Stadtpräsidium – Hauptstadt-Brief #298

Dienstag, 26. März – die Themen: SP greift an; Lesbische Geschichte; Jüdische Geschichte; Inselspital; Transitplatz; Les Amis; Kriminalfälle; Frag die «Hauptstadt».

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(Bild: Marc Brunner, Buro Destruct)

Die SP will im November nicht nur ihre beiden Sitze im Gemeinderat halten, sie will auch das Berner Stadtpräsidium für sich gewinnen. Die Partei will für die kommenden Wahlen mit Marieke Kruit eine Kandidatur stellen und damit den Sitz von Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) angreifen. Das haben die Berner SP-Mitglieder gestern Abend an ihrer Hauptversammlung im Hotel Bern beschlossen. 

Für die Diskussion mussten Medienschaffende den Raum verlassen. Nach knapp einer Stunde verkündeten die Co-Präsidentinnen Lena Allenspach und Meret Schindler den brisanten Entscheid: Mit 98 Ja- zu sieben Nein-Stimmen seien die Genoss*innen dem Vorschlag der Parteileitung für eine Präsidiumskandidatur gefolgt. 

Wer als Kandidat*in antritt, steht noch nicht definitiv fest. Das soll an der Delegiertenversammlung am 13. Mai entschieden werden. Marieke Kruit, die gestern neben Matthias Aebischer als Gemeinderatskandidatin nominiert wurde, stelle sich zur Verfügung, sagten die Co-Präsidentinnen. Aebischer stelle sich hingegen nicht zur Wahl und unterstütze Kruits Kandidatur. 

Mit diesem Schritt greift die SP ihre Rot-Grün-Mitte-Bündnispartnerin GFL an. Die Partei begründet die Kandidatur unter anderem damit, dass sie unzufrieden ist mit der Amtsführung von Alec von Graffenried, wie Lena Allensbach im Interview mit meinem Kollegen Joël Widmer ausführt.

«Unsere Kandidatur kann das Rot-Grün-Mitte-Bündnis stärken», sagte Lena Allenspach gestern. «Wir bieten eine Auswahl und zeigen, dass wir die Kritik aus der Bevölkerung am aktuellen Stadtpräsidenten wahrnehmen.» So beweise das Bündnis, das in Bern seit über dreissig Jahren regiert, dass es sich wandeln kann. 

Davor nominierte die Partei die bisherige Gemeinderätin Marieke Kruit sowie den Nationalrat Matthias Aebischer ohne Diskussion und ohne Gegenstimmen als Kandidierende für den Gemeinderat. Die Versammlung beschloss auch die Zustimmung zum Rot-Grün-Mitte Bündnis und die Lancierung einer städtischen Mindestlohn-Initiative. 

Die Unterstützung der Klimagerechtigkeits-Initiative, die das Grüne Bündnis (GB) plant, lehnte die Partei allerdings ab. Die Initiative sei zu wenig konkret und gefährde mit neuen Gebühren die Kaufkraft, so die Argumente der Parteileitung. Die JUSO votierte für ein Ja zur grünen Initiative, wurde aber von der Mehrheit der Genoss*innen überstimmt.

Stumme Zeugen langer Nächte und intensiver Lernsessions in einem Berner WG-Waschbecken.
Stumme Zeugen langer Nächte und intensiver Lernsessions in einem Berner WG-Waschbecken. (Bild: Malika Talha)

Und jetzt noch zu anderen Themen des Tages:

  • Lesbische Geschichte: Die Historikerin Corinne Rufli forscht zur Schweizer Lesbengeschichte. Dazu führt sie Interviews mit frauenliebenden Frauen über achtzig. Sie seien eine «unsichtbare» Generation von lesbischen Frauen, und sie «durchbrechen unsere Sicht auf Familie, auf die 1950er-Jahre, auf alte Frauen», sagt Rufli im Interview mit «Hauptstadt»-Autorin Lea Sidler
  • Jüdische Geschichte: Das Theater an der Effingerstrasse bringt mit «Der vergessene Prozess» ein historisches und trotzdem höchst aktuelles Stück zum Thema Antisemitismus auf die Bühne. Es geht darin um einen spektakulären Prozess vor dem Berner Regionalgericht aus dem Jahr 1935. Meine Kollegin Marina Bolzli hat sich die Premiere angeschaut. Wie der Prozess selbst sei auch das Stück von grosser Relevanz, schreibt sie, jedoch zum Ende hin etwas zäh.
  • Inselspital: 42 Spitzen-Ärzt*innen des Inselspitals äussern in einem Brief an die Führungsriege des Spitals «grösste Sorgen» um die Zukunft der universitären Medizin am Standort Bern, wie Bund/BZ gestern schrieben. Der Brief richtet sich an den CEO der Insel-Gruppe, Uwe Jocham, an Verwaltungsratspräsident Bernhard Pulver und an den Dekan der Medizinischen Fakultät der Uni, Claudio Bassetti. Die Ärzt*innen seien in Entscheidungen nicht mehr ausreichend eingebunden und fordern mehr Mitbestimmung bei strategischen Fragen. Vor zwei Wochen hatte das Inselspital für das Jahr 2023 einen Rekordverlust von 113 Millionen Franken mitgeteilt.
  • Transitplatz: Stadt und Kanton Bern eröffnen an der Steigerhubelstrasse in Ausserholligen einen provisorischen Transitplatz für ausländische Fahrende, wie sie gestern mitteilten. Vom 15. April bis Ende August 2024 können auf dem Areal des zukünftigen Campus der Berner Fachhochschule bis zu 36 Sinti- und Roma-Familien halten. Der Platz dient als Ersatz für den bisherigen – ebenfalls provisorischen – Transitplatz in Wileroltigen, der dieses Jahr wegen Bauarbeiten nicht zur Verfügung steht. Ab 2025 wird in Wileroltigen ein definitiver, kantonaler Transitplatz bereitstehen.
  • Les Amis: Die Bar «Les Amis» an der Rathausgasse in der Berner Altstadt erhält eine neue Führung. Nach 29 Jahren übergeben der bisherige Betriebsführer Magnus Bearth und seine Partner Michael Kropf und Lene Sitter die Bar mit dem Club «Wohnzimmer» an fünf jüngere, langjährige Mitarbeitende. Diese wollen die Betriebskultur «konstant halten und nachhaltig in die Zukunft führen». Das teilte der Betrieb am Wochenende mit. 
  • Kriminalfälle: Gestern präsentierte die Kantonspolizei die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2023. Im Kanton Bern wurden letztes Jahr deutlich mehr Straftaten registriert als im Vorjahr. Besonders Diebstähle aus Fahrzeugen und Einschleichdiebstähle haben laut Kantonspolizei stark zugenommen, aber auch die Zahl der Gewaltdelikten ist erneut gestiegen. Dies unter anderem, weil die Polizei bei Jugendgewalt genauer hinschaue und die jeweiligen Delikte anzeige. Erstmals erfasste die Polizei Hassdelikte statistisch: Sie verzeichnete 55 Fälle, wovon der Grossteil auf die Ethnie oder die sexuelle Orientierung der Betroffenen abzielte.
  • Frag die «Hauptstadt»: Der Wohnraum in der Stadt Bern ist knapp und begehrt. Ein Leser der «Hauptstadt» will wissen: Könnten wir städtische Immobilien, die der Bund für seine Verwaltung belegt, zu dringend benötigtem Wohnraum umnutzen? Mein Kollege Nicolai Morawitz hat sich der Frage angenommen. Wie so oft ist die Antwort unklarer, als man zu Beginn vermuten würde. 

PS: Der neue Schweizer Film Les Paradis de Diane verhandelt die Identitätssuche einer jungen Mutter. Morgen Abend findet im Kino Rex gemeinsam mit der «Eidgenössischen Kommission dini Mueter» im Anschluss an die Filmvorführung eine Diskussion zum Thema Regretting Motherhood statt. 20:15 Uhr, Eintritt mit Kinoticket. 

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