Wahlkampf – «Hauptstadt»-Brief #355

Samstag, 24. August 2024 – die Themen: Stadtberner Wahlen; SP; Matteänglisch; Erntehelfer*innen; Kantonsfinanzen I & II; Abwahl; Bikini Showers.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Selbst wenn dich Politik in der Stadt Bern bis jetzt nicht interessiert hat: Ich ermuntere dich, den anlaufenden Wahlkampf mitzuverfolgen. Denn: Es wird spannend und intensiv wie seit 30 Jahren nicht mehr. Weil am Wahltag, dem 24. November, für diese Stadt aussergewöhnliche Dinge passieren können.

Es ist möglich, dass der amtierende Stadtpräsident Alec von Graffenried abgewählt und mit Marieke Kruit (SP) erstmals eine Frau Berns Stapi wird. Es ist möglich, dass SP und Grüne, die zusammen vier von fünf Posten in der Regierung besetzen, einen Sitz verlieren. Seit sie 1992 die Mehrheit gewannen, ist das nicht mehr passiert. Aber jetzt fordern die Parteien von der Mitte bis ganz nach rechts Rot-Grün zum ersten Mal in einer gemeinsamen Aktion heraus.

Was jetzt sogar schon sicher ist: Es kommt in Berns Regierung zu einem grossen Personalwechsel (hier findest du die Gemeinderatskandidat*innen im «Hauptstadt»-Kurzüberblick). Drei, eventuell sogar vier Sitze werden neu besetzt. Es ist deshalb doppelt interessant zu verstehen, wer sich in diesem Wahlkampf wie positioniert. Und wer wen bekämpft.

Der Wahlkampf hat diese Woche richtig begonnen. Mitte-rechts versucht gerade, die Linke mit einer Debatte über die Kita-Finanzierung zu ärgern. Gleichzeitig hat die SP vor zwei Tagen mit geschwellter Brust verkündet, für was sie Partei ergreift. Ob man die SP mag oder nicht, egal: Was sie will, hat in der Stadt Gewicht. Die SP ist die mit Abstand grösste Partei. Im 80-köpfigen Stadtparlament verfügt sie über mindestens doppelt so viele Sitze wie jede andere Partei.

Der SP Stadt Bern strömt das Selbstvertrauen aus allen Poren. So viele SPler*innen wie noch nie (61) wollen in den Stadtrat. Das Ziel: noch grösser, noch dominanter zu werden. Die Partei wirbt für den Ausbau städtischer Leistungen – Ganztagesschulen, ÖV, Klimaanpassung. Um die steigenden Mietzinsen zu bekämpfen, soll die Stadt laut SP weiter Liegenschaften kaufen und selber Wohnungen bauen. Seit gestern kann man auf der SP-Website sogar ein Positionspapier zur städtischen Wirtschaft lesen. Der Anspruch: Die Berner Wirtschaft soll soziale Innovation und Kreislaufökonomie vorantreiben.

Wie die Pläne der SP finanziert werden sollen, steht hingegen nirgends. Natürlich sei es wichtig, sagt Co-Parteipräsidentin Lena Allenspach, dass die Finanzlage der Stadt solid sei: «Nach unserer Ansicht ist das der Fall.» Und das, obschon die Regierung für 2025 ein Defizit budgetiert und einen wachsenden Schuldenberg.

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Fotoserie von Leila Ruru (7/12): Monbijoupark. (Bild: Leila Ruru)

Und das möchte ich dir ins Wochenende mitgeben:

  • Matte: Ist der Ausdruck «ä Ligu Lehm» (ein Stück Brot) Matte-Englisch oder Matte-Dialekt? Meine Kollegin Mara Hofer taucht tief in die Raffinessen des Matte-Quartiers und klärt unterhaltsam alle Fragen.
  • Unsichtbar: Der Fotograf und Journalist Klaus Petrus vom Strassenmagazin Surprise hat sich mit der Lebensrealität ausländischer Erntehelfer*innen auseinandergesetzt. Sie pflücken, etwa im Seeland, Gemüse und Früchte, die wir im Laden kaufen. Wie es kommt, dass Arbeiter*innen für 3’300 Franken Monatslohn 55 Stunden pro Woche arbeiten müssen, hat er meiner Kollegin Flavia von Gunten erklärt.
  • Kantonsfinanzen I: Finanzdirektorin Astrid Bärtschi (Mitte) hat das kantonale Budget 2025 vorgelegt – mit einer Neuigkeit, die für Emotionen sorgt: Die Steuern für natürliche Personen sollen um ein halbes Zehntel sinken. Mitte-Rechts jubiliert, die Linke protestiert. Zorn kommt auch aus dem Emmental: Weil Burgdorf die Fachhochschule an den Campus in Biel abgeben musste, sollte die Technische Fachschule – genannt «Lädere» – aus der Berner Lorraine nach Burgdorf zügeln. Nun will der Regierungsrat letzteren Umzug aus Spargründen stoppen. Allerdings: Das Budget wird noch im Grossen Rat debattiert.
  • Kantonsfinanzen II: Am Montag hat die Stiftung Kunstmuseum Bern die Siegerin des Architekturwettbewerbs für den geplanten Neu- und Umbau präsentiert. Und auch die Zahlen dazu: 147 Millionen Franken soll alles kosten. Die Stiftung möchte, dass der Kanton davon 95 Millionen übernimmt. Offen war, wie viel Finanzdirektorin Astrid Bärtschi dafür im Budget 2025 reserviert hat. Jetzt weiss man es: 81 Millionen Franken sind eingestellt für das Kunstmuseum. Ob der Kanton bezahlt und wie viel, muss das Parlament aushandeln.
  • Abwahl: Die Stadtregierung will Privilegien für allenfalls abgewählte Mitglieder kappen. Neu sollen nicht wiedergewählte Gemeinderät*innen nicht mehr bis zum Erreichen des Ruhestands, sondern nur noch bis drei Jahre nach der Abwahl in der städtischen Pensionskasse versichert bleiben. Sofern ihm der Stadtrat zustimmt, könnte das Reglement laut einer Mitteilung schon auf 2025 in Kraft treten.
  • Fussball: Die YB-Frauen spielen heute Samstag (18 Uhr) in Genf gegen Servette. Ein besonderer Match: Letzte Saison verlor YB sowohl im Cupfinal wie im Playoff-Halbfinal schmerzhaft gegen die Genferinnen. Laut Trainerin Imke Wübbenhorst ist YB als Team inzwischen stärker und bereit, einen Titel zu holen. Servette zu schlagen, wäre ein erster Schritt. Das Spiel ist live auf SRF2 zu sehen.

Schöne Sunntig!

PS: Mit Wonne lenke ich deine Aufmerksamkeit auf ein Konzert, das am Montag um 20 Uhr in der Brasserie Lorraine stattfindet. Das Duo Bikini Showers lädt mit melancholischem Pop zum Mitwippen ein. Angie Addo singt, Elio Donauer untermalt mit Beats und Loops. Er ist ein Freund des Hauses: Donauer arbeitet als Co-Geschäftsführer unseres Partnermediums Tsüri. So grimmig wie auf dem Konzertaushang schaut er meistens nicht.

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