«Die persönliche Angriffsschiene ist nicht mein Stil»
Mit dem Entscheid, den zweisprachigen Schulversuch nicht weiterzuführen, hat Berns neue Bildungsdirektorin Ursina Anderegg (GB) für schweizweite Schlagzeilen gesorgt. «Das war eine erste Feuertaufe», sagt sie.
Seit Januar leitet Ursina Anderegg (Grünes Bündnis) als Gemeinderätin die grösste Stadtberner Direktion. Sie ist für Bildung, Soziales und Sport verantwortlich. Ihr Entscheid, den Schulversuch mit den Classes bilingues (Clabi) nicht weiterzuführen, hat diesen Monat für grosse Empörung gesorgt. Im Interview nimmt sie Stellung zu den wichtigsten Fragen dazu.
Die 44-Jährige erklärt aber auch, wie es den städtischen Kitas geht und warum sie diese unter keinen Umständen aus der Stadtverwaltung auslagern möchte; was sie an der Frauenfussball-EM gut findet – und was weniger; ob sie gewillt ist zu sparen und was sie der zunehmenden Polarisierung in öffentlichen Auseinandersetzungen entgegenhalten will.
Sie haben die heftigsten Wochen in Ihrem Amt als Gemeinderätin hinter sich. Ihr Entscheid, den Schulversuch mit den classes bilingues (Clabi) nicht weiterzuführen, hat viel Empörung ausgelöst. Haben Sie damit gerechnet?
Ursina Anderegg: Ja, wir haben damit gerechnet, dass die Entscheidung sehr viele und auch emotionale Reaktionen auslösen wird. Aber nicht in dieser Heftigkeit.
Wie haben Sie sich in diesem ersten Sturm als Gemeinderätin gefühlt?
Grundsätzlich habe ich mich gut und in meiner Standhaftigkeit gestärkt gefühlt, weil ich zu hundert Prozent hinter diesem Entscheid stehe. Ich habe ihn sehr bewusst mit meinen Leuten zusammen getroffen. Es gehört zu meiner Funktion, ehrlich Probleme zu benennen und auch unbequeme Entscheidungen zu treffen, hinzustehen und zu vertreten. Darauf bin ich seit Amtsantritt eingestellt. Es war für mich eine erste Feuertaufe.
Haben Sie die Feuertaufe bestanden?
Ja, ich denke schon. Auch in der Öffentlichkeit stand meine Person stark im Fokus. Es war eine spannende Erfahrung, intensiv und anstrengend. Aber das gehört zu meinem Job. Ich habe gemerkt: Ich kann und will mit dem umgehen. Und es ist zeitintensiv. Ich und die Involvierten seitens Stadt haben zwei Wochen fast nichts anderes gemacht. Von daher war es auch ein Test, wie wir zusammen funktionieren.
Wie empfanden Sie die Art und Weise, wie diese Debatte geführt wurde?
Dass die Eltern und die betroffenen Mitarbeitenden sehr emotional reagieren, war klar. Ich stelle mich dieser Kritik und verstehe die Emotionalität. Weiter möchte ich nichts dazu sagen.
Warum nicht?
Ich bin gerne bereit, politisch und inhaltlich für Anliegen und Entscheide zu kämpfen – auch öffentlich. Die persönliche Angriffsschiene ist nicht mein Stil. Ich finde sie nicht zielführend, um Lösungen zu finden. Aber es ist mir völlig bewusst, dass sie ein Mittel ist, das angewandt wird.
Gibt es auch Punkte, bei denen Sie sagen: Die Kritiker*innen des Clabi-Entscheids haben Recht?
Ich glaube, es geht gar nicht um Recht oder nicht Recht haben. Es ist eine Frage der Kommunikation.
Was heisst das?
Ob der Entscheid für die Betroffenen nachvollziehbar kommuniziert wurde oder nicht. Das nehmen wir sicher mit.
Was meinen Sie genau?
Das Schulwesen an sich ist ja schon sehr komplex und emotional. Es gibt verständlicherweise Ansprüche von den Eltern, es geht um ihre Kinder, es geht um bildungspolitische Fragen. Und es geht auch um ein System, das sehr viel Druck tragen muss. In dem die Mitarbeitenden sehr viel tragen müssen. Das ist schon in der Regelschule eine komplexe Ausgangslage. Dann kommt der Schulversuch dazu.
Und?
Bei einem Schulversuch testet man etwas, wagt sich aus dem Rahmen, probiert eine Innovation aus. Das zeigt der Clabi-Schulversuch exemplarisch. Ich glaube, die Verknüpfung mit dem emotionalen Thema der Zweisprachigkeit und der Französischförderung macht die Sprengkraft aus: ein Versuchsfeld dazuzunehmen, in einem System, das an sich schon unter Druck ist, plus noch die politische Dimension.
Trotzdem hat es die Stadt gemacht.
Diesen Versuch hat die Stadt im Rahmen ihres Engagements für den Bilinguismus ambitioniert gewagt. Die Identifikation vieler Eltern mit diesem Versuch ist sehr gross. Für viele Betroffene kam der Entscheid nun abrupt, weshalb ich die emotionale Reaktion nachvollziehen kann. Die Kritik, dass nicht regelmässiger über die organisatorischen und fachlichen Probleme aktiver informiert wurde, nehmen wir entgegen.
Warum hat man die Leute nicht früher mit ins Boot geholt?
Es ist nicht die Aufgabe der Eltern, die Schulentwicklung mitzugestalten. Sie geben zwar ihre Kinder in diesen Versuch hinein und sind Teil dieses Experiments. Aber es ist eine fachliche, operative und pädagogische Frage, wie sich dieser Versuch entwickelt. Ob es mit dem Versuch weitergeht, können die Eltern nicht mitentscheiden. Obwohl sie sehr gerne mitentschieden hätten.
Hätte Ihre Vorgängerin Franziska Teuscher früher sagen müssen, dass der Schulversuch vielleicht auch nicht weitergeführt wird?
Das ist nicht die Frage.
Warum nicht?
Die Entscheidfindungsphase, in der die Herausforderungen in ihrer Summe zusammengetragen wurden, fällt in meine Amtszeit. Weil jetzt der Zeitpunkt kam, an dem entschieden werden musste. Und auch wenn es anders gewesen wäre, wäre es interessant zu wissen, was passiert wäre, wenn sie es gemacht hätte.
Was denken Sie?
Es könnte sein, dass der Druck dann aus einer anderen Richtung gekommen wäre. Dass zum Beispiel die Fachpersonen unter Druck gekommen wären. Es ist eine Gratwanderung. Dass es ein Versuch ist, der in einer gewissen Zeitperiode angewendet wird, war immer klar und öffentlich.
Von Ihren Kritiker*innen wird suggeriert, Sie hätten zu wenig versucht, Clabi zu retten.
Da kann ich nichts entgegnen, was ich nicht schon seit zwei Wochen entgegne. Ich habe die Ausgangslage angeschaut, ich habe mit den Leuten geredet, die den Schulversuch von Anfang an kennen. Ich kam ins Amt, als wir die Entscheidung treffen mussten. Es ist eigentlich eine relativ simple Frage. Man kann besser kommunizieren, man kann besser informieren. Das nehme ich entgegen. Es ist bei jeder Entscheidung so, die für eine Person überraschend kommt und Emotionalität auslöst. Das ist völlig logisch und verständlich. Und es ist meine Verantwortung, mit dieser Emotionalität umzugehen.
Man hört Stimmen aus dem Kanton, die sagen, die Stadt Bern hätte einfach für Geld fragen können, ein Gesuch stellen, es wäre kein Problem gewesen.
Da werden Sachen vermischt. Schulversuche sind nicht einfach finanzierte Projekte des Kantons. Der Kanton bewilligt ein Konzept, das eine Gemeinde testet. Clabi wurde bisher nicht mitfinanziert vom Kanton. Die Idee der Schulversuche ist, dass eine erfolgreiche Innovation vom Kanton anschliessend fürs ganze Volksschulwesen übernommen wird. Dann geht es in die Grundfinanzierung und in die Reglementarien des kantonalen Volksschulgesetzes. An diesem Punkt sind wir bei weitem nicht.
Es gab auch betriebliche Schwierigkeiten. So war offenbar auch die Tagesbetreuung bilingual in diesem Versuch, obwohl das im Konzept gar nicht vorgesehen war. Das macht den Eindruck, als hätte man es noch komplizierter gemacht, als es ohnehin schon war.
Das Argument wird von den betroffenen Eltern und nicht von den Fachpersonen angeführt. Die Eltern sagen, eine bilinguale Tagesbetreuung hätte es gar nicht gebraucht. Aber für unsere Fachleute vor Ort in der Tagesschule war völlig klar, dass es nicht praktikabel ist, in der Tagesschule alles nur auf Deutsch zu machen. Das ist die fachliche, pädagogische Sicht. Bei Clabi gab es die gelebte Kultur, dass man oft einfach gewechselt hat, von Französisch zu Deutsch und umgekehrt. Das ist auch eine Besonderheit, weil man beobachten wollte, wie die Lern-Effekte passieren.
Sie haben im Stadtrat gesagt, dass Ihnen die Zweisprachigkeit wichtig ist. Wie wollen Sie die in Zukunft leben?
Das eine ist die Zweisprachigkeit, das andere ist die Förderung von Französisch. Dort kann ich mir gut vorstellen, dass man auf dem schulischen Weg bestimmte Programme noch mehr fördern kann, zum Beispiel den Schulaustausch mit dem Unterwallis für 7. Klässler*innen. Wir werden das mehr promoten und so die Zugänglichkeit erhöhen. Das kann man im Regelschulangebot fördern.
Und darüber hinaus?
Es wird Diskussionen um die Zukunft der Ecole Française in Wittigkofen geben. Die ist im Moment bedroht durch ein Sparpaket des Bundes. Bei diesem Thema sitze ich sehr gerne mit dem Kanton zusammen, um zu schauen, ob wir Finanzierungsmodelle hinbekommen, damit dort auch mehr Kinder aus der Stadt aufgenommen werden. Aber man muss sich immer bewusst sein: Das sind kleine Angebote. Es wird kein grosser Wurf herauskommen, wie etwa, dass die Stadt Bern den zweisprachigen Unterricht für die Regelschule einführt. Das ist viel zu weit weg von der Realität und der Machbarkeit.
Sprechen wir von den kleineren Kindern. Wo steht Bern bezüglich Kitas?
Seit der Einführung des Betreuungsgutschein-Systems sind die langen Wartelisten verschwunden. Der Zugang wurde stark erleichtert. Gleichzeitig führt der freie Markt dazu, dass wir Gebiete in der Stadt haben, die über- und andere unterversorgt sind.
Welche?
Bethlehem zum Beispiel. Und andere, wie die Länggasse, in denen es harte Konkurrenzkämpfe gibt. Und man muss festhalten, dass das System grundsätzlich unterfinanziert ist. Der Druck auf alle Kitas ist riesig. Zudem hat sich seit der Pandemie das Verhalten verändert. Es gab einen massiven Einbruch in der Nachfrage. Alle Kitas in der Stadt kämpfen, die privaten und die städtischen.
Wird die Stadt weitere Kitas schliessen müssen?
Das kann ich so heute nicht beantworten. Wir sparen schon seit gut zwei Jahren. Unter anderem sind Standorte zusammengelegt worden. Letztes Jahr schloss die Kita Matte. Das waren sehr einschneidende Massnahmen. Die Frage ist: Wie lange kann man Betriebe oder Standorte zusammenlegen, aber trotzdem genug Geld hereinholen, damit man überleben und flexibel bleiben kann?
Was ist Ihre Antwort?
Schliessungen haben nicht einfach von einem Tag auf den anderen einen Spareffekt. Es braucht eine gewisse Transformationszeit. Die Stadt Bern versucht seit längerem, den Personaletat an die effektiv bezogenen Plätze anzupassen.
Das heisst, Sie bauen Stellen ab?
Man hat Stellen abgebaut, aber nicht durch Kündigungen, sondern über natürliche Fluktuation. Doch da ist man mittlerweile an einem Plafond. Weiter versucht man die Mitarbeitenden flexibler einzusetzen, so dass man nicht mehr so stark an den Standort gebunden ist und besser auf einen Einbruch in einer Kita reagieren kann. Das sind komplexe Prozesse, da sich der Markt momentan sehr schnell bewegt. Die Planung ist schwierig für alle Kitas.
Also kann man gar nicht so schnell reagieren?
Man könnte relativ schnell sehr drastisch reagieren. Dann müsste man aber Leute auf die Strasse stellen.
Wird die Stadt das machen?
Nein, das ist nicht das Thema.
Ketzerisch gefragt: Wäre es nicht besser, alle Kitas aus der Verwaltung auszulagern?
Das ist die politische Grundsatzfrage. Ich habe dort eine sehr klare Haltung. Ich finde, es braucht qualitativ gute öffentliche Kitas mit guten Arbeitsbedingungen.
Sind das die Privaten nicht?
«Die Privaten» gibt es nicht. Auch unter den Privaten gibt es Unterschiede. Aber ja: Die städtischen Kitas orientieren sich an hohen Standards. Die Frage ist, ob die Stadt als öffentliche Hand gewillt ist, in diesem Bereich mit Subventionen Lücken zu schliessen. Seien es geografische Lücken oder Lücken bei der Abdeckung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Da geht es um ein Sicherungssystem, finde ich. Und die andere grosse Frage sind die Arbeitsbedingungen.
Inwiefern?
Der grösste Kostenpunkt bei Kitas ist das Personal. Wenn eine kleine, private Kita unter Spardruck kommt, was hat sie für Möglichkeiten? Die Stadt hat eine andere Position und Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit als private Anbietende, die einen unrentablen Standort einfach schliessen. In den letzten Jahren mussten mehrere private Kitas schliessen. Das hat man öffentlich nur nicht so mitbekommen.
Sie betonen die Vorteile der städtischen Kitas. Gibt es auch Vorteile der privaten Kitas?
Ich finde schwierig, dass man die städtischen immer so eins zu eins «den privaten Kitas» gegenüberstellt.
Wie würden Sie es denn machen?
Es haben alle einen anderen Charakter. Es ist ein Unterschied, ob ich ein kleiner Kita-Verein bin, der schon seit den 1968er-Jahren existiert, oder ob ich Teil eines grossen Kita-Konzerns bin, der sich schweizweit quersubventioniert durch andere Angebote. Wir kämpfen alle mit der Unterfinanzierung, aber wir haben unterschiedliche Ausgangslagen, was unsere Strukturen anbelangt. Eine grosse Stärke der städtischen Kitas ist, dass wir mit öffentlichen Geldern zusätzlich eine Stabilisierung hineinbringen könnten. Ein grosser Konzern hat andere Möglichkeiten, um sich zu stabilisieren.
Wäre in Ihrer idealen Welt das ganze Kitawesen städtisch?
Nein, in meiner idealen Welt hätten alle Kitas eine gute Grundfinanzierung. Und ich finde es nicht gut, dass das Kitawesen einem freien Markt unterstellt ist.
Zu den städtischen Finanzen. Im Wahlkampf-Interview mit der «Hauptstadt» im Oktober sagten Sie, die roten Zahlen seien ein Mythos, die Stadt sei safe unterwegs. Sehen Sie das jetzt als Gemeinderätin immer noch so?
Ja, ich habe meine Einschätzungen und Haltungen nicht an der Bürotür abgegeben, als ich im Januar hier als Gemeinderätin anfing.
Aber inzwischen wurde die Rechnung 2024 präsentiert, die mit einem Defizit von 12 Millionen Franken abschliesst.
Allerdings betrug das für 2024 budgetierte Defizit 39 Millionen Franken. Das Resultat ist also einmal mehr viel besser als prognostiziert. Die Steuereinnahmen erreichten zum wiederholten Mal Rekordhöhe. Und wir verfügen immer noch über Reserven von rund 100 Millionen Franken. Aber ich habe immer auch gesagt, dass wir vor Herausforderungen stehen.
Vor welchen?
Die Stadt investiert immer noch sehr viel in die Infrastruktur. Das zieht auch Nachfolgekosten mit sich. Deshalb ist es wichtig, dass wir hier priorisieren. Zudem findet auf den Ebenen Kanton und Bund eine Abbaupolitik statt. Das verlagert den Kostendruck auf die Gemeinden. Wir müssen uns – vor allem in der Sozialpolitik – fragen, was wir als Stadt auffangen, das auf den oberen Staatsebenen abgebaut wird. Und die Lasten müssen fairer verteilt werden.
Konkret?
Zum Beispiel ist eine Revision des Gesetzes über den Finanz- und Lastenausgleich im Gang. Dort werden auch die Lasten abgegolten, die Zentren zu tragen haben. Neu wollen auch Burgdorf und Langenthal zu uns Zentren stossen – allerdings ohne, dass der Topf, aus dem das Geld verteilt wird, grösser würde.
Laut Finanzdirektorin Melanie Mettler (GLP) muss der Gemeinderat nur dann kein Sparpaket schnüren, wenn alle fünf Gemeinderät*innen bereit sind, in ihren Direktionen nicht mehr Ausgaben zu planen, als die Finanzmittel hergeben. Sind Sie bereit, Ihren Beitrag zu leisten?
Der eine Punkt ist, wie wir als Gremium zur Einschätzung der Finanzlage kommen. Das ist eine politische Diskussion, in der ich meinen Standpunkt einbringe. Dann fällt das Gremium einen Entscheid. Wie bei allen Geschäften trage ich diesen selbstverständlich mit und setze ihn mit meinen Leuten hier in der Direktion operativ um.
In wenigen Wochen beginnt die Fussball-EM der Frauen. Vier Spiele finden in Bern statt. Sie sind auch städtische Sportministerin. Besuchen Sie die Spiele?
Ich habe Tickets für die Spiele in Bern, und ich werde auch in der Stadt unterwegs sein, um zu schauen, wie der Event umgesetzt wird. Ich gehe davon aus, das wird eine spannende Sache.
Was erwarten Sie?
Grundsätzlich stehe ich der Kommerzialisierung von Sportarten und riesigen Events kritisch gegenüber. Spannend finde ich aber, dass dieser Grossanlass eine andere starke Seite hat, die emanzipatorische für den Frauenfussball an sich. Ich bin überzeugt, dass die EM wirklich einen Schub geben wird für Fussballerinnen, aber auch für Funktionärinnen in den Verbänden. Schön, dass die Stadt Bern da einen Beitrag leisten kann.
Was ist mit der Nachhaltigkeit?
Klar ist, es bleibt ein Event des europäischen Fussballverbands, der Uefa. Und man hat grosse Versprechungen gemacht bezüglich Nachhaltigkeit. Die Organisator*innen haben viel Arbeit geleistet, zum Beispiel, was die Lenkung der Mobilität angeht. Aber ich habe schon die Erwartung, dass von dieser EM etwas zurückbleibt für den Fussball von Mädchen und Frauen.
Bevor Sie Gemeinderätin wurden, arbeiteten Sie bei der Abteilung für Chancengleichheit und Gleichstellung der Universität. Wie blicken Sie aus dieser Perspektive auf den Frauenfussball?
Es ist eine ähnliche Diskussion wie bei der Frauenförderung in Teppichetagen. Die Grundfrage stellt sich, wie stark sich das patriarchale System im Fussball verändert, wenn die Frauen beginnen, die Kultur mitzuprägen. Oder ist es so, dass sich die Frauen dem patriarchalen System immer mehr unterordnen, dass es gar nicht mehr so viel ausmacht, ob Frauen oder Männer am Ruder sind?
Und?
Ich finde, das ist sehr spannend zu beobachten. Diese Fragen werden auch innerhalb der Frauenfussballwelt diskutiert, was ich wichtig finde.
Im Budget 2025 der Stadt sind 140’000 Franken vorgesehen zur Bekämpfung von Antisemitismus, Antiziganismus und antimuslimischem Rassismus. Ist die neue Stelle geschaffen und eine Person eingestellt worden?
Der Prozess ist noch im Gang. Die Mittel für die Fachstelle gegen Rassismus sind aufgestockt worden. Wie sie genau eingesetzt werden, ist noch in Diskussion.
Warum muss noch diskutiert werden?
Aktuell wird der städtische Schwerpunktplan Migration und Rassismus in einem partizipativen Prozess überarbeitet. Dort wird ein Fokus auf Antisemitismus gelegt, weil das Phänomen sichtbarer und virulenter geworden ist. Aber wir behalten auch die anderen Ismen im Blick. Eine Hierarchisierung verschiedener Rassismusformen bringt uns nicht weiter. Erst nach Verabschiedung dieses überarbeiteten Aktionsplans wird klarer sein, wie die zusätzlichen Ressourcen genau eingesetzt werden.
Die öffentliche Diskussion um Antisemitismus ist sehr polarisiert. Wie gehen Sie damit um?
Die Eskalation im Nahen Osten hat sich bei uns sehr schnell zu einem Diskurs verhärtet, in dem es sehr stark darum geht, was man schlimm findet und was nicht und welches Wort man braucht und welches nicht. Da war mir die Diskussion oft zu platt. Daran, worum es wirklich geht, reden wir vorbei.
Wie genau?
Wir sind ja alle dafür, Ungleichheit zu bekämpfen und gegen Gewalt einzustehen. Für mich macht es keinen Unterschied, ob zum Beispiel eine Transfrau Gewalt erlebt oder eine Person, der eine jüdische Herkunft zugeschrieben wird. Beides muss man genau und differenziert anschauen. Und es ist dann eine Frage des Fachwissens, was man gegen Transphobie anders machen muss als gegen Antisemitismus. Deshalb braucht man für die Bekämpfung der unterschiedlichen Rassismusformen genügend Ressourcen.
Ist es für Sie und auch für den Gesamtgemeinderat ein Anspruch, der Polarisierung entgegenzuwirken?
Die zunehmende Polarisierung beschäftigt uns alle, und wir haben sie ja auch konkret als Traktanden auf dem Tisch. Vor einigen Wochen, als das Thema im Zusammenhang mit der personellen Besetzung der Kulturkommission aufkam, gab es im Gemeinderat intensive Diskussionen. Ich nehme von allen Gemeinderät*innen den Anspruch wahr, der Polarisierung entgegenzuwirken. Dort, wo sie es tun können.
A propos Gemeinderat. Wie gefällt es Ihnen zu regieren?
Sehr gut. Ich fühle mich privilegiert, an dieser Stelle meine politischen Hebel anzusetzen, und habe immer noch Freude, dass ich gewählt wurde. Es fühlt sich super an, hier zu arbeiten, ich bin umgeben von sehr kompetenten und engagierten Menschen.
Alle fünf Direktionen erhielten Anfang Jahr eine*n neue*n Vorsteher*in. Wie läuft es im Gesamtgremium?
Nach einem leichten Anfangsholpern sind wir nun super unterwegs, finde ich. Wir achten auf eine gute Gesprächskultur. Man hört sich gegenseitig zu und ist interessiert an den Haltungen der anderen. Das ist ein sehr guter Boden, auf dem wir auch schwierige Diskussionen werden führen können. Darauf freue ich mich.