Spaghetti – «Hauptstadt»-Brief #391
Samstag, 16. November 2024 – die Themen: Wahlgeschenke; Maja Brönnimann; Erben; Stadtrat; Simonetta Sommaruga; Christian Burren; Klimagerechtigkeits-Initiative; Altes Loeblager.
Heute verteile ich Komplimente an Stadtberner Politiker*innen. Weil sie tapfer sind. Und weil sie lustige Ideen haben.
Den Tapferkeitspreis verleihe ich den Wahlkämpfer*innen, die ich an den letzten Samstagen bei Nebel und Bise am Münstergassmärit antraf. Egal welcher Partei. Heute tun sie es wohl zum letzten Mal, denn in einer Woche wird gewählt. Sie verteilen den Menschen Flyer mit ihrem Bildli. Sie lassen sich geduldig in Gespräche verwickeln, oft fast Schulter an Schulter mit der politischen Konkurrenz, die dasselbe tut. Und ebenso friert.
Das ist friedliche Knochenarbeit für die Demokratie.
Mit dem Originalitätspreis beehre ich die Partei mit dem besten Wahlgeschenk. Ich habe ein paar bemerkenswerte Sachen gesehen. Béatrice Wertli (Mitte) schrieb von Hand Briefe an mögliche Wähler*innen (sehr sportlich). Alec von Graffenried (GFL) verteilte Nidletäfeli, Janosch Weyermann (SVP) Schoggitafeln (solid, solider, am solidesten). Von Ursina Anderegg (GB) gab es Handfächer (praktisch in der Sommerhitze, aber nicht in der Novemberbise), Chandru Somasundaram (Stadtrat, SP) drückte mir Rüeblisamen (Bio) in die Hand (gesund und korrekt).
Alles gut und recht. Aber in meiner persönlichen Hitparade kommen sie alle nicht an die Alternative Linke (AL) heran. Die AL hat Pasta verteilt, auf der 500-Gramm-Packung steht ihr politisches Manifest: Basta mit Privilegien! Und auf der Rückseite ein weltverbesserndes Rezept für den Sugo all’arrabbiata.
Als Freund der italienischen Küche hat mich die AL mit ihren Spaghetti natürlich im Sack, bevor irgend ein gefährlicher politischer Gedanke (Abschaffung des Kapitalismus!) meine Hirnwindungen erreicht. Kürzlich habe ich AL-Stadtrat Raffael Joggi zugehört. Er erzählte, dass die AL-Statuten ihren Politiker*innen verbieten, sich in die Regierung wählen zu lassen – weil man dafür da sei, den Mächtigen auf die Finger zu schauen.
Das ist Politica all’arrabbiata, konsequent wie eine getrocknete Chilischote.
Das möchte ich dir ins Wochenende mitgeben:
- Battle-Rap: Zuerst kommt meine absolute Leseempfehlung für heute. Meine Kollegin Marina Bolzli hat die 44-jährige Radiomoderatorin, Tänzerin und zweifache Mutter Maja Brönnimann getroffen. Spät am Abend. Weil: Maja – so ihr Künstlerinnenname – tritt nächste Woche am renommierten Rap-Battle Ultimate MC im Gaskessel an. Rapper*innen aus der ganzen Deutschschweiz versuchen, sich gegenseitig verbal fertig zu machen. Wer gewinnt, erhält den Schweizermeistertitel im Battle-Rap. Nur die Besten sind dafür qualifiziert. Maja Brönnimann ist die einzige Frau, die daran teilnehmen kann. Hier gehts zum rasanten Porträt.
- Erben: Wir alle erben. Vielleicht die Nase, die Charakterzüge oder die Privilegien. Was genau, können wir nicht steuern. Aber wir können selber bestimmen, wie wir damit umgehen wollen. Darum geht es in der neuen Ausstellung «Hilfe, ich erbe!» im Berner Generationenhaus am Bahnhofplatz. Meine Kollegin Mara Hofer war schon dort und findet: Ein Besuch lohnt sich. Lies hier ihre Kritik. Und für Spontane: Heute am Eröffnungstag ist der Eintritt gratis.
- Stadtrat: Die rot-grüne Mehrheit des Stadtparlaments setzte sich am Donnerstag in zwei wohnpolitischen Fragen gegen die Bedenken der rot-grünen Stadtregierung durch: Sie überwies einen Vorstoss für die Einführung einer Mietzinskontrolle nach Sanierungen. Und sie befürwortete die Ausweitung der Einschränkungen für Buchungsplattformen wie Airbnb auch ausserhalb der Altstadt. Meine Kollegin Marina Bolzli hat für dich alle wichtigen Traktanden der letzten Sitzung in leichtverdaulichen Häppchen zusammengefasst.
- Universität: Alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga wird im Frühjahrssemester 2025 an der Universität Bern unterrichten. Zusammen mit Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaften, bestreitet sie ein Seminar mit dem Titel «Regieren in Theorie und Praxis», wie die Universität mitteilt. Die ehemalige SP-Bundesrätin wird von Februar bis Ende Mai 2025 jede Woche ihre Erfahrungen mit den Studierenden teilen.
- Köniz: Christian Burren, der seit 2017 für die SVP im Könizer Gemeinderat sitzt, tritt bei den Wahlen 2025 nicht mehr an, wie er mitteilt. Es gebe «nicht einen spezifischen Grund», warum er seine Regierungstätigkeit nach acht Jahren beende. Den Ausschlag gegeben habe eine Kombination aus privaten und beruflichen Überlegungen, so Burren. 2022 unterlag er Tanja Bauer (SP) bei der Wahl ins Gemeindepräsidium.
- Klimapolitik: Eine Allianz aus linken und grünen Parteien sowie Umweltverbänden hat am Freitag die städtische Klimagerechtigkeitsinitiative mit 6333 Unterschriften eingereicht, teilt sie mit. Die Initiant*innen wollen einen jährlich mit 20 Millionen Franken alimentierten Fonds einrichten, um in der Stadt Bern Klimamassnahmen zu finanzieren. Nach der Initiative der RGM-Parteien für die Einführung eines Mindestlohns ist die Klimagerechtigkeitsinitiative das zweite Volksbegehren, für das im Wahlkampf erfolgreich Unterschriften gesammelt wurde.*
PS: Jahrzehntelang betrieb das Warenhaus Loeb im Industriegebiet beim Weyerli ein Lager. Seit über 10 Jahren ist das sechsstöckige Haus, das der Burgergemeinde gehört, ein Ort für Kunstschaffende mit zahlreichen Ateliers. Das alte Loeblager befindet sich aber im Perimeter der geplanten grossen Wohnüberbauung Weyer West. Doch die Utopie, vielleicht doch eine Art Progr für Berns Westen zu werden, ist hartnäckig. Dieses Wochenende gewährt das alte Loeblager an zwei Tagen der offenen Tür Einblick ins Innenleben.
*Anmerkung der Redaktion: Im ursprünglichen Text waren beim Punkt Klimapolitik die beiden Volksinitiativen nicht der richtigen Urheber*innenschaft zugeordnet. Korrekt ist: Die Initiative für einen städtischen Mindestlohn stammt von den RGM-Parteien, die Klimagerechtigkeitsinitiative lancierten Grünes Bündnis, Jungparteien und Umweltverbände.