«Die Stadt weiss nicht, was Fehlerkultur genau ist.»

Matteo Micieli, 2024 Präsident der Stadtberner Geschäftsprüfungskommission, kritisiert den Gemeinderat bei der Aufarbeitung des Container-Debakels: Die Stadt könne nicht aus ihrem Scheitern lernen.

Impressionen von Matteo Micieli, PdA-Stadtrat in der Lorraine Bern, aufgenommen am 12.08.2025 für hauptstadt.be
«Von Gesprächen mit Gemeinderät*innen wird neu ein Protokoll erstellt»: Der letztjährige GPK-Präsident Mateo Micieli erklärt die Verbesserungen in der Arbeit der städtischen Aufsichtskommission. (Bild: Daniel Bürgin)

Sie waren im letzten Jahr Präsident der Geschäftsprüfungskommission (GPK), der wichtigen Aufsichtskommission des Stadtparlaments. Sie haben die Arbeit der Stadtregierung kritisch hinterfragt. Was haben Sie gelernt? 

Matteo Micieli: Wie viel hinter den Kulissen passiert und gearbeitet wird. Das hat mich beeindruckt. Und all die Prozesse, die ablaufen, bis ein Anliegen überhaupt die Projektreife erreicht. 

Der Bericht der GPK ist erstmals etwas ausführlicher, denn die Kommission hat ihre Arbeit reformiert und professionalisiert. Wo hat sich die Arbeit der GPK merklich verbessert? 

Der Prozess begann schon vor drei Jahren. Ein Treffen mit der GPK der Stadt Zürich brachte den Stein aber richtig ins Rollen.

Wo haben Sie von den Zürcher Kolleg*innen gelernt?

Wir haben neu ein Referent*innen-System, bei dem jedes GPK-Mitglied für eine Direktion zuständig ist. Zuvor schauten alle überall. Dadurch fühlte sich niemand richtig zuständig. Zudem haben wir standardisierte Fragenkataloge entwickelt, um bei Problemen schnell und strukturiert Informationen zu erhalten. 

Die reformierte GPK

Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) übt im Auftrag des Stadtrats die Oberaufsicht über den Gemeinderat und die Verwaltung aus. Sie hat in den letzten Jahren ihre Aufsichtstätigkeit neu organisiert und professionalisiert. Zu den Neuerungen gehört auch ein ausführlicherer Tätigkeitsbericht. Präsident der GPK war im Jahr 2024 Matteo Micieli. Der PdA-Stadtrat hat an der Uni Luzern Kulturwissenschaften und Philosophie studiert, ist im Vorstand des Solidaritätsnetzes Bern und arbeitet derzeit im Restaurant Löscher.

Wie lief die GPK-Arbeit früher ab?

Man hatte sich die aufgetauchten Fragen für die Gespräche mit Gemeinderät*innen aufgehoben, die damals aber nicht protokolliert wurden. Womit wir bei den nächsten Neuerung wären: Von diesen Gesprächen wird neu ein Protokoll erstellt.

Angesicht der Neuerungen mutet die bisherige GPK-Arbeit etwas amateurhaft an.

Das kann man in zwei Richtungen sehen. Es gibt Stimmen, die sagen, man erfahre mehr aus vertraulichen, informellen, nicht protokollierten Gesprächen. Ich persönlich finde das Protokollieren viel sinnvoller. Ich selbst habe ja nach wenigen Tagen schon vergessen, was genau gesagt wurde. Und schon bisher hat kein Gemeinderat freiwillig und frühzeitig aufgrund der erhöhten Vertraulichkeit über die grössten Probleme berichtet.

Impressionen von Matteo Micieli, PdA-Stadtrat in der Lorraine Bern, aufgenommen am 12.08.2025 für hauptstadt.be
Die Kommunikation des Gemeinderats zum Scheitern der Containerpflicht empfand GPK-Präsident Micieli «als Vertrauensbruch». (Bild: Daniel Bürgin)

Sie überprüfen die Regierung und deren Verwaltung. Grundsätzlich gefragt: Wie gut arbeiten diese in Bern?

Die GPK hat kein solches Fazit gemacht. Als PdA-Stadtrat kann ich sagen: Die Verwaltung macht grundsätzlich einen guten Job. Es ist zum Teil krass zu sehen, wie motiviert gewisse Stadtangestellte auch bei Krisen arbeiten.

Was hat Sie besonders beeindruckt?

Dass Mitarbeiter*innen Vollgas geben trotz Problemen wie bei der Software Citysoftnet.

Wo waren Sie schockiert?

Irritiert hat mich die Kommunikation des Gemeinderates mit den Kommissionen. Es wurde bei Problemen teilweise lange verheimlicht, was wirklich Sache ist. Das sieht man bei der Containerpflicht und dem Farbsack-System. Noch Jahre nach der Abstimmung sagte die damals zuständige Gemeinderätin Marieke Kruit, es laufe alles gut. Und ein paar Wochen später ging plötzlich gar nichts mehr.

Die GPK kritisiert den Gemeinderat beim Container-Debakel scharf. Man habe Bedenken zur Container-Pflicht für Kehricht leichtfertig zur Seite geschoben und zögerlich gehandelt. Was störte Sie dabei besonders?

Ich empfinde diese Kommunikation als Vertrauensbruch. Der alte Gemeinderat hatte die Probleme den Kommissionen lange verschwiegen. Dies trotz der Bedenken verschiedener Stadträt*innen, welche schon in der Parlamentsdebatte geäussert wurden.

Sie schreiben zudem im Bericht, dass in der zuständigen Direktion zu internen Fehleranalysen keinerlei Dokumente bestünden, die für zukünftige Projekte gewinnbringende Schlüsse zulassen würden. 

Das ist sehr bedenklich, weil der Gemeinderat permanent von Fehlerkultur und Learnings sprach. Seit ich im Stadtrat bin, fliegen mir die Wörter um die Ohren. Ich weiss aber noch immer nicht, was der Begriff Fehlerkultur bedeutet. Und beim Container-Debakel sah man, dass die Stadt offenbar auch nicht weiss, was Fehlerkultur genau ist. Es ist peinlich, dass man immer von gesunder Fehlerkultur spricht, aber beim Scheitern der Containerpflicht keine saubere Analyse gemacht hatte und damit nichts für künftige Projekte lernt.

Impressionen von Matteo Micieli, PdA-Stadtrat in der Lorraine Bern, aufgenommen am 12.08.2025 für hauptstadt.be
«Mutig und richtig»: Die GPK lobt laut Micieli den Abbruch der Entwicklung einer städtischen App für «Mobility as a Service». (Bild: Daniel Bürgin)

Was erwartet die GPK in der Container-Sache?

Die Tiefbaudirektion sollte die bestmögliche Lösung erarbeiten. Und der Gemeinderat die Fehleranalyse nachholen und aus dem Scheitern lernen. 

Die GPK schreibt häufig über IT-Projekte: So im aktuellen Bericht über die Fallführungssoftware Citysoftnet, oder die ICT-Sicherheit. Warum geraten IT-Projekte oft aus dem Ruder?

Das ist eine gute Frage. Im Bereich ICT-Sicherheit fehlt es an Mitarbeitenden. Und bei Citysoftnet hat man das Projekt leider nicht als ganzheitliches Transformationsprojekt gesehen, sondern nur als technisches IT-Projekt. So hat man nicht genug Ressourcen für die Umsetzung eingeplant.

Man hat den Menschen vergessen?

Man hat die Tragweite der Umstellung nicht erkannt, ja.

Hat die Kommission bei Citysoftnet eine bessere Fehleranalyse erhalten als bei der Containerpflicht?

Die Stadt hat immerhin vom Beratungsunternehmen PWC einen Bericht mit Empfehlungen machen lassen. Um dessen Aussagen fachlich einordnen zu können, hat die GPK wiederum eine eigene Evaluation durch einen externen Experten veranlasst. Mit Rechtsanwalt Fischer konnte ein ausgewiesener Experte, der auf Bundesebene arbeitet, dafür gewonnen werden. Aus Bericht und Evaluation ergibt sich ein klares Bild, das uns und den Verantwortlichen in Zukunft helfen kann.

Grosses Lob fand die GPK zum Abbruch der Entwicklung einer App für «Mobility as a Service». Was hat sie dabei beeindruckt?

Hier wurde vorausschauend geplant und frühzeitig die Reissleine gezogen. Das war mutig und richtig.

Sie untersuchten auch das umstrittene Demonstrationsverbot des Gemeinderats im Advent 2023, als dieser keine Grosskundgebungen mehr bewilligen wollte. Die GPK stellte dabei fest, dass der Wortlaut der Medienmitteilung nicht dem entsprach, was der Gemeinderat gegenüber der GPK sagte. Wurden Sie angelogen?

Ob das eine Lüge war, weiss ich nicht. In der Medienmitteilung steht, dass «keine Grosskundgebungen bewilligt werden», danach hiess es, dass jeder Einzelfall geprüft werde. Das ist nicht das gleiche. Entweder wurde in der Mitteilung schlecht kommuniziert oder die Regierung hat nachträglich ihre Meinung geändert. Letztlich konnte der Gemeinderat hier offensichtlich nicht zu einem Fehler der einen oder anderen Art stehen.

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Diskussion

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Ruedi Muggli
19. August 2025 um 07:42

Schön, gibt es so engagierte Gpk- Mitglieder!

Bloss die Schlagzeile ist falsch: „die Stadt“ gibt es nicht, sondern bloss eine Schar mehr oder weniger lernwilliger Menschen - wie überall. Man hätte lieber gelesen, wo nach Meinung der GPK die grössten Fehler bei der Einführung der Containerpflicht gemacht wurden.