Künstliche Intelligenz – Hauptstadt-Brief #192

Samstag, 1. Juli – die Themen: Stadtrat; GGR Ostermundigen; historischer Prozess; offene Bundesmeile; Überwachungskameras. Kopf der Woche: Christine Wyss.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Ein wichtiger Teil meines Berufs ist das Schreiben, es ist auch eine meiner Lieblingstätigkeiten. Texte so formulieren, dass sie ein Eintauchen ermöglichen, dass im Idealfall mit einer Leichtigkeit auch komplizierte Informationen transportiert werden können.

Seit kurzem glaube ich, dass dieser Teil in nicht allzu weiter Ferne von einer künstlichen Intelligenz übernommen werden kann. Meine Überlegungen wurden durch ein Referat des ehemaligen Berner Datenjournalisten Mathias Born befeuert, das ich diese Woche am Tag des Lokaljournalismus in Luzern gehört habe.

Ich stelle mir diese Übernahme so vor: Ich besuche zum Beispiel einen Anlass, nehme meine Eindrücke darüber auf Band auf, sage, was mir wichtig ist, und lasse die KI daraus einen Text machen. Einen Text, der vielleicht poetischer ist, als ich ihn formulieren könnte, vielleicht auch pointierter, oder lustiger. Natürlich, das kann sie heute noch nicht, doch die KI lernt.

Was bleibt dann von mir? Was bleibt von meinem Beruf?

Ich glaube, immer noch viel. Die KI wird nicht wissen, welche Geschichten erzählt werden könnten und müssten. Sie wird nicht Vorfälle auf der Strasse beobachten oder interessante Gesprächsfetzen aufschnappen und weiterdenken. Sie wird nicht alleine an Anlässe gehen, sie wird nicht mit Menschen sprechen und wenn, wird sie nicht gleich gut wie ein Mensch ihr Vertrauen gewinnen können. Sie wird nicht zwischen den Zeilen lesen können.

Sie kann eine Hilfe sein, mir vielleicht etwas abnehmen, was ich leider selber gerne mag (Texte schreiben), aber hoffentlich nie physische Präsenz, Einordnungsvermögen, spontane Einfälle und Menschlichkeit ersetzen.

Und du, welche persönlichen Hoffnungen oder Sorgen verbindest du mit künstlicher Intelligenz? Schreib mir auf [email protected]

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Nach dem Regen tut sich manchmal ein ganz neuer Blick auf. (Bild: Lilian Salathé Studler)

Und das möchte ich dir mit ins Wochenende geben:

  • Stadtrat: Am Donnerstag hat der Berner Stadtrat getagt. Und ist ausnahmsweise mit allen Traktanden fertig geworden. Welche Belohnung der Stadtratspräsident deswegen gewährt hat, kannst du im Stadtrat-Brief der «Hauptstadt» lesen. Darin geht es auch um Inhaltliches: Der Rat hat unter anderem beschlossen, die Alterslimite des Jugendparlaments zu erhöhen und die Gartenanlage des Erlacherhofs für die Allgemeinheit zu öffnen.
  • Historischer Prozess: Vor 90 Jahren reichten Juden in Bern Klage ein gegen die antisemitischen «Protokolle der Weisen von Zion». Der Prozess erlangte internationale Aufmerksamkeit. Am Berner Regionalgericht fand er aufgrund eines Gesetzesartikels statt, der «Schundliteratur» verbot. Im Kern ging es aber um die Grundsatzfrage: Sind die «Protokolle» tatsächlich ein Produkt von Geheimsitzungen eines mächtigen Zirkels von Juden oder sind sie ein Pamphlet aus der antisemitischen Ecke, das dem Judentum Übermacht und Bösartigkeit nachweisen will? Autorin Hannah Einhaus zeichnet für die «Hauptstadt» den Prozess zwischen Juden und Nazis auf Berner Boden nach.
  • GGR Ostermundigen: Wie erwartet empfiehlt das Ostermundiger Parlament den Stimmberechtigten ein Ja zum Fusionsvertrag mit Bern. Der Entscheid fiel mit 20 Ja- zu 15 Nein-Stimmen. Dagegen waren insbesondere FDP und SVP, auch im Hinblick auf die Finanzsituation der Stadt Bern, wie mein Kollege Joël Widmer berichtet. Der Ostermundiger Gemeinderat will sich weiterhin nicht in den Abstimmungskampf einmischen. Das letzte Wort hat die lokale Stimmbevölkerung am 22. Oktober.
  • Ukraine-Spende: Die Stadt Bern hat 25'000 Franken für humanitäre Hilfe in der Ukraine gespendet. Mit dem Geld soll in erster Linie Familien geholfen werden, die aufgrund des Khachowka-Dammbruchs und der dadurch ausgelösten Flut am Dnepr in die Küstenstadt Odessa geflüchtet sind. Die Stadt spendet das Geld der Organisation Human Front Aid, die Opfer des russischen Angriffskriegs in der Ukraine unterstützt, wie der Berner Gemeinderat gestern mitgeteilt hat.
  • Offene Bundesmeile: Das ganze Jahr über gibt es Veranstaltungen zu 175 Jahren Bundesverfassung. Dieses Wochenende steht der grosse Volksanlass an. Quasi die Charmeoffensive der manchmal etwas trocken wirkenden Bundesangestellten: In Bern sind alle Bundesbauten geöffnet. Und ein Zugticket zur nationalen Politik und zurück nach Hause kostet aus allen Orten der Schweiz höchstens 17.50 Franken. Zu den offenen Gebäuden gehören nicht nur das Bundeshaus, sondern etwa auch die Nationalbank, das Bellevue Palace oder der Erlacherhof, der erste Sitz des Bundesrats. Und: Auch das «Chalet Fédéral», das Sitzungszimmer des Bundesrats im Bundeshaus West, ist offen und für ganz normale Menschen zu besichtigen.
  • Überwachtes Bundeshaus: Der Bund will 20 neue Überwachungskameras rund um das Bundeshaus installieren. Das geht aus einer Baupublikation hervor, wie BZ/Bund (Print) heute schreiben. Die Offensive folgt auf zwei Vorfälle früher im Jahr. So war ein Jugendlicher unbehelligt auf das Bundeshaus geklettert, zudem hatte es einen Bombenalarm gegeben, worauf das Parlament in einem Grosseinsatz evakuiert werden musste. Die Einsprachefrist gegen die Überwachungskameras läuft bis am 28. Juli.
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Kopf der Woche: Christine Wyss

Das Buskers feiert im August sein 20-Jahr-Jubiläum. Gründerin ist Christine Wyss, die 2004 gemeinsam mit ihrer Schwester Lisette das erste Strassenmusikfestival in Bern ins Leben gerufen hat. Mit ihrer charmanten und zugleich schlagfertigen Kommunikation sei die Co-Leiterin des Festivals über die Jahre zum unverkennbaren Sprachrohr des Buskers geworden, schreibt die Berner Public Relations Gesellschaft (BPRG). Aus diesem Grund erhielt sie diese Woche den Berner Kommunikationspreis, den die BPRG jährlich vergibt.

Ihre «schlagfertige Kommunikation» stellte die 54-jährige Wyss auch letzthin unter Beweis, als sie sich in Bund/BZ über die Terminkollision mit einem Patent Ochsner Konzert echauffierte. Die Band spielt das letzte von sieben Konzerten auf dem Sportplatz Schwellenmätteli am ersten Tag des Buskers. Für Wyss kommt der gleichzeitige Anlass ungelegen. Nicht nur, weil er das Buskers möglicherweise Publikum und Einnahmen kosten wird, sie fürchtet auch akustische Überschneidungen und Zaungäste auf der Münsterplattform. Das hätte man vermeiden können, spricht sie im Medienbericht Klartext. Kein Wunder, wurde sie vor Jahren in einem Porträt als «das auch mal aufbegehrende Organisationstalent» bezeichnet.

Und ein Organisationstalent ist Christine Wyss. Letztes Jahr zählte das Buskers beeindruckende 65’000 Besucher*innen, dabei hatte das Festival in den beiden Jahren zuvor pandemiebedingt nicht stattfinden können. Das Buskers ist ein Publikumsanlass, der aus Bern nicht mehr wegzudenken ist – und der ganz stark mit der Person von Christine Wyss verbunden ist. (avd/bol)

PS: Der Längmuurspielplatz wird 50 Jahre alt und feiert das mit einem grossen Fest. Es gibt Musik (Ueli Schmezer und Tomazobi), Theater (Dr Muuwurf mit em Gagi ufem Chopf), einen Flohmi und natürlich ganz, ganz viele Spiele. Herzliche Gratulation und frohes Fest!

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