Käfigturm – «Hauptstadt»-Brief #160
Samstag, 15. April – die Themen: Katzentaler, Simone Leuenberger, Eberhard W. Kornfeld, Flugplatz Bern.
Letzte Woche bin ich in den dritten Stock des Käfigturms hinaufgestiegen und wollte mir im Polit-Forum die Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit – Wir und der Journalismus» anschauen. Bis ich das Vorhaben umsetzen konnte, dauerte es jedoch eine Weile: Wie genau funktioniert der Badge, mit dem ich die Bildschirme bedienen muss? Und welche Tafeln gehören zur Wechselausstellung (Journalismus) und welche zur Dauerausstellung (Demokratie)? Ein Video klärte auf.
Anschliessend zog ich los und schaute mir die Tafeln mit Ereignissen an, die in den letzten 60 Jahren die Schweiz medial geprägt haben, darunter: Fichenaffäre, AKW Kaiseraugst, Corona, Krieg in der Ukraine. Ein Stockwerk höher setzte ich mir Kopfhörer auf und guckte mir Videos an, in denen Journalist*innen über die Geschlechterverhältnisse auf Redaktionen und die Bedeutung der Medien für die Demokratie sprachen. 16 Kurzfilme stehen zur Auswahl, interessiert haben sie mich alle. Doch bei einer Dauer von je etwa fünf Minuten hatte ich nicht die Geduld, sämtliche Filme anzuschauen.
Jeder Film schliesst mit einer Quizfrage ab. Generell ist vieles in der Ausstellung als Quiz angelegt. Auf mich wirkten diese Aufforderungen zur Interaktion in der Summe etwas erzwungen.
Am besten aber, du bildest dir in journalistisch-hinterfragender Manier selbst eine Meinung über die Ausstellung. Zum Beispiel zwischen dem 8. und dem 12. Mai. In dieser Woche nämlich arbeitet die «Hauptstadt»-Redaktion im Polit-Forum im Käfigturm. Vormerken kannst du dir auch den Abend des 11. Mai: Dann betreiben wir die «Demokratie-Bar» vor Ort und laden interessante Gäst*innen ein. Wir freuen uns auf deinen Besuch.
- Bettler*innen: Viele Passant*innen sind sich unsicher, wie sie Bettler*innen begegnen wollen. Münzen geben, oder besser ein Sandwich – oder gar ignorieren? Vier Berner*innen bieten eine zusätzliche Lösung an. Auf ihrer Website lassen sich sogenannte Katzentaler bestellen. Das sind Holzmünzen, die Bedürftige gegen warmes Essen oder einen Schlafplatz eintauschen können. Expert*innen begrüssen das Konzept im Grundsatz, wie meine Kollegin Lena Madonna schreibt. Es gibt aber auch Kritik: Die limitierten Einsatzmöglichkeiten der Taler würden die Wahlfreiheit der Bedürftigen einschränken.
- Inklusion: «Hauptstadt»-Journalistin Edith Krähenbühl hat die Berner EVP-Grossrätin Simone Leuenberger, die wegen einer Muskelkrankheit im Rollstuhl sitzt, zum Interview getroffen. Leuenberger erzählt, warum es sie stört, wenn sie bewundert wird für ihre Arbeit und in welchen Bereichen sie sich im Rat ungleich behandelt fühlt. «Man kennt die Lebenswelten von Menschen mit Behinderungen nicht», formuliert Leuenberger ein Problem. Abhilfe schaffen die Texte aus dem Inklusions-Schwerpunkt der «Hauptstadt», die du hier gebündelt findest.
- Kunst: Eberhard W. Kornfeld ist tot. Er ist am Donnerstagmorgen im Alter von 99 Jahren «friedlich zu Hause eingeschlafen», wie die Galerie Kornfeld mitteilt. Kornfeld kam 1945 von Basel nach Bern, volontierte bei August Klipstein und übernahm 1951 nach dessen Tod die Firma – die heutige Galerie Kornfeld. Über 100’000 Kunstwerke soll er verkauft haben; ausserdem hatte er den Ruf, mit vielen Künstler*innen befreundet gewesen zu sein, etwa mit Pablo Picasso und Alberto Giacometti. Stadtpräsident Alec von Graffenried würdigt Kornfeld, seit 2011 Ehrenbürger der Stadt, auf Twitter für sein «unschätzbares Vermächtnis».
- Aviatik: Der Flughafen Bern hat den Vertrag mit der Segelfluggruppe Bern auf März 2024 gekündigt. Das zeigen Recherchen vom SRF-Regionaljournal. Grund für die Kündigung ist die Freiflächensolaranlage, die auf dem Flugplatz entstehen und Strom für 15’000 Haushalte liefern soll. Sie wäre die grösste ihrer Art in der Schweiz. Der Baubeginn ist für 2025 geplant. Die Segelfluggruppe Bern, die dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert, gibt ihr Territorium nicht kampflos auf: Sie prüft nun rechtliche Schritte gegen die Kündigung.
Berner Kopf der Woche: Nora Steiner
Nora Steiner spürt gesellschaftlich relevante Themen auf und bringt sie auf die Bühne. So elegant, dass das Publikum gar nicht merkt, auf welch Theoriekolossen die Stücke bauen. Und trotzdem nicht der Unterhaltung willen banal. In den letzten Jahren hat Steiner die antike Figur Medea in die Gegenwart geholt und die Geschichten von sechs Frauen erzählt, die um 1970 in die Frauenstrafanstalt Hindelbank eingewiesen worden sind.
Aktuell führt die 24-jährige Bernerin Regie beim Stück «Perseus, der Mann», das im Tojo Theater läuft. Erneut steht eine Figur der griechischen Mythologie im Zentrum, die dem Publikum helfen soll, die Gegenwart zu verstehen. Es geht darum, «wie unsere westlich-patriarchale Gesellschaft toxische Männlichkeiten hervorbringt», steht im Stückbeschrieb.
Eine Vorstellung wurde in Gebärdensprache übersetzt, heute Abend bei der Derniere gibt es eine Audiodeskription und zuvor eine «taktile Einführung»: Blinde oder sehbehinderte Menschen werden vor der Aufführung auf die Bühne geführt und können das Bühnenbild ertasten. Ihr sei wichtig gewesen, die Barrierearmut von Anfang an mitzudenken, sagt Steiner in der Berner Zeitung (Abo): «Es ist längst überfällig, dass sich freie Theatergruppen für kulturelle Teilhabe einsetzen, und wir wollen zeigen, dass es möglich ist.» Das ist hoffentlich ein Weckruf für die etablierten Häuser.
Nora Steiner hat Theaterwissenschaft, Philosophie und Gender Studies studiert. Seit letztem Herbst schreibt sie an der Universität Bern eine Dissertation darüber, wie im Theater «ästhetische und institutionelle Praktiken verknüpft gedacht werden können». Zum Glück bleibt ihr offenbar daneben genügend Zeit, um inhaltlich bereichernde und für viele Menschen zugängliche Stücke umzusetzen.
PS: Wenn bei Schutz und Rettung Bern das Telefon klingelt, steht oft viel auf dem Spiel. Gestern, zum Aktionstag der Notrufnummer 144, gewährte die Notrufzentrale einen Einblick in ihre Arbeit. Auf Twitter protokollierten Mitarbeiter*innen, zu welchen Einsätzen die Rettungsteams ausgerückt waren und beantworteten Fragen aus der Gesellschaft. Es lohnt sich, die Einträge nachzulesen: Zum Beispiel erfährst du, ob du einen Notruf über Facetime machen kannst.