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«Noch nie wurde so viel über Geld diskutiert»

Die Berner Nationalrätin Nadine Masshardt hat für mehr Transparenz bei Wahlen und politischen Kampagnen gekämpft. Vor den Abstimmungen am 3. März zieht sie Bilanz zum Gesetz zur Offenlegung der Politikfinanzierung.

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«Eine einzelne Spende von Economiesuisse von 2,75 Millionen Franken im Nein-Lager ist grösser als das Gesamtbudget der Befürworter*innen»: SP-Nationalrätin Nadine Masshardt ist mit der Umsetzung der neuen Transparenzregeln zufrieden. (Bild: Marion Bernet)

Bei den nationalen Wahlen im vergangenen Oktober galten erstmals Pflichten zur Offenlegung der Finanzierung von Kampagnen. Die «Hauptstadt» berichtete im Herbst über die Kampagnenbudgets der Berner Kandidat*innen. Nach Ablauf der Fristen publizierte die eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) im Januar eine Zusammenfassung zu den Schlussrechnungen der Kampagnen. Dabei zeigte sich unter anderem, dass bei den Ständerats-Kampagenenbugets, die erst nach erfolgter Wahl zu deklarieren sind, die gewählte Berner SP-Ständerätin Flavia Wasserfallen mit 259’500 Franken das viertgrösste Budget aller gewählten Ständerät*innen auswies. 

Eine Vorkämpferin für die neuen Transparenzregeln war die Berner SP-Nationalrätin Nadine Masshardt, als Co-Präsidentin der Transparenz-Initiative. Diese war 2021 zugunsten der nun gültigen Transparenzregeln zurückgezogen worden. Im Interview mit der «Hauptstadt» zieht Masshardt Bilanz zum ersten Anwendungsfall des Transparenzgesetzes bei den Wahlen im Oktober 2023.

In den letzten Wochen wurden zudem erstmals Kampagnenbudgets zu eidgenössischen Volksabstimmungen bei der EFK gemeldet. Die Deklarationen summieren sich aktuell auf folgende Zahlen: Das Nein-Lager zur Initiative über eine 13. AHV-Rente deklariert ein Budget von rund 3,95 Millionen Franken, das Ja-Lager deklariert 2,2 Millionen Franken.

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Laut der Finanzkontrolle wurden im vergangenen Herbst 54,6 Millionen Franken für den nationalen Wahlkampf ausgegeben. Was ist Ihr Fazit des ersten Anwendungsfalls der neuen Transparenzregeln?

Nadine Masshart: Es ist ein grosser Fortschritt zu dem, was wir bisher hatten: Keine Transparenz in der Politikfinanzierung. Nun ist es keine Spekulation mehr, wie viel Geld ausgegeben wird. Wir haben jetzt Zahlen und Fakten und wissen also, welche Bank, welcher Verband mit Grossspenden welche Person und welche Partei unterstützt. Zudem sind bei Nationalratswahlen anonyme Spenden und Spenden aus dem Ausland nun verboten. Das sind staatspolitisch klare Verbesserungen. 

Diese neuen Fakten sind aber nur Teilfakten. Denn das Geld wird nur deklariert, wenn die Schwelle von 50’000 Franken pro Kampagne überschritten wird. Gemäss Schätzungen gaben Politiker*innen und Parteien bei den Wahlen effektiv doppelt so viel aus.

Klar, irgendwo wird es immer eine Schwelle geben, da wir auch kein Bürokratiemonster schaffen wollten. Wichtig für Bürger*innen ist, dass ihre Meinungsbildung gestärkt wird. Das war bei den letzten Wahlen der Fall und wird künftig auch bei Abstimmungen so sein. Wir wissen nun, welche grossen Geldgeber*innen hinter einer Kampagne und damit einem Anliegen stehen. 

Wer finanzierte nun den Wahlkampf der Schweizer Parteien?

Das können wir nun alle auf der Website der Eidgenössischen Finanzkontrolle nachschauen. Ohne eine Detailauswertung zu machen: Das dort aufgeschaltete Dokument zu den vergangenen Wahlen zeigt, dass beispielsweise Raiffeisen, Auto Schweiz, Gastro Suisse, TCS oder Gewerbeverband verschiedenen Kandidierenden sehr viel Geld spendeten.

Nicht erwähnt haben Sie die Gewerkschaften…

…und die Umweltverbände. Klar, auch die führten Kampagnen und legten diese offen.  

Was hat die neue Transparenz bei den Wahlen gebracht? 

Es wurde noch nie zuvor so viel über Geld und potenzielle Abhängigkeiten in der Politik geschrieben und diskutiert. Diese Debatte zeigt: Es ist ein Bedürfnis der Wählenden zu wissen, wer Politiker*innen und Kampagnen finanziert. Hier wurde ein Tabu gebrochen. Das ist ein Gewinn für die Demokratie.

Die grössten Wahlkampfbudgets hatten die FDP und die SVP mit 12 und 11 Millionen Franken. Die SP liegt mit 7,6 Millionen Franken noch vor der Mitte mit 6,7 Millionen Franken. Hat Sie das überrascht? 

Ich will diese Budgets nicht bewerten. Wichtig ist nicht, wo die SP auf dieser Rangliste steht, sondern, dass nun diese Zahlen nun auf dem Tisch und damit den Wählerinnen und Wählern bekannt sind. Die SP war übrigens schon immer transparent in dieser Frage. 

Auffallend ist: Fast keine persönliche Kampagne von SP-Politiker*innen lag über der Meldeschwelle von 50’000 Franken. Die Parteibudgets der SP hingegen waren eher hoch. So gab die SP Kanton Bern über 767’000 Franken für den Wahlkampf aus. Hat die SP das schon bei früheren Wahlen so gemacht? Oder hat die Partei mit dieser Strategie verhindert, dass die persönlichen Budgets über die Meldeschwelle kamen?

Im Kanton Bern hat es, verglichen mit den letzten Wahlen, meines Wissens keine Änderung gegeben. Mein Budget war in etwa gleich hoch wie bei den letzten Wahlen und mit 23‘000 Franken deutlich unter der Meldeschwelle.

Man könnte bei der Finanzkontrolle ja freiwillig auch Budgets unter 50’000 Franken deklarieren: Warum haben Sie persönlich auf eine solche Meldung verzichtet?

Ich habe mein Budget auf meiner Website deklariert. Das habe ich immer so gemacht. 

Erachten Sie die Meldeschwelle von 50’000 Franken als richtig, oder sollte diese tiefer sein?

Der Kompromiss ist so in Ordnung und fügt sich auch gut ein in die kantonalen und kommunalen Transparenzgesetze, die alle eine Schwelle kennen. Die Transparenz-Initiative sah ursprünglich eine noch höhere Schwelle von 100’000 Franken vor. Mit dem aktuellen Gesetz gehen wir also weiter und erfassen nun wohl sämtliche Abstimmungskampagnen. Dennoch ist klar, dass bei den Nationalratswahlen viele Kampagnen einzelner Kandidierenden unter dieser Schwelle liegen. 

Die neuen Transparenzregeln führten bei den Wahlen zu speziellen Situationen: Spenden von über 15’000 Franken blieben im Geheimen, wenn das Budget der einzelnen Kandidat*innen 50’000 Franken nicht überschritt. So hatte etwa der Berner SP-Kandidat Adrian Wüthrich eine Spende über 40’000 Franken nicht deklariert, weil sein Budget nur 48’000 Franken betrug. Macht diese Regel Sinn?

Einzelfälle kann ich nicht beurteilen. Nach dem ersten Anwendungsfall fordere ich nun aber sicher noch keine Anpassungen. Irgendwo muss man aber immer einen Schwellenwert setzen. Das Parlament hat sich für 50’000 Franken entschieden. 

Aber Grossspenden von über 15’000 Franken können gerade bei kleineren Wahlbudgets unter 50’000 Franken einen überproportionalen Einfluss haben, weil Kandidat*innen so von einer Geldquelle abhängig werden. Das bleibt derzeit geheim.

Auch ich wünschte mir noch mehr Transparenz. Wer das freiwillig tun will, dem steht nichts im Weg. Dennoch bleibe ich dabei, dass das nun vorliegende Gesetz schon mal ein wichtiger Fortschritt ist.

Für die kommenden Abstimmungen zur AHV am 5. März wurden nun auch erstmals Kampagnenbudgets gemeldet. Das Nein-Komitee zur 13. AHV-Rente deklariert ein Budget von rund 3,95 Millionen Franken, das Ja-Lager deklariert 2,2 Millionen Franken.

Und eine einzelne Spende von Economiesuisse von 2,75 Millionen Franken im Nein-Lager ist grösser als das Gesamtbudget der Befürworter*innen. Das ist schon Mal eine interessante Information für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger.

Sehen Sie weiterhin Handlungsbedarf bei der Transparenz in der Politik? 

Ich freue mich, dass wir nun auch bei den kommenden Abstimmungen erstmals Transparenz haben punkto Finanzen. Dies ist in der Schweiz mit unseren vielen Volksabstimmungen besonders wichtig und interessant. Und ja, ich wünsche mir durchaus auch in weiteren Bereichen mehr Transparenz. So etwa bei den Geldflüssen bei Interessenbindungen von Parlamentarier*innen. Da wäre es wichtig zu wissen, wer zum Beispiel wie viel Geld für ein Krankenkassenmandat erhält. Das wird aktuell im Parlament debattiert. Auch die sogenannten Tageszutritte ins Bundeshaus und damit das Lobbying müssten transparenter geregelt sein. Und bei Volksinitiativen bräuchte es bereits Transparenz bei der Finanzierung der Unterschriftensammlungen.

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