien zusammengezählt bei den vorhergehenden Wahlen erreicht hatten (9,4 Prozent).
PS. Ein Spaziergang durch die Berner Altstadt könnte sich heute besonders lohnen. Ab 10 Uhr findet der Vide Grenier statt, eine Art Flohmarkt in der unteren Altstadt, bei dem Anwohner*innen und ansässige Ladenlokale Trouvaillen aus Kellern und Estrichen präsentieren und natürlich verkaufen. Der Regen sollte dann schon wieder aufgehört haben.