Das Bundeshaus sprengen für die Demokratie?
Kulturkritik #5 – Braucht Demokratie ein Update? Welche Zukunftsperspektiven gibt es dazu? Die Ausstellung «Sammeln. Reden. Entscheiden. – Orte der Demokratie» im Kornhausforum Bern stellt kontroverse Fragen zu dieser Regierungsform.
Wie die Arme einer Krake ragen WLAN-Accesspoints aus einem Ständer. Jede Menge Kabel winden sich blinkend unten aus der Apparatur hinaus. Beim Betreten der Kornhausgalerie werden die Besucher*innen durch diese wirre Gerätschaft begrüsst.
Die Installation nennt sich «Packetbrücke» und wurde von den Künstlern Bengt Sjölen und Gordan Savičić entworfen. Die «Intervention im Raum und auf dem Smartphone» bringt WiFi-Netzwerke aus Berlin, Seoul und Ljubljana nach Bern. Damit kann unseren Smartphones vorgegaukelt werden, nicht in Bern zu sein. Und tatsächlich, ein Blick auf Google Maps zeigt: Die WiFi-Netzwerke verwirren die Ortungsdienste des eigenen Smartphones. Der kleine blaue Punkt, der den eigenen Standort markieren sollte, bewegt sich von Bern weg und kommt dann wieder näher.
«Packetbrücke» ist Teil der Ausstellung «Sammeln. Reden. Entscheiden. – Orte der Demokratie», welche zurzeit im Kornhausforum zu betrachten und in Zusammenarbeit mit dem Politforum Bern entstanden ist.
«Packetbrücke» stellt die Frage: Wenn mithilfe von digitalen Mitteln unser Standort nicht mehr genau bestimmt werden kann, ist es dann noch zeitgemäss, dass Demokratie orts- und herkunftsgebunden funktioniert?
Die Ausstellung versucht einen Blick in die Zukunft zu werfen: Wie kann Digitalisierung demokratische Prozesse verändern? Können Design und Architektur diese Prozesse positiv beeinflussen?
Von Krake zu Krake
Wer sich von der krakenartig anmutenden Installation wegbewegt, kann sich beim nächsten Ausstellungsstück mit Datenkraken beschäftigen. Denn grosse Techkonzerne wie Google oder Meta (ehemals Facebook) überlassen mit ihren Algorithmen fast nichts dem Zufall. Begegnungen und Diskussionen finden nur noch in der eigenen Meinungsblase statt – soweit, so bekannt. Doch die demokratisch organisierte Plattform «Commonity» liefert Abhilfe. Eine physische Münzwurf-Maschine, die «Daumenregel», mischt die Karten der Algorithmen täglich zufällig neu und ermöglicht einen Austausch verschiedener Meinungen auch in der digitalen Welt – so zumindest im utopischen und spannenden Zukunftsszenario von «Dezentrum» in Zusammenarbeit mit «Studio Porto». Doch nicht alles davon ist Zukunftsmusik, die «Daumenregel» lädt im Kornhausforum jetzt schon alle Besucher*innen zum Münzwurf ein.
Radikale Umgestaltungsmethoden
Ein paar Stationen weiter beschäftigt sich die Ausstellung mit demokratiefreundlicher Architektur. Sich darunter etwas Konkretes vorzustellen, ist nicht ganz einfach.
Ein Vorschlag thematisiert die Umgestaltung eines Platzes mit äusserst symbolischem Charakter für das Schweizer Demokratiemodell – dem Landsgemeindeplatz in Glarus. Dieser führt – wenn nicht gerade die namensgebende Veranstaltung stattfindet – ein eher unschönes Dasein als Parkplatz. Wie einst auch beim Bundesplatz in Bern soll dies laut eines Vorschlags der «IG Zaunplatz Tiefgarage» geändert werden. Das Beispiel aus Bern zeigt, das Ganze ist eine vielleicht gar nicht so unrealistische Utopie.
Etwas radikalere Umgestaltungsvorschläge für den Bundesplatz kommen in der computeranimierten Videoinstallation «Europe/Eu-topia» von «Johnson/Kingston» vor. Wir befinden uns weit in der Zukunft, die Landesgrenzen in Europa wurden aufgelöst, Parlamente und Minister*innen gibt es keine mehr, denn mithilfe von digitalen Mitteln können alle in Europa wohnhaften Menschen direkt- und basisdemokratisch mitbestimmen. Deswegen werden die alten Parlaments- und Regierungsgebäude nicht mehr gebraucht – das Video simuliert eine Debatte, bei der diskutiert wird, was mit dem Bundeshaus geschehen soll. Einer der Charaktere im Video findet, dass man dafür keine Verwendung habe und das Gebäude abgerissen werden solle.
Parallelen zu Mani Matters Lied «Dynamit» kommen einem in den Sinn. Der Protagonist des Liedes trifft auf jemanden, der das Bundeshaus mit Dynamit in die Luft sprengen will. Der Protagonist will dies verhindern und hält der Person eine Rede, die «es Ross patriotisch hätt gmacht.»
Dies wird an dieser Stelle nicht passieren. Auch den Protagonisten des Liedes befallen schon am nächsten Tag Zweifel, ob seine patriotische Lobpreisung gerechtfertigt war.
Dennoch bleibt die Zuversicht, dass wir es schaffen, Demokratie partizipativer und inklusiver für alle zu gestalten, ohne dass zu Dynamit gegriffen werden muss. Denn – und das zeigt die Ausstellung sehr genau – genügend Raum für Verbesserungen gibt es allemal.
Die Ausstellung wirft Fragen auf, ohne den Anspruch zu haben, diese zu beantworten; sie bringt einem Konzepte näher, ohne diese mit real existierenden Beispielen zu verbildlichen. Die Gefahr besteht, mit vielen Fragen und wenigen Antworten aus dem Kornhausforum zu laufen.
Die Ausstellung «Sammeln, Reden, Entscheiden – Orte der Demokratie» ist noch bis zum 01. Mai im Kornhausforum Bern zu sehen.