«Wir müssen mehr bauen.»
Wer kann sich Wohnen in der Stadt Bern überhaupt noch leisten? Und wie kann das Problem der steigenden Mietpreise angegangen werden? Das war der fünfte «Hauptsachen»-Talk.
Leere Wohnungen gehen in der Stadt Bern weg wie warme Brötchen – und das zu hohen Preisen. In den letzten 20 Jahren sind die Mietzinse in der Stadt um rund 25 Prozent gestiegen. Gerade in beliebten Quartieren wie der Länggasse kostet eine 4,5-Zimmerwohnung rasch über 3’000 Franken pro Monat. Das wirft die Frage auf: Wer kann sich das Privileg, in der Stadt Bern zu wohnen, überhaupt noch leisten? Und was muss getan werden, damit die Mietpreise nicht weiter steigen?
Diese Grundsatzfragen diskutierte die «Hauptstadt» am Donnerstag im Rahmen des fünften «Hauptsachen»-Talks, der Talk-Reihe in Zusammenarbeit mit dem Progr.
Länggasse, Altenberg, Breitsch
Zu Beginn erzählten die drei Gäste, wie sie selbst wohnen. Ursula Marti etwa wohnt in einem «schmalen Reihenhaus in der Länggasse». Marti ist SP-Grossrätin und Präsidentin der Hauptstadt-Genossenschaft. Diese will auf der Viererfeld-Überbauung rund 200 genossenschaftliche Wohnungen bauen.
Simone Richner, FDP-Stadträtin und Vorstandsmitglied des Hauseigentümerverbands Bern und Umgebung, lebt mit ihrer Familie im Altenberg. «Mit einer Kita und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe sowie kurzen Arbeitswegen», sagte Richner. Vor der Geburt ihrer Tochter vor zwei Jahren hätte sie mit ihrem Partner nach einer Wohnung mit diesen Kriterien gesucht und «glücklicherweise auch rasch eine gefunden.»
Die dritte Person auf dem Podium, Karin Hofmann, wohnt im Breitenrainquartier. «Als alleinerziehende Mutter mit einem zeitintensiven Job kommt es für mich nicht in Frage, ausserhalb der Stadt zu wohnen.» Hofmann ist Geschäftsführerin des Vereins Wohnen Bern, der von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen selbständiges Wohnen ermöglicht.
Steigender Platzanspruch
In ihrer täglichen Arbeit beobachtet Hofmann, welch hohe Ansprüche potenzielle Mieter*innen heute erfüllen müssen. «Eine Wohnungsbewerbung gleicht immer mehr einer Bewerbung für einen Job», so Hofmann. Personen ohne perfekten Leumund hätten es ausgesprochen schwierig, überhaupt eine Wohnung zu finden.
Simone Richner teilt diesen Eindruck. Sie führt das darauf zurück, dass in der Stadt Bern in allen Preissegmenten Wohnungen fehlen. Dabei hat der Wohnungsbestand in Bern seit 1971 eigentlich um 16’000 Wohnungen zugenommen. Gleichzeitig ist die Wohnbevölkerung im selben Zeitraum von 160’000 auf 145’000 Personen gesunken.
In der Konsequenz bedeutet das: Weniger Menschen brauchen heute mehr Wohnungen – und entsprechend mehr Platz – als früher.
Genossenschaften als Lösung?
Diesem Trend hin zu mehr Platz pro Person wollen Genossenschaftsbauten entgegenwirken. Während im Schweizer Schnitt jede Person 50 Quadratmeter Wohnfläche beansprucht, liegt dieser Wert zum Beispiel in der neuen Genossenschaftssiedlung Warmbächli bei unter 35 Quadratmetern. «Möglich ist das, weil die Wohnungen klein sind, dafür aber viel gemeinschaftlich genutzter Raum zur Verfügung steht», sagt Ursula Marti.
Doch nicht jede*r kann es sich leisten, in eine Genossenschaftswohnung einzuziehen: Mieter*innen müssen sich dort nämlich einkaufen – zu teils hohen Preisen. Ein Publikumsgast will von Marti denn auch wissen, wie hoch dieser Betrag für die zukünftigen Genossenschaftswohnungen auf dem Viererfeld sein wird. «Eine Summe im fünfstelligen Bereich», sagt Marti – nach einigem Zögern und ohne konkreter zu werden.
In der Stadt Bern wird genossenschaftliches Bauen gefördert. Trotzdem gehören von den insgesamt 79’000 Wohnungen in Bern nur gerade 8’000 zu einer Genossenschaft.
Mehr bauen!
Um dem Wohnungsmangel beizukommen, ist für Simone Richner klar: «Es muss mehr gebaut werden.» Weil Bern nicht unbeschränkt Platz zur Verfügung habe, sei insbesondere auch verdichtetes Bauen gefragt, so Richner. Das fordert auch das revidierte nationale Raumplanungsgesetz, das 2014 in Kraft getreten ist und Grünflächen schützen soll.
Gemäss Richner gibt es jedoch ein entscheidendes Problem, weshalb heute nicht öfter verdichtet gebaut wird: «Die Vorschriften sind zu streng.» Etwa die Vorgaben zum Lärmschutz, die denkmalpflegerischen Ansprüche oder die ausbleibende Digitalisierung des Bewilligungsverfahrens. «Für Investoren ist es aktuell nicht attraktiv, zu bauen», so Richner.
Dass in Bern mehr gebaut werden muss, um dem Wohnungsmangel beizukommen, sehen auch Ursula Marti und Karin Hofmann so. Aus Hofmanns Sicht ist es insbesondere wichtig, dass dabei auch kleinere Wohnungen gebaut werden. Immerhin würde das Budget jener Menschen, die sie bei der Wohnungssuche unterstützt, meist für eine 1- bis maximal 2-Zimmerwohnung reichen. «Solche Wohnungen gibt es heute in der Stadt fast nicht», so Hofmann.
«Wenn Sie sich alle drei einig sind, dass in Bern mehr gebaut werden muss: Wo soll das passieren?», wollte «Hauptstadt»-Journalist und Talk-Moderator Jürg Steiner von den drei Podiumsteilnehmerinnen wissen. Eine konkrete Antwort auf seine Frage erhielt er letztlich aber nicht. Wohl auch wegen dem Phänomen, das Simone Richner beschrieb: «Alle sind sich einig, dass verdichtet gebaut werden muss – bis zum Moment, in dem der Umbau am Nachbargebäude beginnen soll und man plötzlich aus Eigeninteresse dagegen ist.»
Jede*r in der Verantwortung
«Hat das alles zur Folge, dass Wohnen in der Stadt Bern zum unbezahlbaren Luxus wird?», fragte Jürg Steiner zum Abschluss des Talks.
«Wohnen in Bern muss auch in Zukunft für alle möglich sein, dafür kämpfe ich», sagte Ursula Marti.
«Wohnen in der Stadt Bern wird auch in Zukunft erschwinglich sein, wenn wir die Vorschriften lockern und Bauen so billiger wird», sagte Simone Richner.
Und Karin Hofmann zeigte sich zuversichtlich, dass das Menschenrecht Wohnen auch künftig allen in der Stadt Bern möglich sein wird. «Wir tragen aber alle eine soziale Verantwortung, damit es für alle Platz hat – beispielsweise indem wir die Wohnung oder das Haus freigeben, wenn wir die Wohnfläche nicht mehr benötigen.»