Innovation auf Ghüderwagen
Demian Schwendimann führt in Münchenbuchsee in fünfter Generation das gleichnamige Familienunternehmen. Ghüder wird immer noch entsorgt – doch die Firma ist erstaunlich innovativ.
Gerade verlässt ein Kehrichtwagen das Depot der Firma Schwendimann AG in Münchenbuchsee. Hintendrauf winken zwei Belader. Geschäftsführer Demian Schwendimann kennt diese Arbeit gut. «Ich bin quasi mit dem Ghüderauto aufgewachsen», sagt er. «Ich stand schon als 13-Jähriger in den Ferien hintendrauf, um Geld zu verdienen.» Nur so sei er überhaupt an Sackgeld gekommen.
Seit sechs Jahren leitet der 33-Jährige die Firma. Das Familienunternehmen ist in fünfter Generation in der Abfallentsorgung tätig. Schwendimanns Ururgrossvater fing 1935 noch mit Pferd und Wagen an.
Betritt man die Arbeitshallen, fühlt man sich heute eher wie bei Google: Da gibt es abgedunkelte Schlafräume, einen Kraftraum, eine Sauna, eine Entspannungszone mit einem riesigen Netz zum Liegen und einer Rutschbahn. Aber natürlich auch Büros, Werkstätten und Einstellhallen für die zahlreichen Kehrichtfahrzeuge und weitere Lieferwagen.
Vor einem Jahr war die Firma in den Schlagzeilen, weil sie die 38-Stunden-Woche für alle 85 Mitarbeiter*innen eingeführt hatte. Vor ein paar Wochen hat Schwendimann eine Auszeichnung der UPD für besonders gute Integration psychisch beeinträchtigter Menschen erhalten. Und das neueste Projekt von Demian Schwendimann: Er will Mitarbeitenden helfen, ihre eigene Geschäftsidee weiterzuentwickeln.
Bei diesem Familienunternehmen läuft manches ein bisschen anders als anderswo. Und das in einer Branche, die nicht unbedingt als besonders innovativ und zukunftsgerichtet gilt. Wie geht das?
Nicht ohne Reibereien
«Ghüder hat mich nie so interessiert», sagt Demian Schwendimann. Darum hat er erst einmal Automechaniker gelernt. Und auch später gezögert, ob er überhaupt in dieses Business einsteigen wolle. «Dann merkte ich, dass ich die Firma so führen kann, wie ich will.»
Das ging allerdings nicht ohne Reibereien. Schwendimanns Vater hat sich vor vier Jahren aus der Firma zurückgezogen. Pensioniert ist er noch nicht, aber die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen waren zu zahlreich. «Wir konnten das nicht zusammen machen, es wäre entweder er oder ich gewesen», sagt Demian Schwendimann. Die Fussstapfen des Vaters seien einfach zu gross gewesen.
Heute arbeitet der Vater bei Bernmobil. Privat jedoch sei alles im Lot, betont der Sohn, da habe es nie Probleme gegeben. Seine Mutter ist nach wie vor im Betrieb beschäftigt. Und auch der Bruder – Kilian Schwendimann ist stellvertretender Geschäftsführer.
Mitdenker*innen
Längst nicht alle Veränderungen sind erst mit der neuen Generation gekommen. Schon die Eltern haben vieles vorgespurt. Der Vater begann bereits vor einigen Jahren damit, die Mitarbeitenden Mitdenker*innen zu nennen. «Er hatte genug davon, dass sich alle immer herausreden, indem sie finden: Das ist kein Problem meiner Stufe», erinnert sich Demian Schwendimann. Zweimal im Jahr kann sich nun, wer will, in Workshops austauschen und Verbesserungsvorschläge im Betrieb machen. Es ist eine Kultur des Mitmachens. Aus einem dieser Workshops heraus ist auch die Idee mit der 38-Stunden-Woche entstanden.
Vor einem Jahr startete das Experiment. Die Wochenarbeitszeit wurde von 42,5 auf 38 Stunden reduziert – bei gleichbleibendem Lohn.
Die 38-Stunden-Woche habe sich mittlerweile gut etabliert, findet Demian Schwendimann. «2024 hatten wir das beste Geschäftsjahr überhaupt.» Aber wie ist das möglich? «Ich kann mir vorstellen, dass die Mitdenker*innen effizienter geworden sind», sagt Schwendimann. Vorher sei der eine oder die andere aus Pflichtgefühl noch länger geblieben, wenn die Arbeit eigentlich schon erledigt war. «Jetzt sagt man eher mal, ich mache heute Nachmittag frei.»
Da es in der Branche recht viele Ungelernte gibt – zum Beispiel die Belader hinten auf den Kehrichtautos – sind die Löhne nicht sehr hoch. «Gerade Belader arbeiten lieber ein bisschen mehr und lassen sich die Überstunden auszahlen», sagt der Geschäftsführer. Auch das sei durch die Einführung der Idee möglich geworden: Dass sich Leute mit kleinerem Lohn mit Überstunden das Einkommen aufbessern können. «Schliesslich wollen wir sie nicht bestrafen, weil sie so gut arbeiten.»
Man merkt Demian Schwendimann an, dass er mit dem Business aufgewachsen ist. Er wirkt geerdet. Aber auch selbstbewusst für einen 33-Jährigen. Eine Führungsweiterbildung hat er abgebrochen, weil er merkte, «ich bin da falsch, ich mache es gerne ein bisschen anders.»
Einen grossen Einfluss auf die Art, wie die Firma geführt wird, hat auch seine Mutter Sabrina. Sie komme aus dem «Sozialen», wie es Demian Schwendimann ausdrückt. Ihre Eltern haben in Münchenbuchsee im Sonderschulheim Mätteli als Heilpädagog*innen gearbeitet. «Das hat sie geprägt.» Für Sabrina Schwendimann sei schon immer klar gewesen, dass man auch Menschen integriere, die im ersten Arbeitsmarkt normalerweise Schwierigkeiten haben. So arbeiten in der Abfall-Sammelstelle immer «zwei, drei IV-Bezüger».
Demian Schwendimann schätzt diesen Aspekt. «Diese Durchmischung macht das ganze Team sozialer, denn Ausgrenzung tolerieren wir nicht», sagt er. Nicht zuletzt durch diese Entscheide hat das Unternehmen hohe Personalkosten, höher als in der Branche üblich.
«Natürlich müssen wir Geld einnehmen, aber das Geld ist nicht zuvorderst», sagt der junge Firmenchef. Ein Beispiel? Oft stelle man bei Schwendimann Leute an, die man in jenem Moment nicht unbedingt brauche, die aber gut zum Betrieb passen. «Damit sind wir bisher immer gut gefahren.»
Das neueste Projekt, Mitarbeitende bei der Entwicklung von eigenen Firmenideen zu unterstützen, steckt noch in den Kinderschuhen. Momentan gebe es einen Mitarbeiter, der über eine eigene Geschäftsidee brüte. Mehr will Demian Schwendimann aber noch nicht dazu sagen.
Grenzen gibt es auch
Mittlerweile ist es halb zehn Uhr morgens, einige Mitarbeiter haben sich um einen grossen Tisch im Aufenthaltsraum versammelt. Znünipause. Nun mischen sich Büroleute, erkennbar an Jeans und Hemd, mit Arbeitern, die draussen beschäftigt sind und Arbeitsmontur und leuchtende Jacken tragen. Am Tisch wird mit einem kleinen Schild darauf aufmerksam gemacht, dass hier «handyfreie Zone» herrsche. Und anscheinend halten sich alle daran: Es wird munter diskutiert.
Bei aller Innovation gibt es im Betrieb aber auch Grenzen: «Wir kommunizieren zwar flach, aber ich finde, für Entscheidungen braucht es doch eine gewisse Hierarchie.» Demian Schwendimann sagt das dezidiert. In der Geschäftsleitung werde manchmal hart diskutiert, «oft verliere ich auch». Viele Mitglieder der Geschäftsleitung waren schon vor ihm da, haben unter seinem Vater gearbeitet. «Diese Veränderung ist für alle nicht ganz leicht», sagt Schwendimann, «es braucht von beiden Seiten her Geduld.» Vielleicht auch, weil Schwendimann es anders macht. «Viele denken immer noch, als Chef müsse man immer der Erste und der Letzte sein.» Schwendimann aber will vorleben: Arbeit ist zwar wichtig, aber es gibt auch anderes im Leben.
Denn die grösste private Abfallentsorgerin im Grossraum Bern ist trotz allem ein Familienbetrieb. Das merkt man auch daran, dass Demian Schwendimann – mittlerweile als einziger seiner Familie – auf dem Firmengelände wohnt. Seine Wohnung liegt oberhalb einer firmeneigenen Werkstatt. Das mag Vorteile haben, denn die Wege sind nicht weit. Aber auch Nachteile, wenn am Abend und an den Wochenenden das Geschäft nah ist. «Wenn du Ferien willst, musst du weg», sagt Schwendimann. Und trotzdem möchte er es nicht anders haben.
Gerade letzthin habe sein 7-jähriger Sohn gefragt: «Papa, was muss ich machen, um das Geschäft übernehmen zu können?», erzählt Demian Schwendimann. Sein Sohn wäre dann die sechste Generation beim Abfallentsorger in Münchenbuchsee.