Die Stimme der «Generation mau Luege»
Das Album «Poésie Nocturne» von Z The Freshman & Hotel Samar zeigt, wie erfrischende, junge Musik aus Bern tönt. Die «Hauptstadt» war in der Nacht des Album-Release dabei.
Während der Himmel sich verdüstert und der Berner Breitenrain bald von einem Sommernachtsgewitter heimgesucht wird, warten dort, im Wohnzimmer einer WG, vier Menschen gespannt auf Mitternacht. Um 00:00 wird ihr erstes gemeinsames Album erscheinen. Es ist kurz vor elf an einem Donnerstagabend im Juni. Die Stimmung unter den Musiker*innen und ihren Freund*innen ist gemütlich; auf den zwei Sofas lässt es sich super auf den Album-Release warten.
Das Albumprojekt nennt sich «Poésie Nocturne», erschaffen wurde es von Z The Freshman & Hotel Samar.
Dahinter stehen die Künstler*innen Z The Freshman (Yannis Maviaki), Niketaz (Nicola Kollar), Anina Shona (Anina Steiner) und Lorenz Steiner. Letztere drei bilden zusammen «Hotel Samar».
Einige der Künstler*innen sind in der Hip-Hop-Szene bekannt. Z The Freshman hat vor diesem Projekt schon zwei Rap-Alben in Zusammenarbeit mit Niketaz herausgebracht. Dieser konnte durch seine Zugehörigkeit beim US-amerikanischen Hip-Hop-Produzent*innen-Kollektiv Internet Money internationale Bekanntheit erlangen.
Neu ist die eingeschlagene Musikrichtung R&B. «Poésie Nocturne» ist für die beiden somit ein Schritt auf komplett neuem Terrain – oder doch nicht?
Niketaz ordnet ein: «Wir haben schon früher bei einigen Projekten zusammengearbeitet und das allererste Mal, als wir zusammen Musik gemacht haben, war es R&B.» Z The Freshman fährt fort: «Ausserdem habe ich schon immer auch andere Musik als Hip-Hop gemacht.» Veröffentlicht habe er aber bisher nur seine Rap-Projekte.
Der lange Weg zum fertigen Album
Eineinhalb Jahre hat die Arbeit an «Poésie Nocturne» gedauert. «Am Anfang stand nur der Name», sagt Z. «Bei den Liedern war das auch so, der Name stand immer als erstes fest», meint Lorenz Steiner. Z The Freshman stimmt ihm zu. Eigentlich hätten sie die Lieder jeweils rückwärts produziert, also zuerst mit dem Namen und ersten kleinen Textfetzen angefangen. Erst danach sei die Musik gekommen.
«Wir haben für drei Tage lang alles Mögliche – Gerüche, Farben, Zitate – gesammelt und so unsere Ideen entwickelt», erklärt Anina Shona. Während diesen drei Tagen hätten sie alle Gespräche aufgenommen; davon seien auch einige Tonfetzen in den fertigen Liedern. Heute nennen die Musiker*innen diese drei Tage die «Therapy Sessions».
«Danach ging es im März 2021 nach Vallorbe», erklärt Z. «Eigentlich wollten wir nach Italien, aber das ging wegen der Pandemie nicht», präzisiert Steiner. Sie hätten sich für eine Woche in einer alten Tankstelle eingemietet. «Dort haben wir unseren gemeinsamen Sound gefunden», meint Niketaz.
Einige Dinge, die sie in der Zeit des Ausprobierens, meist in soundtechnisch suboptimalen Umgebungen aufgenommen hatten, seien auf dem fertigen Album zu hören. «Bei der einen Tonspur von ‹Izzy’s Interlude› habe ich richtig geschwitzt, da hört man den Zug und eine Autobahn im Hintergrund», so Niketaz.
Wer in «Poésie Nocturne» hineinhört, wird von einer Vielzahl an Stimmungen überrascht. Die Themen der Songs sind alle in Verbindung mit dem Erwachsenwerden zu bringen, das Setting dafür ist immer die Nacht.
«In der Nacht werden die Menschen zu denen, die sie sein möchten.»
Lorenz Steiner
«Poésie Nocturne», nächtliche Poesie. – Warum ist die Nacht für die Künstler*innen ein so wichtiges Thema? «Wir sind Anfang zwanzig, ich denke, gerade in diesem Alter ist die Nacht bewegend. Menschen sind in der Nacht irgendwie faker und realer zugleich», sagt Z The Freshman. Lorenz Steiner ergänzt: «In der Nacht werden die Menschen zu denen, die sie sein möchten. Und in der Nacht sind auch alle Gefühle und Emotionen extremer.»
Im Track «Generation mau Luege» der in Zusammenarbeit mit der Rapperin Ta’Shan entstanden ist, behandeln die Künstler*innen die Unverbindlichkeit ihrer Generation – der Generation Z. Die Inspiration dafür, so erklärt Anina Shona, sei entstanden durch einen Satz, der ihr eine Freundin zugetragen hatte: «‹Commitment für nüt ussert Tattoos.› – Ich denke, das beschreibt unsere Generation ganz gut», meint sie.
Neben den behandelten Themen fällt auch die junge Sprache auf. Die Texte sind gespickt mit Anglizismen und jugendsprachlichen Ausdrücken. So verstehen ältere Hörer*innen Songtitel wie «Head amne Samsti» vielleicht nicht. Zur Erklärung: Mit «Head gäh» ist das orale Stimulieren einer anderen Person gemeint.
Der Song ist mit der Berner Rapperin Soukey entstanden. Z The Freshman führt aus: «Soukey kennen wir schon lange, wir sind zur ähnlichen Zeit in die Szene hineingewachsen.» «Ausserdem war es uns wichtig, dass bei einem Song über Sex zwischen zwei Frauen nicht ein Dude darin gefeatured wird», erklärt Anina Shona.
Die erste, in der Stimmung leichtere Albumhälfte kommt mit «Downtown» auf ihren Höhepunkt. Der Berner Produzent Questbeatz hat an diesem Song mitgearbeitet. «Meiner Mutter gefällt dieser Track am meisten, weil es der fröhlichste ist», meint Niketaz lachend. Während des Tracks herrscht für zweieinhalb Minuten total tanzbare Ausgangsstimmung.
Danach der Bruch zur zweiten, deutlich melancholischeren Hälfte des Albums. «Downtown» ist als Doppeltrack mit «Asphalt» erschienen. Zwei Lieder in einem also. Darauf verschwindet die ausgelassene Stimmung urplötzlich und man bekommt den kalten, unangenehmen Teil der Nacht zu spüren. «Für mich ist ‹Asphalt› das Gefühl nach dem Ausgang, wenn die Reizüberflutung komplett wegbricht und alles nur noch schlimm erscheint», erklärt Anina Shona.
In dieser Nacht steht die Reizüberflutung noch bevor. Plötzlich wird Lorenz Steiner unruhig: «Sorry, dass ich den Gesprächsfluss störe, aber was bringen wir um Mitternacht eigentlich auf Social Media?» Ein Blick auf die Uhr verrät, es ist inzwischen 23:49 Uhr. Viel Zeit bleibt nicht bis zum Release.
Da wird es hektisch in der WG. Steiner klappt den Laptop auf. Zusammen mit Z The Freshman fachsimpelt er über den anstehenden Social Media Post. Zur gleichen Zeit werden in der WG Getränke zum Anstossen gesucht, Freund*innen zum Teilen des Albums auf ihren Kanälen animiert.
Um 00:00 Uhr dann der grosse Moment. Z The Freshman lädt die Spotify-Seite neu, da erscheint das blau-weisse Albumcover von «Poésie Nocturne». Ein weiterer Klick, weiche Klaviernoten ertönen. Als die Stimme von Z The Freshman aus den Lautsprechern einsetzt, wird diese übertönt von einem freudigen real-life Z: «Ds isch scho no krass!»
Mit diesem Höhepunkt geht die Nacht für die «Hauptstadt» zu Ende. Die passende Stimmung für eine schwermütige Heimfahrt durchs nächtliche Bern auf dem Velo bietet der letzte Song des Albums. «Ostring Endstation» erfasst einen mit einer richtigen Welle von Melancholie. Z The Freshman und Anina Shona schauen in ihren jeweiligen Versen auf ihre Entwicklung von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter zurück.
Die immer weitere Entfernung von den Orten und Erlebnissen der Kindheit und Jugend werden zusätzlich von einem Kinderchor unterstrichen. Auch wenn dieser nicht tatsächlich aus Kindern besteht, sondern ein Griff in die technologische Trickkiste ist.
Mit «Poésie Nocturne» geben Z The Freshman & Hotel Samar ihrer Generation eine musikalisch sowie inhaltlich erfrischende Stimme. Diese Stimme wird aufgrund ihrer jungen Aufmachung nicht für alle einfach zu verstehen sein, doch das Zuhören lohnt sich.
Du möchtest Z The Freshman & Hotel Samar live mit «Poésie Nocturne» erleben? Die Musiker*innen treten am 13.07 zum ersten Mal mit ihrem Album am Gurtenfestival auf. Getauft wird die Platte am 16.09 im Gaskessel.