Ein vierzigjähriges Versteckspiel

Der Dokumentarfilm «Im Land der verbotenen Kinder» von Jörg Huwyler und Beat Bieri gibt Einblick in die Leben italienischer Saisonniers und deren Kinder, die sich zuhause vor der Fremdenpolizei verstecken mussten.

Illustration Kulturkritik
(Bild: Jörg Kühni)

Eine Szene am Bahnhof. Saisonniers fahren nach neun Monaten harter Arbeit in ihre Heimat zurück, zu Kindern und Familie, blau glitzerndem Meer und grünen Hügeln im Süden. Die Männer wirken glücklich, erleichtert. Sie lachen und winken in die Kamera. Nur zwei, drei starren mit hartem Blick in die Linse. Ihre Gesichter nehmen einen mit, zurück in die Vergangenheit.

1950-1970: Durch den steigenden Export ins Ausland erlebt die Schweiz einen wirtschaftlichen Aufschwung, sie benötigt neue Arbeitskräfte . Diese werden vorwiegend aus Italien, Spanien und Portugal geholt und dürfen für neun Monate bleiben. Nach Ablauf ihrer Arbeitszeit reisen sie zurück in ihr Heimatland. Für die harte Arbeit werden die Saisonniers schlecht bezahlt. Sie schlafen in unhygienischen und viel zu kleinen Unterkünften zum Teil zu acht nebeneinander. Ihnen ist untersagt, ihre Kinder mitzubringen. Das bleibt bis 2002 so.

Italienische Saisonniers auf dem Nachhauseweg nach neun Monaten harter Arbeit.
Die Saisonniers kehren zurück zu ihren Familien. (Bild: Filmstill aus «Im Land der verbotenen Kinder»)

Zwischen 1950 und 2002 leben 50’000 Kinder illegal in Wohnungen in der Schweiz. Es sind sogenannte «Schrankkinder». Verbotene Kinder. Die eigentlich nicht in der Schweiz sein sollten. Der Dokumentarfilm von Jörg Huwyler und Beat Bieri erzählt die Geschichten dieser Kinder. Sie sind nun erwachsen und haben ihr eigenes Leben in der Schweiz aufgebaut. Doch trotzdem holen sie Bilder von vor sechzig Jahren zurück in ihre versteckte und traumatisierende Kindheit.

Stimmen um Stimmen

Die Schwarzweiss-Aufnahmen auf der Leinwand weichen einem Bild der heutigen Zeit: Eine vorbeiziehende, grüne Landschaft aus einem Autofenster gefilmt. Am Steuer sitzt Luigi Fragale. Ein ehemaliges «Schrankkind». Zwei Jahre lang versteckt er sich in einer kleinen Wohnung, kommt selten bis nie ans Tageslicht, darf sich nicht verletzen, da er nicht krankenversichert ist und lebt in ständiger Angst vor dem Klingeln an der Türe. Wenn die Fremdenpolizei kommt, das weiss er, muss er innerhalb von 24 Stunden seine Sachen packen und wird zurück nach Italien verwiesen.

«Man ist da, aber nicht wirklich da», erzählt Luigi Fragale, während er an diese zwei Jahre in ständigem Versteckspiel denkt. Der Italiener ist nicht der einzige, dem es so geht: In dem Dokumentarfilm «Im Land der verbotenen Kinder» erzählen auch die Spanierin Aurora Pacheco und der Italiener Fernando d'Amico von ihren traumatisierenden Erlebnissen und einer gestohlenen Kindheit.

Neben den Porträts der Saisonnier-Kinder versucht der Dokumentarfilm auch die sozialpolitische Situation dieser Zeit einzufangen. Etwa mit der Erwähnung der Schwarzenbach-Initiative gegen Überfremdung von 1970 oder mit dem Aufzeigen der unfairen Verhältnisse zwischen Arbeitgeber*innen und den Saisonniers. Die beiden Regisseure Jörg Huwyler und Beat Bieri stützen sich dabei auf Quellen wie etwa Berner Psychologin Marina Frigerio, die sich als Buchautorin und Wissenschaftlerin intensiv mit italienischen Einwanderer*innen in die Schweiz befasst hat.

Das Gefühl, das bleibt

Es ist das Protestschild eines kleinen Jungen, auf dem steht «Voglio restare con il mio papa» («Ich möchte bei meinem Papa bleiben») oder es sind die stillen Tränen, die den Porträtierten über die Wangen fliessen. Es ist das Wechselspiel zwischen alten Schwarzweiss Aufnahmen und farbigen Bildern der heutigen Zeit. Und es sind die Momente, in denen die Protagonist*innen in ihrer Muttersprache sprechen und ihre Kindheit erneut durchleben.

Ein Saisonnier-Kind protestiert auf der Strasse in den 1970er Jahren mit dem Schild «Voglio restare con il mio papa»
In den 1970er Jahren protestieren die Saisonniers und ihre Familien für ihre Rechte. (Bild: Filmstill aus «Im Land der verbotenen Kinder»)

Das Thema, das sich Bieri und Huwyler ausgesucht haben, ist gross. Zu beachten gibt es vieles: die politische Lage, die geschichtliche Richtigkeit, die sozialen Reibungen, die psychologischen Auswirkungen und schlussendlich die persönlichen Geschichten, die ja eigentlich im Zentrum der Dokumentation stehen. Doch leider geraten diese bei den vielen Zeitsprüngen und unterschiedlichen Expert*innen und Zeitzeug*innen, die in den 88 Minuten zur Sprache kommen, etwas in den Hintergrund. Wer selber nicht viel über die Schweizer Migrationsgeschichte weiss, kommt am Ende zwar berührt, aber auch etwas verwirrt aus dem Kinosaal.

Kommenden Samstag, 8.April, läuft «Im Land der verbotenen Kinder» um 12 Uhr im Kino Rex in Bern. Der Film wird ausserdem in einer gekürzten Version bei DOK vom Schweizer Fernsehen ausgestrahlt werden - der genaue Sendetermin ist noch nicht bekannt.

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