Die Idee gehört mir

Die eigene Erfindung schützen lassen oder doch nicht? Viele Startup-Gründer*innen stehen vor dieser Frage, bei der nicht nur Kosten eine Rolle spielen.

Ileve Scharnier
Simon Krähenbühl
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Für Industriedesigner Simon Krähenbühl begann die Patentierung noch vor der eigentlichen Unternehmensgründung. (Bild: Danielle Liniger)

Der Sparschäler. Die Nespresso-Kapsel. Oder LSD. Alles Schweizer Erfindungen – das wissen wir spätestens seit der ESC-Darbietung von Sandra Studer und Hazel Brugger. Da die Schweiz nicht mit Bodenschätzen gesegnet ist, kam es immer wieder darauf an, erfinderisch zu sein. Bis heute. 

Die Anzahl der Patentanmeldungen aus der Schweiz beim Europäischen Patentamt (EPA) bewegte sich 2024 gar auf Rekordniveau. Gemessen an ihrer Einwohnerzahl war die Schweiz bei den Patenten weltweit führend. Doch was ist überhaupt ein Patent und was muss ein Startup unternehmen, um eines zu beantragen? 

Ortstermin beim Institut für Geistiges Eigentum (IGE). Dass Patente in diesem Land eine derart zentrale Rolle spielen, lässt sich dort nur schwer erahnen. Der Hauptsitz liegt im Wylerareal, eingeklemmt zwischen Autobahn und Armeeeinrichtungen am äussersten Rand der Stadt. 

Simon Strässle ist bei der bundesnahen Einrichtung Co-Leiter ad interim der Patentabteilung und führt durch den gläsernen Bau. In Vitrinen schlummern Modelle von Schweizer Erfindungen – in einer Ecke springt einem ein Porträt Albert Einsteins ins Auge, der in seiner Berner Zeit ebenfalls beim damaligen Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum tätig war. Über hundert Jahre ist das her, an der Definition eines Patents hat sich aber im Grunde nichts geändert. 

Einsteins Erben

«Ein Patent ist ein Handel zwischen Gesellschaft und Erfinder*in», erklärt Strässle. Der oder die Erfinder*in offenbart der Öffentlichkeit die Erfindung und kann im Gegenzug damit rechnen, ein Patent zu erhalten, um gegen Nachahmer*innen vorgehen zu können.

Oder wie Strässle es ausdrückt: «Man hat etwas in der Hand, um gegen Trittbrettfahrer vorzugehen». Vorausgesetzt, sämtliche Gebühren werden gezahlt. Doch dazu später mehr. 

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Was taugt die Erfindung und sollte sie geschützt werden? Hier muss ein Brillenscharnier einen Test überstehen. (Bild: Danielle Liniger)

Die Idee wird so als geistiges Eigentum verwertbar  – und das für maximal 20 Jahre. Danach erlischt das Patent automatisch. Bis es soweit ist, können alle Interessierten eine Art Bauplan der Erfindung in einer Datenbank einsehen und gegebenenfalls weiterentwickeln. Hierbei ist das IGE die zentrale Anlaufstelle des Bundes in Fragen des Geistigen Eigentums.

Was sich nach staubtrockenen bürokratischen Vorgängen anhört, entpuppt sich als äusserst lebendig, wenn ein Unternehmensgründer von seiner Erfindung und dem Weg zum Patent erzählt. Telefonanruf bei Simon Krähenbühl.

Krähenbühl liebt Velofahren. Das geht besser mit gut sitzenden Brillen. Das bestehende Angebot stellte ihn allerdings nicht zufrieden. Einer der Nachteile: Brillen halten im ausgeklappten Zustand ihre Form nicht und rutschen von der Nase. Der Berner begann zu tüfteln und entwickelte ein Scharnier, das einrastet. Das war 2017.

Neuartiges Brillenscharnier

Der gelernte Industriedesigner arbeitete damals noch hauptberuflich in der Produktentwicklung eines grossen Sanitärunternehmens. Er stellte sich zwei Fragen, die wohl vielen Menschen durch den Kopf gehen, wenn sie mit einer Unternehmensgründung liebäugeln: Sollte ich meine Entwicklung schützen lassen? Und welche Bedeutung hat diese Frage für mein späteres Unternehmen? 

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Krähenbühls Firma ist sowohl im Bereich der Korrekturbrillen als auch Sportbrillen unterwegs. (Bild: Danielle Liniger)

Ein Anruf bei einer Bekannten, die sich im Bereich des geistigen Eigentums auskannte, lieferte Krähenbühl eine wichtige Erkenntnis: Das Scharnier schien es in dieser Form tatsächlich noch nicht zu geben – eine spätere umfassende Patentrecherche, bei der sämtliche Register durchforstet werden, gab darüber schliesslich ausreichende Sicherheit. Diese Recherche kann bei der Entscheidungsfindung helfen, ob überhaupt ein Patent angemeldet werden soll. Aber sie kostet Geld, insbesondere wenn dafür spezialisierte Anwält*innen beauftragt werden.

Patentieren – eine Abwägung

Ein Patent bedeutet deshalb für Gründer*innen häufig, dass sie in Vorleistung treten müssen und somit eine Wette eingehen: Lohnt sich meine Patentierung auch wirtschaftlich? Sprich: Bekomme ich das Geld, das ich am Anfang ausgeben muss, später durch den Verkauf meines Produkts wieder rein? 

Krähenbühl entschied sich, diese Wette einzugehen und musste zu Beginn rund 20’000 Franken aus seinem Ersparten zahlen. Patent-Experten wie Strässle weisen darauf hin, dass diese Anfangsinvestition nicht immer so hoch ausfallen muss.

Später kam für Krähenbühl nochmals der gleiche Betrag oben drauf, um die Erfindung nicht bloss in der Schweiz, sondern auch in verschiedenen anderen Ländern schützen zu lassen. Dieses Geld ging unter anderem an Übersetzer*innen. Die Amtsgebühren machen davon nur einen geringen Teil aus – sie bewegen sich im Bereich von rund 700 Franken.

Neu oder nichtig

Ein Patent ist nicht nur kostspielig, sondern auch zeitintensiv. Da es sich um eine sehr präzise juristische Abgrenzung handelt, kann es von Anmeldung bis Gewährung drei bis fünf Jahre gehen.

Vereinfacht gesagt, geht es darum zu beschreiben, was bereits bestand und was neu hinzukommt. Experte Strässle vom IGE sagt: «Ein Patent sollte beschreiben, wo die Erfindung etwas Neues und Erfinderisches schafft.» Neu bedeutet in dem Zusammenhang: der Öffentlichkeit noch nicht bekannt, erfinderisch, dass die Erfindung für eine Fachperson nicht naheliegend ist. 

Für Gründer wie Simon Krähenbühl hat das handfeste Konsequenzen. So stolz er auf seine Erfindung auch war, musste er sie zunächst geheim halten. «Hätte ich zum Beispiel vor der Anmeldung auf Instagram ein Foto des Scharniers geteilt, hätte das eine Patentierung unmöglich gemacht.» Denn dann wäre die Erfindung im Sinne des Patentrechts nicht mehr neu gewesen.

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Ein leichtfertig auf Social Media geteiltes Produktfoto kann eine Patentierung bereits unmöglich machen. (Bild: Danielle Liniger)

Eine weitere wichtige Devise des Patentrechts: Nachträglich ist schwierig. Umso gewissenhafter muss man vorgehen. Die Erfindung muss so umfassend beschrieben sein, dass sie nachgebaut werden kann. Ähnliches gilt auch für die Länder, in denen der Schutz gelten soll. Während der Anmeldephase gibt es ein Zeitfenster von einem Jahr, in denen der oder die Patentantragsteller*in entscheiden muss, wo die Erfindung patentiert werden soll. Nachträglich ein Land hinzuzufügen, ist nicht möglich.

Weitblick gefragt

Kein leichtes Unterfangen also: «Man muss sich bereits im Klaren sein, wo man sein Produkt verkaufen möchte, noch bevor es eigentlich zu Ende entwickelt ist», sagt Krähenbühl. Er und Geschäftspartnerin Silvia Nadenbousch hatten bei der Patentbeantragung sogar noch nicht einmal ihr Unternehmen Ileve Optics gegründet, das heute seinen Sitz im Bernapark in Stettlen hat. Dementsprechend kam auch die Frage der Ausweitung des Patents auf verschiedene Länder einer Wette gleich. Immerhin erleichtert die Existenz des europäischen Patentamts in München die Angelegenheit ein wenig, weil so über eine Anlaufstelle für einen ganzen Wirtschaftsraum Schutzrechte beantragt werden kann. 

Inhaber*innen zahlen für ihre Patente ab dem vierten Jahr nach Anmeldung Gebühren, die jährlich ansteigen: «Dieser Mechanismus sorgt dafür, dass ein Patent nur dann aufrecht erhalten wird, wenn auch wirklich ein Interesse besteht», so Experte Strässle. Krähenbühl muss diese Gebühren seit 2022 auch zahlen.

Klage kann ins Geld gehen

Ob Krähenbühl seine Erfindung, trotz aller Ausgaben und Mühen, wieder patentieren lassen würde? Das ist nicht nur eine Frage des Stolzes. Für Startup-Gründer*innen wie ihn spricht einiges für eine Patentierung: Mit einem patentierten Produkt lassen sich besser Investor*innen vom eigenen Unternehmen überzeugen. Ausserdem gehört ein Patent zum Unternehmensbesitz und steigert womöglich den Verkaufswert der Firma. Der 39-Jährige findet: «Die Patentierung lässt sich auch als ein Gütesiegel für Marketingzwecke nutzen.»

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Tüftelt er schon an der nächsten Erfindung? – Simon Krähenbühl in seinem Atelier. (Bild: Danielle Liniger)

Beim eigentlich so zentralen Punkt des Ideenschutzes fällt das Urteil des Unternehmers dagegen weniger deutlich aus. Zwar könne er auf dem Papier sicher sein, dass ihnen ihre Erfindung niemand wegschnappe. In der Praxis müsste er aber zunächst das Geld aufbringen, um gegen eine Verletzung des eigenen Patents vorzugehen. 

Keine Selbstverständlichkeit für ein kleines Unternehmen mit 2,5 Vollzeitstellen. Er gibt ausserdem zu bedenken: Eine Kopie vor Ablauf des Patents könne unter gewissen Umständen auch eine Art Ritterschlag sein, weil sich die eigene Erfindung im Markt bewiesen hat. Und diese für den Erfinder, trotz Kopie, genügend Geld in die Kassen spült.

Patentexperte Strässle vom IGE betrachtet die Frage der Patentierung noch von einer anderen Warte aus: Auch die beste Erfindung müsse nicht zwingend patentgeschützt werden. Sie können auch als Betriebsgeheimnis im Unternehmen bleiben – und nur im Verborgenen im Einsatz sein. «Aber wenn einem Produkt die Erfindung schon von aussen anzusehen ist, könnte eine Patentanmeldung interessant sein», so Strässle.

Vielleicht ist das also die Zauberformel des Erfindertums: Schöpfe neu und schütze, wenn es nötig wird.

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