Software – «Hauptstadt»-Brief #336

Donnerstag, 27. Juni 2024 – die Themen: Citysoftnet; Abfallentsorgung; kantonaler Kulturpreis; Umweltschutz; Allmenden; Gleichstellung; Köniz wächst; Barrierefreiheit; Schweiz-EU.

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Citysoftnet? Bis letzte Woche dachte ich: Bleibt mir bloss vom Hals mit diesen IT-Themen und -Problemen, das interessiert mich nicht. Seit ich am Dienstag an der städtischen Medienkonferenz war, kann ich aber fast nicht mehr aufhören, daran herumzustudieren. 

Weil es beim Berner Software-Debakel eben gar nicht nur um IT geht. Weil es um eine grundsätzliche Überforderung mit der Digitalisierung geht, weil die Fehler, die passiert sind, immer wieder gemacht werden – und weil sie diesmal die Schwächsten treffen. 

Dutzende von Angestellten der Stadt Bern haben 2023 gekündigt. Sie arbeiteten beim Sozialamt oder beim städtischen Erwachsenen- und Kindesschutz. Und sie waren frustriert, dass sie mit einer Software allein blieben, mit der sie kurzfristig ihren Klient*innen – Sozialhilfebezüger*innen und andere vulnerable Personen – nicht mehr gerecht werden konnten.

Wenn man einen Schritt zurücktritt, wird klar: Man hat in beiden Ämtern Mitarbeitende verheizt. Man hat Menschen, die bereits am Rande der Gesellschaft stehen, weiteren Sorgen ausgesetzt. In den schlimmsten Fällen wurden sie dauerhaft von ihrer Zusatzversicherung ausgeschlossen. Und das nur, weil die Rechnung mit der neuen Software nicht fristgerecht bezahlt werden konnte.

Berner Steuerzahler*innen sollte aber auch interessieren: Warum hat der Kanton Bern – neun Jahre nach der Stadt – letztes Jahr dieselbe Idee lanciert? Warum entwickelt auch er eine eigene Fallführungssoftware? Knapp 30 Millionen Franken will er sich das kosten lassen. Stadtbewohner*innen zahlten bisher gut 20 Millionen für Citysoftnet – und es wird  noch mehr dazukommen. 

Zweimal wird fast dasselbe entwickelt. Und wer in der Stadt Bern wohnt, zahlt auch zweimal dafür. Da werden Steuergelder für Doppelspurigkeiten ausgegeben, die vielleicht gar nicht nötig wären. 

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Büsseli (Bild: Simon Bucher)

Und das möchte ich dir mit in den Tag geben:

  • Abfallentsorgung: Seitdem klar ist, dass auf Stadtgebiet nicht flächendeckend Abfallcontainer eingeführt werden können, ist auch klar, dass die Belader*innen weiterhin Säcke hieven müssen. Doch was bedeutet das konkret für ihre körperliche Gesundheit? Mein Kollege Nicolai Morawitz wollte es aus erster Hand wissen und hat sich auf Ghüder-Tour mit einem Kehrichtfahrzeug der Stadt Bern begeben. «Besser direkt schmeissen, statt lange lüpfen», meinte pragmatisch einer der Belader, mit denen er gesprochen hat.
  • Kulturpreise: Der diesjährige kantonale Kulturpreis geht an Literaare. Das Thuner Literaturfestival wurde dieses Jahr zum 19. Mal durchgeführt. Es ziehe ein vielfältiges Publikum aus der ganzen Region an, heisst es in einer Mitteilung. Der mit 30’000 Franken dotierte Preis verstehe sich als Zeichen der Wertschätzung für die Initiative von Tabea Steiner und den Einsatz eines überwiegend ehrenamtlich arbeitenden Teams. Der zum zweiten Mal vergebene «Prix du bilinguisme dans la culture» geht an das Theaterzentrum La Grenouille in Biel für seine langjährige Praxis der Zweisprachigkeit. Die Tanzpädagogin Lucía Baumgartner erhält den Kulturvermittlungspreis.
  • Umweltschutz: Umweltrisiken durch Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft lassen sich reduzieren. Das ist die Erkenntnis aus einem Projekt zum Berner Pflanzenschutz von Kanton und Bauernverband. Das Projekt lief über sechs Jahre und hatte unter anderem zum Ziel, die Umweltrisiken in Oberflächengewässern zu reduzieren. Zwischen 2017 und 2022 wurden dafür eine Reihe von Massnahmen auf mehr als 3500 Bauernbetrieben umgesetzt. Als besonders wirkungsvoll erwiesen sich laut einer Mitteilung Sanierungen von Waschplätzen, damit Spritz- oder Sprühgeräte sicherer befüllt und gewaschen werden können. So konnte der Anteil an Pflanzenschutzmitteln in den untersuchten Kläranlagen um 65 bis 79 Prozent reduziert werden. Auch die Gewässerbelastungen gingen deutlich zurück. Das Projekt kostete rund 61 Millionen, wovon der Bund 49 Millionen übernahm.
  • Köniz wächst: Gemäss Prognosen wächst die Gemeinde Köniz bis 2050 auf rund 51’000 Personen an. Die Grenze von 50’000 Einwohner*innen werde voraussichtlich 2044 erreicht, teilt die Gemeinde mit. Momentan zählt Köniz knapp 44’000 Einwohner*innen. Das grösste Wachstum wird bei Personen ab 65 Jahren und im Ortsteil Wabern erwartet. Während im Kanton für die Jahre bis 2050 von einem Wachstum von 8,4 Prozent ausgegangen wird, wären es in Köniz 17,7 Prozent.
  • Allmenden: Der Berner Gemeinderat will auf den Allmenden eine ergebnisoffene Testplanung durchführen. Unter Einbezug der Bevölkerung und verschiedener Interessengruppen soll ausgelotet werden, wie die Grosse und die Kleine Allmend für die Zukunft weiterentwickelt und die vielfältigen Nutzungen bestmöglich koordiniert werden können, teilt er mit. Für den gesamten Planungsprozess beantragt der Gemeinderat dem Stadtrat eine Krediterhöhung um 1,32 Millionen Franken auf insgesamt 1,47 Millionen Franken.
  • Gleichstellung: Die «Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann» der Stadt Bern heisst ab nächster Woche «Fachstelle für Gleichstellung in Geschlechterfragen». Der neue Name entspreche dem Auftrag der Fachstelle, der seit 2018 auch die Gleichstellung von LGBTIQ+-Menschen umfasst, heisst es in einer Mitteilung. Ein neuer Webauftritt begleitet den Namenswechsel.
  • Fussball-EM: Der Berner Journalist Simon Scheidegger berichtet für die Agentur sda von der Fussball-EM in Deutschland. Und das unter erschwerten Umständen: Scheidegger sitzt im Rollstuhl und hat an der EM gelernt, dass es noch immer nicht selbstverständlich ist, Barrierefreiheit für alle zu garantieren. Den Match Schweiz-Schottland in Köln musste er auf den barrierefreien Plätzen für Fans schauen – obwohl er am Arbeiten war. Ob das einem Journalisten, der nicht im Rollstuhl sitzt, auch zugemutet worden wäre, fragt er in seinem lesenswerten offenen Brief auf LinkedIn rhetorisch.
  • Schweiz-EU: Welche europäischen Hauptstädte liegen am nächsten beieinander? Diese und andere Fragen mussten die Teilnehmer*innen gestern Abend beim Schweiz-EU-Pubquiz des Polit-Forums und der «Hauptstadt» beantworten. Das Quiz ist Teil der Ausstellung «Die SchwEUz», welche noch bis 17. August zu sehen ist – gewonnen hat das vierköpfige Team namens «Truth». Heute Abend findet im Rahmen der Ausstellung eine Debatte zur europäischen Asylreform und ihren Folgen für die Schweiz statt. Beginn ist um 18:30.
  • Sommersehnsucht: Auch wenn es heute grad besser sein mag, die Bilanz dieses Frühsommers ist wettermässig durchzogen. Passend dazu hat uns die Sommersehnsucht-Bilderserie von Simon Bucher durch den Juni begleitet. Heute erscheint das letzte Foto – und wie immer stellen wir ihn auf unserer Website kurz vor und zeigen die ganze Bilderserie.

PS: Seit Jahren besuche ich jährlich die Vorstellungen des Zirkus Chnopf. Ich mag die verspielte Artistik, das Zusammenspiel von Profis und Jugendlichen. Noch bis Sonntag gastiert der Zirkus im Holligenpark mit dem neuen Programm «Le cours des choses» (Vorstellungen ab Freitag, je 16.30 Uhr, am Samstag zusätzlich um 19.30 Uhr, Hutkollekte).

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