Nuggets aus dem Nebenstrom

Das Nebenprodukt der Tofuproduktion in ein Geschnetzeltes verwandeln – ein Bümplizer Start-up macht genau das. Kann es sich in der hart umkämpften Branche für Fleischalternativen behaupten?

Impressionen aus der Produktion von Luya fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Geschnitten, schockgefroren und bald auf dem Teller: Einblick in die Luya-Produktion. (Bild: Manuel Lopez)

Wäre das Berner Kleefeld ein Teller, so lägen sehr abwechslungsreiche Speisen auf ihm: eine Moschee, Kleingewerbe, Einfamilienhäuser, Verkehrsachsen und Brockenstuben. Und mittendrin: Luya Foods, ein Start-up, das sich in einer alten Schokoladenfabrik eingemietet hat. «Hier war schon vieles auf die Lebensmittelproduktion ausgerichtet – das ist praktisch für uns», sagt Nina Schaller, die eine der Co-Founder*innen von Luya ist und zugleich als Co-CEO amtet.  

Sie führt an diesem Dienstagmorgen durch die Produktionsanlagen. Anstatt Schokoladentafeln laufen seit 2022 fermentierte, pflanzenbasierte Nuggets und Geschnetzeltes vom Band. Und statt Akkordarbeit gibt es Start-up-Vibe: Alle helfen einander, was manchmal auch der Not geschuldet ist. Eine Mitarbeiterin aus dem Sales-Bereich springt an diesem Tag für eine erkrankte Kollegin ein und packt Kisten für die Auslieferung. Der Co-Founder Tobias Kistler muss nebenan ein Problem an der Schneidemaschine beheben. 

Die Geschichten von Start-ups scheinen häufig auf vorgezeichneten Bahnen zu verlaufen: Gründer*innen mit guten Ideen und Ausdauer treffen auf mutige Investor*innen – das Produkt oder die Dienstleistung geht durch die Decke oder gerät schon bald in Vergessenheit.

Luya Foods zeigt, dass die Realität facettenreicher ist. Als es 2021 startete, waren Jungunternehmen aus dem sogenannten Foodtech-Bereich nicht nur sprichwörtlich in aller Munde. Kebab, Lachs, Meeresfrüchte – kein tierisches Lebensmittel, zu dem nicht ein pflanzliches Pendant entwickelt wurde. Planted aus Zürich gelang es, mit pflanzenbasierten Fleischersatzprodukten zum besten Schweizer Start-up gewählt zu werden. Es ist unterdessen zum Aushängeschild der Branche geworden.

Tofu-Abfall oder kostbares Gut?

Mittlerweile ist der Hype vorbei, aber Luya noch da. Das Unternehmen ging innerhalb der entstehenden Industrie für pflanzenbasierte Fleischalternativen einen eigenen Weg. Luya hat sich auf die Fahnen geschrieben, keine verarbeiteten Fleischimitate zu produzieren und stattdessen auf die Fermentation zu vertrauen. Mitverantwortlich ist dafür Co-Gründer Tobias Kistler. Er hat sich an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen mit einem Teil der Lebensmittelproduktion beschäftigt, der zuvor nur wenig Aufmerksamkeit bekam: der Nebenstrom. 

Tobias Kistler von Luya fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Tobias Kistler legt die fermentierte Kircherbsen-Okara-Mischung auf die Schneidemaschine. (Bild: Manuel Lopez)

Damit bezeichnen Lebensmitteltechnolog*innen jene Bestandteile im Herstellungsverfahren, die im schlimmsten Fall weggeschmissen oder im besten Fall in einer Biogas-Anlage landen. Experten gehen davon aus, dass ein Drittel aller Lebensmittel in der Schweiz zwischen Feld und Teller verloren gehen. Einen bedeutenden Anteil daran hat die Lebensmittelverarbeitung mit ihren Nebenströmen. Bei der Tofuproduktion fällt Okara, das Fruchtfleisch der Sojabohne, als Nebenstrom an. Die Luya-Gründer*innen fanden heraus, dass sie Okara mit Kichererbsen mischen und anschliessend fermentieren können, um so zu einer «saftigen, vollwertig veganen Proteinquelle» zu kommen, wie sie sagen. Luya-Produkte sind deshalb häufig im Sortiment der Tofuprodukte zu finden und nicht bei den Fleischalternativen.

Wird der Nebenstrom bald zum Hauptstrom? 

«Das Unternehmen Upgrain verwendet beispielsweise Biertreber aus der Brauindustrie», sagt Christoph Denkel. Er ist Professor für Lebensmitteltechnologie an der HAFL – einer der Luya-Gründer war in seiner Forschungsgruppe. Denkel kommt bei der Nebenstrom-Nutzung ausserdem das Unternehmen Eggfield in den Sinn, das Hülsenfruchtextrakt als Basis nutzt, um Eier zu ersetzen. Es beliefert damit beispielsweise das Restaurant Tibits.

Die Forschung sei in dem Bereich intensiviert worden, weil sich im Ernährungssektor viel CO2 einsparen lasse, so Denkel. Zugleich sorge die zunehmende Nutzung von pflanzlichen Proteinquellen – nicht nur Soja – für neue Herausforderungen, weil neue Nebenströme entstünden. Und für diese müssten noch «zufriedenstellende Lösungen» entwickelt werden. Er geht davon aus, dass sich die Lebensmittelindustrie vom alten Schema des Hauptstroms und zu vernachlässigenden Nebenstroms peu à peu verabschieden wird. Die Zukunft gehöre mehreren «Teilhauptströmen» bei denen man die Endnutzung schon mitdenkt.

Luya gibt an, seit 2021 rund 23 Tonnen Okara «gerettet» zu haben.  Anfangs sei es nicht leicht gewesen, Okara in einem «lebensmittelechten» Zustand zu bekommen, sagt Kistler. Es war schlicht noch nicht vorgesehen, Okara als Nahrungsmittel weiterzuverarbeiten. Mittlerweile wird es noch warm in Bümpliz angeliefert. Aus einer Fahrdistanz von höchstens einer Stunde, wie Kistler betont.

Nina Schaller von Luya fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Leitete in einem früheren Job bei Sprüngli Marketing und Kommunikation: Nina Schaller. (Bild: Manuel Lopez)

In der Produktionshalle in Bümpliz zeigt Co-CEO Nina Schaller, wie Luya-Geschnetzeltes gesalzen und schockgefroren wird. Derzeit kann Luya mit 19 Mitarbeiter*innen – darunter einige im Stundenlohn – rund 400 Kilo pro Tag produzieren. Ausreichend Okara ist dafür bislang in der Schweiz vorhanden. Doch Luya befindet sich zugleich im Austausch mit einem der grössten Tofu-Hersteller Europas. 

Investoren haben Appetit auf Luya

Das liegt auch daran, dass Luya expandieren will. Denn obwohl sich Start-ups bei der Finanzierung schwerer tun als auch schon, konnte das Bümplizer Unternehmen in diesem Sommer über fünf Millionen Franken bei Investor*innen einsammeln. «Das gibt uns Luft für die nächsten anderthalb bis zwei Jahre», sagt Schaller. Um die Erwartungen der Geldgeber*innen erfüllen zu können, muss Luya nicht nur international punkten, sondern auch im Schweizer Markt schwarze Zahlen schreiben. Das soll bis Ende 2025 gelingen.

Impressionen aus der Produktion von Luya fotografiert am Dienstag, 29. Oktober 2024 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Durch die Fermentation verändert sich die Konsistenz und es entsteht der Umami-Geschmack. (Bild: Manuel Lopez)

Schaller, die sich um den Vertrieb kümmert, ist deshalb mit Detailhändler*innen und Grossist*innen im Austausch. Landet man im Sortiment, und wenn ja, an welchem Platz? Bislang ist Luya im Coop zu finden. Das Unternehmen beliefert ausserdem Restaurants, Kantinen und Spitäler. Luya profitiert einerseits davon, dass durch Unternehmen wie Planted das Bewusstsein für Fleischalternativen gewachsen ist. Zugleich will es sich aber auch von ihnen abgrenzen.

Denn viele der Plant-Based-Alternativen seien «ultra verarbeitet, aus Protein Isolaten und mit Zusatzstoffen und künstlichen Aromen versehen», so Schaller. Luya greife hingegen nur auf Bio-Hülsenfrüchte und die natürliche Fermentation zurück. Diese Technik mutet recht simpel an, benötigt allerdings einen Pilz, um dessen Wohlergehen man sich kümmern muss, und der dem Okara und Kirchererbsen beigemischt wird.

Die Gründer*innen von Luya wollen es bei der Nebenstromnutzung nicht nur bei Okara belassen. Der Presskuchen aus der Sonnenblumenöl-Gewinnung steht ganz oben auf ihrer Liste, weil er sehr proteinreich ist.

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