Hatepop ist friedlich gescheitert

Das in Bern gegründete Musiker*innen-Kollektiv hat mit seinem radikalen Klang viele Menschen begeistert. Aber auch irritiert. Kürzlich spielte Hatepop ein Abschiedskonzert. Oder war es ein Neuanfang?

Hatepop im ISC fotografiert am 09.02.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Maskierte Musiker*innen, intensive Konzerte. Hatepop im ISC Bern 2023. (Bild: Manuel Lopez)

Was Hatepop bei Konzerten tat, war immer schwierig zu verstehen. Aber es wirkte.

Frühjahr 2023, Hatepop spielt im Berner Club ISC. Es ist voll und stickig. Wer genau auf der Bühne steht: Unklar. Einige tragen Masken, nach jedem Song wechselt die Zusammensetzung der Band. Das Kollektiv spielt laute, schnelle Songs, die man keinem Genre zuordnen kann. Rap? Metal? Techno? Es klingt, als hätte man den Sound des 21. Jahrhunderts einmal durch den Schredder gelassen.

Die Texte kreisen um Verletzlichkeit. Hatepop singen über Depressionen, Drogen, Queerness. Über das Gefühl einer Generation, die im Internet aufwuchs und dann, gerade erwachsen, in eine Pandemie geworfen wurde. Gegen Ende des Konzerts spielen sie den Song «Daddy», gleichzeitig Rave-Banger und feministische Analyse: «Min Vater het Problem, min Vater reglets selber, er redt nöd über Gfühl sondern renoviert de Chäller.» Das Publikum rastet komplett aus.

Trotz intensiven Konzerten und Songs, die voll zum Zeitgeist passten: Kommerziell ist Hatepop nie durchgestartet. Zwei Jahre nach dem Event im ISC kündigen sie im Konzerthaus Schüür in Luzern ihr Abschiedskonzert an. Devi, Musiker*in bei Hatepop, sitzt am langen Tisch in der Schüür, beim «Dinner», das Konzertlokale den Künstler*innen zwischen Soundcheck und Konzert servieren. Das Essen ist vegan. Mit am Tisch sitzt die zwölfköpfige Entourage und lauscht dem Gespräch mit der «Hauptstadt». Das Thema: Warum ist aus Hatepop nicht mehr geworden?

Mit gezogenen Waffen

«Guns Blazing», mit gezogenen Waffen, seien sie in die Schweizer Musik eingestiegen, sagt Devi und lacht. Vor drei Jahren war Hatepop mit viel Selbstbewusstsein und Wut an den Start gegangen. Ihren ersten grossen öffentlichen Auftritt hatten sie beim SRF Bounce Cypher – eine Art Eurovison Song Contest für den Schweizer Rap.

Komplett maskiert traten Dashcam Devi und Seretid, die zwei ersten Hatepop-Mitglieder, auf und schossen erstmal in alle Richtungen. Das «Dissen» gehört im Hip Hop dazu, speziell war das Ziel ihrer Angriffe: Den Schweizer Rap selbst. Sie kritisierten Rapper für sexistische Texte und benannten den Schweizer Rap als das, was er damals in grossen Teilen noch war: ein Männerbund.

Das war für das Jahr 2022 ziemlich innovativ. Erst nach diesem Cypher diskutierte die Szene nach einem kleinen Shitstorm zum ersten Mal überhaupt breiter über Diskriminierung im Schweizer Rap. Nach längerer Auseinandersetzung kamen grosse Teile der Szene zum Schluss: «Schweizer Rap hat ein Sexismus- und Homophobie-Problem.»

Diese gezogenen Waffen, diese Kritik an allem, was die Gruppe für schlecht oder problematisch befindet, wurde später zum Muster. Das galt auch ihren Unterstützer*innen. Wenn Hatepop zu einer Playlist hinzugefügt wurden, mit deren Ausrichtung sie nicht einverstanden waren, «cancelten» sie die Urheber auch mal in den sozialen Medien. Auch einer ihrer bekanntesten Songs, «Links», ist ein Biss in die Hand, die sie nährt. Sie machen sich dort über privilegierte Linke mit Kunststudium lustig – wohl ein grosser Teil ihrer Fanbase. 

Die Marke Hatepop

Ob ihnen das geschadet hat, dieses Nicht-Gefallen-Wollen? Nein, meint Devi: «Das war Teil unserer Marke als Gruppe und eine unserer grössten Stärken.» Die Wut von damals sei heute weniger krass – es gehe ihnen heute psychisch viel besser.

Von den vermummten Bösewichten aus dem Cypher-Auftritt hängt an diesem Abend nicht viel in der Luft. Vielmehr wirken sie wie leicht chaotische Musik-Nerds, mit einem vertrauten Umgang und eingespielten Insider-Witzen. Viele von ihnen lernten sich im Internet kennen. So wuchs um Seretid und Dashcam Devi, die das erste Album und den Cypher-Auftritt verantworteten, das Kollektiv Hatepop, das am Schluss aus zehn bis zwanzig Personen bestand.

Hatepop im ISC fotografiert am 09.02.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Mit dem Fuss voran in den Schweizer Rap. Hatepop-Konzert im ISC 2023. (Bild: Manuel Lopez)

Mit im Kollektiv sind die Musiker*innen Glitchbaby und Kiyyan, Gitarristin Luana und Schlagzeuger Nik. Ausserdem ein Management, visuelle Künstler*innen sowie Licht- und Tontechniker*innen und Videograf*innen.

Auch das war von Anfang an Teil der Marke Hatepop: ein überlegter, professioneller Auftritt. An diesem Abend in Luzern treten sie mit einer Installation aus sechs Flachbildschirmen auf. Sie reisen mit einer eigenen Tontechnikerin, der Fotograf hat vier Kameras dabei, Manager*in Reni hält im Hintergrund die Fäden zusammen. Oberflächlich chaotisch, läuft im Hintergrund vieles sehr strukturiert ab. Zum Schluss ist das Kollektiv gar als Verein aufgestellt. Auch ungewöhnlich: Das ganze Team ist an diesem Abend in der «Schüür» bezahlt.

Das kostet. Unter einer Gage von 2000 Franken spielen sie nicht, heisst es in einem Hatepop-Song. Zum Vergleich: Bands mit der Bekanntheit von Hatepop verdienen für ein Konzert in der Regel 500 bis 1000 Franken. Mit Anreisekosten und anderen Abzügen bleibt für eine sechsköpfige Band damit höchstens ein Trinkgeld übrig. Das geht, wenn Musik ein Hobby ist – oder wenn man privilegiert ist. Bei Hatepop schimmerte hingegen von Anfang an durch: Wir wollen und müssen von der Musik leben.

Für Dashcam Devi hat der Sprung in die Berufsmusik geklappt. Devi lebt mittlerweile von der Musik. Vor allem durch die Arbeit als Produzent*in und Tonmeister*in für andere Musikschaffende. So hat Devi gerade das Debüt der Rapperin Soukey abgeschlossen und produziert jetzt das erste Album der Berner Musikerin Milena Patagonia. Auch die Liste von anderen Kollaborationen ist lang: Greis, Prix Garanti, Lo& Leduc, Alwa AlibiHotel SamarETO, WAS DAS?, um nur einige zu nennen.

Nicht wirklich ein Ende

Auch für die anderen ist es nicht wirklich ein Ende. Glitchbaby ist an einem Debüt-Album, an dem auch diverse Hatepop-Mitglieder involviert sind. So arbeiten sie künftig weiter zusammen – treten nur nicht mehr gemeinsam auf. Auch, weil die Stile der einzelnen Mitglieder so weit auseinandergehen. «Die Setliste war jedes Mal ein Kampf» meint Glitchbaby.  Sie hätten gut und gerne mal zwei Bandproben damit verbracht, sich zu einigen, welche Songs sie an einem Konzert spielen. Mittlerweile sei auch so viel Musik da, dass fast alle Mitglieder eigene Konzerte spielen könnten.

Tatsächlich ist der Katalog der Gruppe riesig: Auf Streaming-Diensten finden sich unter  «Hatepop» über 70 Songs oder etwa drei Stunden Musik. Während das erste Album noch klar als Rap rezipiert wurde, wucherten die Genres später in alle Richtungen.

Die folgenden Veröffentlichungen waren Metal, Hardstyle, Techno, Dubstep – auch gerne mal gleichzeitig. Die Stimmen sind bei Hatepop so stark verfremdet, dass sie eher an ein neuartiges Instrument als an Stimmbänder erinnern.

Dieser Genre-Smoothie heisst Hyperpop und hat sich international zu einem einflussreichen Stil entwickelt, ist in der Schweiz aber eine Nische geblieben. Viele der wichtigsten Künstler*innen des Hyperpops sind queer. Im Spiel mit verzerrten Stimmen und dem Durchbrechen von Normen sehen einige Feuilletonisten gar eine neue Gegenkultur für die 2020er.

Von Anfang an queer

Auch bei Hatepop ist die Queerness von Anfang an in den Texten verankert. So klingt es auf «Twinks»: «Ich bin uf mim Twink Shit, du bisch irritiert.»

Twink, das ist queerer Slang für einen Mann, der jung aussieht, eine schmale Figur hat und wenig Körperbehaarung trägt. Auf zweieinhalb Minuten feiern Hatepop das Leben als Twink. Es könnte der erste Schweizerdeutsche Song überhaupt sein, der sich mit dieser Identität beschäftigt. Im Jahr 2021, drei Jahre vor Nemo, in einer männlich dominierten, homophoben Hip-Hop-Szene war dieser Song eine kleine Revolution. 

Es geht aber auch um ganz viels anderes bei Hatepop. Mal um Herzschmerz mit der maskierten Autorin Jessica Jurassica: «Du brichsch mir nöd mis Herz es isch us Plastik», dann um antikapitalistische Kampfansagen: «Zieh min Key über din Tesla mitme riese grosse smile» («2big2fail») oder einfach um ein Fantasy-Videospiel im gleichnamigen Song «Baldur's Gate 3». So vielfältig und verwirrend ihr Katalog ist, so war etwas konstant: Jeder neue Hatepop-Release klang radikal anders, unangepasst und frisch.

Freiwillig gescheitert?

«Ich glaube, lange hat man nicht gewusst, was Hatepop genau ist», meint Glitchbaby. Das sei aber auch die Stärke der Gruppe. Nur ist das nicht so leicht vermarktbar, «marketable», wie Devi sagt: «Ich meine, schau dir mal diesen verdammten Markt an. Das sind nicht wir.»

Das Dinner ist gegessen, die ersten Stühle rücken weg vom Tisch, der Konzertbeginn kommt näher. Ob sie gescheitert sind? Auf diese Frage bleibt es kurz still. Dann sprechen Devi, Luana, Kiyyan, Nik und Seretid, alle nacheinander und manchmal gleichzeitig.

«Ja, aber friedlich. Ich glaube, wir sind so weit gekommen, dass wir das als Scheitern sehen können. Wir haben in der Schweiz alles gemacht, was ging, ich meine: Gurten, St. Gallen. Hallo? Wenn wir die Rap-Schiene weiter gefahren wären, hätten wir sicher noch grösser werden können. Aber dann würden wir immer noch gleich klingen wie vor fünf Jahren und am Nachmittag auf irgendeiner Frauenfeld-Bühne spielen. Das ist nicht das, was wir wollen. Wir haben nie was gemacht, auf das wir keinen Bock hatten. Und das musst du halt, wenn du in der Schweiz gross sein willst. Es ist Musik, die einer Nische von Leuten gefällt. Darum sind wir eigentlich freiwillig gescheitert.»

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