Hauptstadt-Brief Spezial – Fussball-EM #4
Der 28. April 2018, die Champions League Hymne im Wankdorfstadion, die Euro 2025 – gewisse Erlebnisse prägen sich tief in die Erinnerungen eines Fussballfans ein.
Ich habe mich selten so auf ein Fussballspiel gefreut wie auf den EM-Viertelfinal Spanien-Schweiz heute Abend in Bern. Etliche meiner fussballbegeisterten Freund*innen mögen das nicht so richtig verstehen. Noch nicht?
Als YB-Fan bin ich mir eine Achterbahn der Gefühle gewohnt. Unvergessen bleibt der 28. April 2018, als die Young Boys ihren ersten Meistertitel nach 32 Jahren gewannen. In den Jahren zuvor gab es Erlebnisse am anderen Ende der Gefühlsskala, darüber möchte ich keine weiteren Worte verlieren.
Sehr emotional waren für mich auch die ersten Spiele der YB-Männer in der Champions League. Die berühmte Hymne aus dem TV im Wankdorfstadion zu hören, bescherte mir mehrmals Gänsehaut oder sogar Freudentränen. Zuletzt machten bei YB besonders die Frauen Freude, die im Mai Schweizermeisterinnen wurden. Die Party im Wankdorf schien mir ein kleiner Vorbote auf das, was folgen könnte.
Und das ist nun eben diese EM. Sie berührt mich emotional stärker, als ich erwartet habe: Zum einen sind da diese Frauen auf dem Platz, die äusserst attraktiven Fussball zeigen – und die sich erkämpfen mussten, dass sie das vor vollen Rängen in anständigen Stadien tun dürfen. Ein Kampf, den sie von klein auf führen mussten. Weil es keine Mädchen- und Frauenteams gab, keine Rasenplätze, keine Kabinen – die Liste ist damit noch lange nicht zu Ende.
Hinzu kommt, dass diese Frauen oft niemanden hatten, zu dem sie hochschauen konnten. «Vorbilder, die aussehen wie ich», formulierte es meine Kollegin Frau Tifosa treffend. Sich an eine Position kämpfen, ohne zu jemandem hochschauen zu können, das scheint mir unglaublich schwer. Dass diese Frauen nun Vorbilder für all die vielen Mädchen sind, die Fussball spielen oder damit beginnen wollen, das finde ich wunderbar.
Und zum Schluss ist da noch das Publikum an den Public Viewings, auf den Fanmärschen und in den Stadien: Es ist bunt durchmischt, die Stimmung ist durchwegs fröhlich, Respekt und Anstand allen anderen gegenüber sind gross. Kurz: Diese EM macht einfach Spass.
Egal, wie das Spiel für die Schweizerinnen gegen die favorisierten Spanierinnen heute Abend ausgeht: Ein solches Fussballturnier im eigenen Land und zuhause vor der Haustür miterleben zu dürfen, ist wunderbar.
Den ganzen Juli über findet in der Schweiz die Fussball-EM der Frauen statt. Vier Spiele davon werden in Bern angepfiffen. Die «Hauptstadt» nimmt das zum Anlass für einen Hauptstadt-Brief Spezial. Dazu spannen wir mit dem legendären Berner Fussball-Blog Zum Runden Leder zusammen: Im Vorfeld der Berner Spiele sowie vor den Halbfinals und dem Final schreiben die Autor*innen des Blogs über die EM – kompetent, niederschwellig und humorvoll. Mehr dazu erfährst du hier. Und hier kannst du dich für den Hauptstadt-Brief anmelden.
Ebenfalls wissenswert:
- Sammelfieber: Das kultige Tschuttiheftli druckt zwei Spielerinnen nach. Das hat das Team nach der Viertelfinalqualifikation der Schweizerinnen entschieden. In einer kombinierten Auswahl durch das Redaktionsteam und einer Abstimmung auf Instagram wurden Riola Xhemaili und Smilla Valotto gewählt. «Xhemaili und Valotto stehen stellvertretend für die Tiefe, Leidenschaft und Klasse dieses Teams», teilten die Macher*innen am Montag mit.
- Vertragsauflösung: YB und Noa Schärz haben auf Wunsch der Spielerin den Vertrag aufgelöst. «Ich habe das Gefühl, im Spitzensport nicht mehr am richtigen Ort zu sein», wird sie auf der YB-Website zitiert. Schärz war ein Farbtupfer in der Fussballwelt, wie jüngst auch eine Serie in der WOZ zeigte. Wiederholt hat sie die Strukturen für Frauen im Fussballgeschäft kritisiert. Und sie war sehr wichtig für YB: Mit ihrem sehenswerten Tor zum 1:0 gegen GC im März schoss Schärz die Bernerinnen zum Sieg der Regular Season.
- Turnierbaum: Italien (2:1 gegen Norwegen) und England (3:2 nach Penaltyschiessen gegen Schweden) haben sich bereits für die Halfinals qualifiziert. Dort treffen die beiden Teams aufeinander. Das Spiel wird am Dienstag in Genf stattfinden. Gewinnen die Schweizerinnen heute Abend, würden sie im Halfinale am Mittwoch in Zürich auf die Siegerinnen der Partie Frankreich gegen Deutschland treffen. Die zwei Teams spielen morgen gegeneinander. In Bern finden nach dem Viertelfinale heute keine Spiele mehr statt.
- Grümpelturnier: Am Wochenende treten 18 internationale Teams in Bern bei einem grossen Finta*-Fussballturnier gegeneinander an. Das Turnier findet im Sportpark Wyler unter dem Motto «Bend it like Bern» statt. Erwartet werden Teams aus der Schweiz, Deutschland und Österreich. Oragnisiert wird das Turnier von der Olympique Bärnoise, einem Team aus der Berner Alternativliga.
- Fanmarsch: Der heutige Tag dürfte in Bern erneut zum grossen Fussballfest werden. Fans der Schweizerinnen und Spanierinnen marschieren ab 17:30 Uhr vom Bundesplatz respektive der Kramgasse zum Wankdorfstadion. Der Viertelfinal ist ausverkauft, am Public Viewing in der Fanzone auf dem Bundesplatz wird ein Grossandrang erwartet. Und unabhängig vom Resultat begeht Bern im Anschluss an das Spiel eine Freinacht. Aus aktuellem Anlass veranstaltet übrigens sogar das Gurtenfestival erstmals ein Public Viewing.
PS: Was mich diese EM auch gelehrt hat: Dass auf dem Platz Frauen spielen und nicht Männer, in den Stadien Frauen speakern und nicht Männer, im TV Frauen kommentieren und nicht Männer – das alles habe ich nach kürzester Zeit vergessen. Es fühlt sich vollkommen normal an.
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