Turnhalle auf Neustart
Die alten Betreiber veranstalten noch bis Ende Jahr Events. Ab Februar 2024 übernimmt die Stiftung Progr die Café-Bar Turnhalle. Was sind die konkreten Pläne des Progr und wie steht es um die Clubkultur?
«Tschüss total» steht gross auf den Leuchtbuchstaben im Innenhof des Progr. Der Turnhalle-Betreiber Après Soleil GmbH veranstaltet seine letzten Events. Am 29. Dezember ist Schluss. Fast 20 Jahre haben die privaten Betreiber die Café-Bar Turnhalle betrieben, obwohl sie zuerst nur als Zwischennutzung angedacht gewesen war. Im Januar räumen sie auf, bevor die Stiftung Progr die Turnhalle übernimmt und am 10. Februar wieder eröffnet.
In den letzten 20 Jahren ist die Turnhalle eine Bar für alle geworden. Am Nachmittag oder am Sonntag treffen sich Familien. Im unteren Stock hat es Spielzeuge für die Kleinen. Abends ist sie der Treffpunkt für Junge und Junggebliebene. Mit zwei Innenbars und einem grossen Aussenbereich, der auch im Winter sehr belebt ist, zieht sie viele Menschen jeden Alters an, in der Nacht finden oft Tanzveranstaltungen statt. Allzu spät muss man da gar nicht mehr versuchen, reinzukommen, oft sind sie schon ausverkauft.
Der Progr will mit der Übernahme der Turnhalle mehr Kultur und Vernetzung im Haus fördern. Das Geld, das in der Turnhalle eingenommen wird, soll auch wieder in die Kultur fliessen, sagte Geschäftsführerin Silvia Hofer einst zur «Hauptstadt».
Deshalb hat der Progr vor zwei Jahren den Mietern der Turnhalle gekündigt, um die Turnhalle ab 2023 selbst zu betreiben. Die Après Soleil GmbH wehrte sich gegen die Kündigung, woraufhin beide Parteien sich aussergerichtlich einigten, dass die Après Soleil GmbH bis Ende Januar 2024 in der Turnhalle bleiben kann, um ihr 20-jähriges Jubiläum feiern zu können.
Diese Feier haben die Betreiber nun vorverlegt, um genug Zeit zu haben, den Betrieb im Januar herunterzufahren. «Ein neues Geschäftsjahr nur für wenige Tage im Januar zu eröffnen, lohnt sich nicht mehr und nach 20 Jahren hat sich vieles angesammelt», schreibt Michael Fankhauser, Co-Betriebsleiter der Après Soleil GmbH, auf Anfrage.
Improvisieren und ausprobieren
Was passiert aber im Januar in der Turnhalle? Trotz der Aufräumarbeiten der Après Soleil GmbH im Januar finden das Norient Festival und die Konzerte von Veranstalter Bee-Flat in der Turnhalle statt – «unter improvisierten Bedingungen», so Urs Emmenegger, Veranstaltungsleiter des Kulturhauses Progr.
Improvisiert wird auch nach der Neueröffnung. Zwischen der Raumübergabe am 31. Januar und der Neueröffnung am 10. Februar liegen nur zehn Tage, in denen der Progr die leere Turnhalle neu einrichtet. Der Grund dafür ist auch wirtschaftlicher Natur: Die Stiftung ist auf die Einnahmen aus der Progr-Turnhalle angewiesen. Und die Konzerte des Veranstalters Bee-Flat sollen den gewohnten Rhythmus wieder aufnehmen können. Das führe dazu, dass die Turnhalle in den ersten Monaten noch etwas improvisiert sein werde, so Emmenegger. Worin er aber auch Vorteile sieht: Das passe zum neuen Konzept.
Neue Wege gehen, ausprobieren und auch mal improvisieren lautet – zumindest für die erste Phase – die Devise. In der Sommerpause im Juli/August plant der Progr, den Innenhof umzugestalten, um die Trennung zwischen Turnhalle und dem Rest des Hofs aufzuheben. Es soll ein Pavillon für neue Gastronomieangebote errichtet und der Boden entsiegelt und begrünt werden. Zudem werden in dieser Zeit die Toiletten und die Küche in der Turnhalle umgebaut.
«Gastro und Kultur gehören zusammen»
Neu soll die Turnhalle auch während der Woche bereits am Morgen öffnen. Am Mittag soll es ein Salatbuffet und ein vegetarisches Tagesmenü geben. «Wir beobachten, dass viele Menschen ihre Mittagspause in unserem Innenhof verbringen und ihr Essen selbst mitbringen», sagt Emmenegger. Auch bei Festivals wie der Jazzwerkstatt fehlte ein Gastronomieangebot, weshalb sich Besucher*innen ausserhalb verpflegten. Veranstaltungsleiter Emmenegger findet deshalb: «Gastro und Kultur gehören zusammen.»
Zum neuen Gastroangebot unter der Leiterin von Eve Angst (ehemals «Chun Hee») gehört auch ein neues Getränke- und Kulinariksortiment. Unter anderem mit hausgemachten Snacks, saisonalen Menüs und ausgewählten Bio- oder regionalen Produkten.
Trotzdem werde es weiterhin keine Konsumpflicht im Innenhof geben.
Emmenegger ist sich sicher, dass es eine Nachfrage nach dem neuen Gastronomieangebot geben wird. Allein im Kulturhaus, das verschiedene Räume «in kreativem Umfeld» vermietet, gehen täglich 250 Menschen ein und aus.
Daraus will der Progr schöpfen, wie Emmenegger sagt. Menschen aus dem Progr sollen stärker in Veranstaltungen eingebunden werden. Zum Beispiel mit dem neuen Veranstaltungsformat Hausmusik, bei dem Menschen aus dem Progr jeden zweiten Dienstag ihre Lieblingsmusik in der Turnhalle spielen.
Und wie viel bleibt dabei von der Clubkultur, für die die Turnhalle doch bekannt ist, übrig?
Das Wochenprogramm ab April soll so aussehen: Montags neu Swiss Jazz Orchestra, mittwochs und sonntags weiterhin Konzerte des Veranstalters Bee-Flat, freitags und einmal im Monat samstags Clubkultur.
Tanzen?
Für die Clubkultur hat der Progr Carlos Aguilar angestellt. Der 41-jährige ist in der Berner Nachtleben-Szene gut vernetzt und bringt viel Know-How mit. Auch, weil er selbst als Musikproduzent und DJ unter dem Namen Difraktive unterwegs ist. Der gelernte Audiotechniker und Kulturveranstalter arbeitete einst für Konzert Theater Bern (heute Bühnen Bern) und kuratiert seit 14 Jahren für das Rössli und Sous le Pont Kollektiv die Veranstaltungen wie Gaumenschmaus und Up:Ekkha Night im Rössli und Plastik Fantastic im Dachstock. Aguilar ist nah am Puls des Nachtlebens.
«Wir schätzen uns sehr glücklich, dass wir ihn als Clubverantwortlichen gewinnen konnten», sagt Emmenegger. Man erhoffe sich durch das Netzwerk Aguilars mehr Zusammenarbeit mit Kollektiven und anderen Clubs. Und: «Awareness und Diversität werden in der Turnhalle einen hohen Stellenwert haben», sagt Aguilar. Für ihn bedeute Awareness auch offen zu sein für verschiedene Kulturschaffende und ein vielfältiges Publikum zusammenzubringen.
Die Eröffnung am 10. Februar verspricht bereits Gutes, der Blick auf die nächsten zwei Clubveranstaltungen ebenso: Elektronische Musik, bekannte, aufstrebende Künstler*innen, viele davon aus Bern. Wie zum Beispiel Sun Drine vom Frauen*Kollektiv Töchter* oder das Duo Irié, das im Dezember ihr erstes Album herausgegeben hat.
Es scheint, als halte Carlos Aguilar sein Versprechen für eine diverse Auswahl. Das zeigt das Februar-Programm. Er hat People of Color, queere und weibliche Personen gebucht und führt damit die Turnhalle in ein neues Zeitalter.