Das war das dritte «Hauptstadt»-Jahr
Weiter gehts. Die «Hauptstadt» blickt auf ein herausforderndes Jahr 2024 zurück. Und will mit neuen Ideen ihr ehrgeziges Projekt im Berner Lokaljournalismus stärken.
Wahlen in der Stadt Bern: Podcast, Streitgespräche und die Wahlnacht
2024 war in Stadt und Region Bern ein Superwahljahr, da in zahlreichen Gemeinden Neuwahlen anstanden. Allen voran in der Stadt Bern. Die «Hauptstadt» begleitete die Wahlen mit zahlreichen Beiträgen und einem beliebten Podcast. Zudem führte sie mit den Gemeinderatskandidierenden der Stadt Bern Wahlgespräche durch. Die aufregende Wahlnacht schliesslich fasste sie in einem kompakten und übersichtlichen Newsletter zusammen, der am nächsten Morgen, reduziert auf Bilder und wenig Text, auf Instagram mit über 38’000 Views und 1152 Likes durch die Decke ging.
Recherchen: Auf Tauchgang zu Containern, Nothilfe und UPD
Neben dem Schreiben von jährlich 146 «Hauptstadt»-Briefen und dem täglichen Publizieren von Artikeln, muss man sich in einer kleinen Redaktion die Zeit für Recherchen sehr bewusst rausnehmen. 2024 verlangte die «Hauptstadt» bei zwei Recherchen Dokumente von Behörden nach dem Öffentlichkeitsgesetz heraus. Einerseits analysierte sie so, wie es in der Stadt Bern zum Container-Debakel kam. Andererseits arbeitete sie auf, warum die Universitären Psychiatrischen Dienste fast Konkurs gingen. Ausserdem zeigte sich, dass es sich auszahlt, an Themen dranzubleiben. Nur so konnte die «Hauptstadt» eindrücklich aufzeigen, wie minimalistisch Kinder in der Nothilfe im Kanton Bern unterstützt werden. Es sind solche Recherchen, die die «Hauptstadt» als Qualitätsmedium auszeichnen.
Pop-Up-Redaktionen: Aufs Land und an den Schmelztiegel der Kulturen
Die Pop-Up-Redaktionen haben sich längst etabliert. Um journalistisch in die Tiefe tauchen zu können, verlegt die «Hauptstadt» ihr Büro jeweils für eine Woche in ein anderes Quartier oder in die Berner Agglomeration. 2024 besuchte die «Hauptstadt» die Universität, das Tojo Theater, das Haus der Religionen am Europaplatz und die Berner Matte. Und sie wagte sich erstmals weiter aufs Land. Eine Woche verbrachte sie in Kehrsatz. Da der Auftaktartikel des zurückgekehrten Kehrsatzers und Musikers Simon Jäggi im Dorf so polemisierte, wurde die öffentliche Redaktionssitzung zu einem veritablen Schlagabtausch. Und die Redaktion hat gelernt: Mit einer Lokalberichterstattung auf kleinem Raum werden immer auch Erwartungen verbunden – und diese sind schnell enttäuscht.
Klicks: Die meistgelesenen Artikel
- Einordnung der (Berner) Bauernproteste (März 2024)
- Erst die Wohnung, dann der Rest (August 2024)
- Berner Club Guide (aktualisiert Oktober 2024)
- Die Leiden der Berner Clubs (November 2024)
- Sous-le-Pont-Koch Thomas Laube erzählt (Oktober 2024)
Stadtrat-Brief: Erfolgsprodukt
Mit einem Crowdfunding wurde Ende 2022 die lückenlose Berichterstattung aus dem Berner Stadtparlament lanciert. Im Februar 2023 startet die Redaktion mit dem Versenden des Stadtrat-Briefs, eines Newsletters, der nach jeder Sitzung die wichtigsten Debatten aus dem Stadtrat verständlich zusammenfasst. Das Produkt schliesst eine Lücke im Berner Lokaljournalismus und stösst auf eine Nachfrage, die sich direkt monetarisieren lässt. Mittlerweile kam die Finanzierung in zwei weiteren Crowdfundings 2023 und 2024 jeweils für ein weiteres Jahr zusammen. Bereits haben andere Städte angeklopft, ob sich das Konzept adaptieren liesse.
Französischsprachige Kolumne: Neue Zielgruppe
In Bern leben beträchtlich viele französischsprachige Menschen (auch wenn es dazu keine genauen Zahlen gibt). Viele von ihnen arbeiten bei bundesnahen Betrieben. Seit März 2024 versucht die «Hauptstadt» auch diese Menschen zu erreichen: Mit der monatlichen französischsprachigen Kolumne der eloquenten welschen Journalistin Patricia Michaud hat ein erfrischender Blick auf Bern in die «Hauptstadt» Einzug gehalten. Sei es, wenn sie über die akkuraten Papierbündeli sinniert oder die Reitschule besucht.
Social-Media: Kuratierte Ausgehtipps
Die «Hauptstadt» investiert redaktionelle Ressourcen in ihre Social-Media-Kanäle (Twitter/X, Instagram, LinkedIn, Facebook), einerseits zur konsequenten Verbreitung ihrer Artikel, anderseits, um eigenständige journalistische Formate auszuspielen. Der kuratierte Veranstaltungskalender «Bärner Nachtläbe» (Instagram), den die «Hauptstadt» jede Woche gemeinsam mit dem Bewegungsmelder herausgibt, hat sich als Wegweiser in den Ausgang etabliert. Vor allen städtischen Abstimmungen arbeitet die «Hauptstadt» die wichtigsten Pro- und Kontra-Argumente niederschwellig auf Instagram auf, um junge Stimmberechtigte zu erreichen. Die Zahl der Follower*innen wächst kontinuierlich. Auf Instagram folgen der «Hauptstadt» über 9200 Menschen, auf LinkedIn gut 1800 und auf Facebook gut 1400.
Veranstaltungen: «Hauptstadt»-Artikel erstmals auf der Bühne
Die fünf bis sechsmal im Jahr stattfindenden Hauptsachen-Talks in Kooperation mit der Stiftung Progr bleiben beliebt. 2024 haben sie zu den Themen Clubkultur, Nahost-Konflikt, Stapi-Wahl, Landwirtschaft und Frauenfussball stattgefunden. Zudem bespielte die «Hauptstadt» für eine Woche das Tojo-Theater in der Reitschule, wo ein Talk zum Thema Kulturförderung und eine szenische Lesung von ausgewählten «Hauptstadt»-Artikeln stattfand. Es war schön zu merken, dass guter Journalismus auch auf der Bühne funktionieren kann. «Hauptstadt»-Journalist*innen werden zudem regelmässig angefragt, Moderationen zu übernehmen. 2024 zum Beispiel an den Klimadebatten in der Heiliggeistkirche, im Polit-Forum Käfigturm, beim Arbeitgeberverband oder im Wahlkampf der Gemeinde Ittigen.
Personal: Stabilität
Auch im dritten Publikationsjahr blieb die Personalsituation trotz herausfordernder Geschäftslage und hoher Arbeitsbelastung stabil. Von den Redaktionsmitgliedern, die am ersten Publikationstag im März 2022 an Bord waren, sind mit einer Ausnahme alle noch dabei – für ein Start-up eher ungewöhnlich. Die «Hauptstadt» schenkt der Redaktionskultur und dem Teambuilding hohe Bedeutung und thematisiert auch Probleme des Journalist*innen-Berufs wie Exponiertheit oder Produktionsdruck. Die personelle Stabilität ist ein Resultat davon und sie stützt die Produktivität und Qualität der Redaktion. Für die Besetzung der Praktikumsstellen müssen nie Stellenausschreibungen gemacht werden, da die Hauptstadt regelmässig Spontanbewerbungen von geeigneten Kandidat*innen erreichen.
Abos: Stagnation
In Jahr drei seit Publikationsstart ging es darum, sich zu bewähren und neue Abonnent*innen zu gewinnen. Die Abo-Erneuerungsrate bewegte sich 2024 konstant zwischen 75 und 80 Prozent, was einer sehr guten Quote entspricht. Allerdings stellte es sich als schwierig heraus, in grossem Ausmass neue Leser*innen zu gewinnen. Auch Massnahmen wie der Druck von 19’000 Printheften zur Burgerrecherche 2023 führten nicht zum erhofften Abo-Anstieg. Und so stagniert die «Hauptstadt» momentan bei etwa 2800 Abos. Diese Zahl soll in kommender Zeit leicht gesteigert werden. Allerdings ist es in absehbarer Zeit nicht möglich, die «Hauptstadt» allein mit Abos zu finanzieren.
Diversifizierung: Inserate und mehr Power in der Geschäftsentwicklung
2021 hat sich die «Hauptstadt» mit dem Ziel gegründet, mittelfristig nur von Abos leben zu können. Dieses Ziel ist momentan nicht zu erreichen. Und so hat die «Hauptstadt» im Jahr 2024 eine Diversifizierungsstrategie aufgegleist und in ersten Schritten umgesetzt. Einerseits hat sie ein neues Gönner-Abo lanciert, das die Zahlungsbereitschaft eher finanzkräftiger Menschen, denen das Weiterbestehen der «Hauptstadt» wichtig ist, anspricht. Als Goodie gibt es lokale Kunst. Zudem verkauft die «Hauptstadt» seit dem Spätherbst im Newsletter Hauptstadt-Brief und im Bärner Nachtläbe auf Instagram Werbeplätze. Pro Newsletter wird nur ein klar gekennzeichnetes Inserat verkauft. Der Verkauf ist in den letzten beiden Monaten 2024 erfolgsversprechend angelaufen. Um die Diversifizierung weiter voranzutreiben, wurde erstmals seit Publikationsstart die Geschäftsstelle um zwei Personen erweitert, die nicht aus dem Journalismus kommen. Diese Professionalisierung in der Businessentwicklung und die Fokussierung darauf ist zum jetzigen Zeitpunkt nötig und ideal.
Zukunftsaussichten: Neue Finanzierungsideen
Lokaljournalismus zu finanzieren ist anspruchsvoll. Abonnent*innen tragen momentan knapp 60 Prozent zum Jahresbudget der «Hauptstadt» bei. Im Jahr 2024 wurden erste Ideen erarbeitet und ausprobiert, wie die restlichen 40 Prozent in Zukunft finanziert werden könnten. Neben Inseraten und Gönner-Abos gibt es neu auch einen Kooperationsvertrag mit dem Medienhaus Gassmann in Biel. Dieser sieht vor, dass ausgewählte «Hauptstadt»-Artikel auch im Bieler Tagblatt erscheinen. Weitere Projekte sind in der Pipeline. Wichtig dabei ist, dass sie auf die in den ersten drei Jahren erarbeiteten Stärken der «Hauptstadt» setzen und im besten Fall skalierbar sind. In diesem Sinne wurde 2024 auch ein Projekt bei der neu gegründeten Dach-Stiftung Media Forward Fund eingereicht. Aus über 130 Bewerbungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz schaffte es das «Hauptstadt»-Projekt bis in den Final der besten zehn. Der Pitch fand in Berlin statt. Leider ging das Projekt leer aus, auch wenn es tolle Feedbacks erhielt. Geplant ist, dass 2025 ein weiteres Projekt eingereicht wird. Denn auch im vierten Publikationsjahr gibt es Ideen, wie die «Hauptstadt» nachhaltig und innovativ wachsen kann.
Januar 2025, Geschäfts- und Redaktionsleitung «Hauptstadt»